Rebeccas Schüler. Tira Beige

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Название Rebeccas Schüler
Автор произведения Tira Beige
Жанр Языкознание
Серия Rebeccas Schüler
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752924428



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zwei Wo­chen ge­schlos­se­nen Fens­ter, stell­te ihre Ta­sche auf den Bo­den ab und setz­te sich auf den Leh­rer­stuhl. In zehn Mi­nu­ten wür­den die ers­ten Schü­ler kom­men. Eine er­quick­li­che Ruhe vor dem Sturm leg­te sich über den Raum. Ihr Blick schweif­te nach drau­ßen, wo es an­ge­fan­gen hat­te zu schnei­en. Lang­sam glit­ten die Flo­cken vom Him­mel in den gro­ßen Schul­hof her­ab. Ei­ni­ge Un­ter­richts­räu­me, die sie von ih­rem aus über­bli­cken konn­te, wa­ren eben­falls be­leuch­tet: Kol­le­gen, die einen Ta­fel­an­schrieb vor­nah­men, auf die Schü­ler war­ten­de Leh­rer.

      Re­bec­ca stand auf und be­gab sich an die Hei­zung. Die woh­li­ge Wär­me, die ent­ström­te, ar­bei­te­te sich ih­ren Rü­cken hoch. Ein letz­tes Mal Ruhe, gleich war es vor­bei da­mit, denn auf dem Gang hör­te sie die ers­ten Stim­men und Schuh­ge­trap­pel. Die Stim­men ka­men nä­her. An­span­nung. Mit ei­nem Ruck flog die Tür auf. Ma­r­cus, ein ru­hi­ger Schü­ler, be­trat als Ers­ter den Raum. Ein Ni­cken in Rich­tung Hei­zung. Nach ihm er­schie­nen drei wei­te­re Jun­gen, die Re­bec­ca mit ei­nem teil­nahms­lo­sen »Mor­gen, Frau Pe­ters!« be­grüß­ten und sich dann zu ih­ren Plät­zen be­ga­ben, um ihre Un­ter­richts­ma­te­ri­a­li­en aus­zu­pa­cken.

      Zwei pu­ber­tie­ren­de Mäd­chen, la­chend und auf­rei­zend ge­stylt, johl­ten ein fre­ches »Gu­ten Moooor­gen!« in den Klas­sen­raum hin­ein. Na­tür­lich! Da­mit je­der mit­be­kam, dass die zwei Di­ven da wa­ren. Eins der Mäd­chen, Na­ta­lie, ga­cker­te be­son­ders laut, um die Auf­merk­sam­keit der männ­li­chen Mit­schü­ler auf sich zu zie­hen. Mit Er­folg. Nach­dem die Drei­zehn­jäh­ri­ge ihre Ja­cke an die Gar­de­ro­be des Klas­sen­raums ge­hängt hat­te, rich­te­te sie ihr knap­pes rosa Shirt zu­recht, das für die Jah­res­zeit deut­lich zu dünn war. Ihr Po wur­de durch eine blaue, sehr eng sit­zen­de Röh­ren­jeans pas­send zur Gel­tung ge­bracht. Ganz schön ge­wagt für eine Tee­n­a­ge­rin ih­res Al­ters. Re­bec­ca sin­nier­te dar­über nach, ob sie als Mut­ter ihre Toch­ter so aus dem Haus ge­hen las­sen wür­de.

      Na­ta­lies lan­ge, hell­brau­ne Haa­re fie­len ihr in Lo­cken ge­schmei­dig über die Schul­tern. Wie be­ab­sich­tigt rich­te­ten sich die Bli­cke der pu­ber­tie­ren­den Jun­gen auf das Mäd­chen.

      Mit dem Auf­fül­len des Klas­sen­raums ma­xi­mier­te sich die Laut­stär­ke. Noch drei Mi­nu­ten bis zum Stun­den­be­ginn. Re­bec­ca trot­te­te am Lehrer­tisch auf und ab. Ein letz­tes Mal sor­tier­te sie ihre Un­ter­la­gen, über­prüf­te, ob ge­nug Krei­de be­reit­lag, leg­te ihr Lehr­buch griff­be­reit hin, schau­te auf die Arm­band­uhr, glich sie mit der Wand­uhr ab. Dann er­tön­te das Klin­gel­zei­chen. Ein kräf­ti­ges Zie­hen an der Tür si­gna­li­sier­te: Jetzt kann es los­ge­hen! Doch die Schü­ler ver­harr­ten an ih­ren Plät­zen und tausch­ten sich über die Fe­ri­en aus.

      »Es hat ge­klin­gelt!«, brüll­te Re­bec­ca. Den Er­war­tun­gen ge­mäß re­a­gier­te bloß ein Teil der Ju­gend­li­chen auf ihre Wor­te. »Es hat ge­klin­gelt, Herr­schaf­ten!« Ihre lau­ter ge­wor­de­ne Stim­me zwang ei­ni­ge un­auf­merk­sa­me Schü­ler dazu, sich von ih­ren Plät­zen zu er­he­ben.

      »Wir ha­ben viel Zeit. Wir kön­nen auch län­ger ma­chen.« Sie könn­te sich so­fort ohr­fei­gen für die­se zwei un­be­dacht aus­ge­spro­che­nen Sät­ze, die die Un­ru­he be­he­ben soll­ten. Die Siebt­kläss­ler be­lä­chel­ten müde den Ver­such. Sie wuss­ten, dass die An­dro­hung sel­ten durch­ge­zo­gen wur­de.

      Re­bec­ca muss­te er­ken­nen, dass die Fe­rie­n­i­dyl­le schon nach den ers­ten Mi­nu­ten dem har­ten Schulall­tag ge­wi­chen war.

      Nach an­stren­gen­den fünf Mi­nu­ten er­folg­te end­lich die Be­grü­ßung, auch wenn sich ein­zel­ne Schü­ler wei­ter­hin um­dreh­ten oder mit­ein­an­der spra­chen. »Gu­ten Mor­gen!«, er­tön­te ihre stren­ge Leh­rer­stim­me. Un­mo­ti­viert mur­mel­te die Klas­se ihre Be­grü­ßung ent­ge­gen.

      Eine Ab­bil­dung zum The­ma Zei­chen­set­zung soll­te die Auf­merk­sam­keit der Pu­ber­tie­ren­den auf den neu­en Un­ter­richts­in­halt len­ken. »Sven­ja, be­schrei­be bit­te die Ka­ri­ka­tur!«, for­der­te Re­bec­ca am Over­head­pro­jek­tor ste­hend die Schü­le­rin auf, die so kurz nach Stun­den­be­ginn wie­der mit Na­ta­lie im Ge­spräch ver­sun­ken war. Ver­mut­lich be­quatsch­ten die bei­den, wie lan­ge Na­ta­lie in den Fe­ri­en Net­flix ge­schaut oder mit wem Sven­ja wil­de Nach­rich­ten auf Whats­App aus­ge­tauscht hat­te.

      »Was?«, frag­te die Ju­gend­li­che geis­tes­ab­we­send. Ei­ni­ge Mit­schü­ler stöhn­ten und er­klär­ten ihr die Auf­ga­be. »Na ja, ich sehe einen Jun­gen, der nicht weiß, ob er ein Kom­ma set­zen soll.«

      Re­bec­ca stieß einen schwe­ren Seuf­zer aus. »Ka­ri­ka­tu­ren habt ihr doch im Ge­schichts­un­ter­richt …« Laut­stär­ke bran­de­te auf. Hei­k­les The­ma. Sie selbst hat­te schon Pro­ble­me ge­nug, Dis­zi­plin in die­se Schul­klas­se zu brin­gen. Der Ge­schichts­leh­rer war noch üb­ler dran.

      Ei­ni­ge Schü­ler lach­ten oder wink­ten ab. »Bei Herrn Glä­ser ler­nen wir nichts, Frau Pe­ters«, rief Bas­ti aus der hin­te­ren Bank­rei­he nach vorn. »Der kann nicht er­klä­ren«, er­gänz­te ein wei­te­rer Schü­ler ganz vorn.

      Wei­te­re Siebt­kläss­ler schal­te­ten sich in die Dis­kus­si­on ein. Plötz­lich ging es nicht mehr um die Ka­ri­ka­tur, son­dern nur noch um den Leh­rer, der von den Schü­lern her­un­ter­ge­putzt wur­de. Die Si­tua­ti­on droh­te Re­bec­ca zu ent­glei­ten. Wie so oft.

      »Okay! Okay! Ruhe jetzt! Ist ja gut!«, rief sie ver­zwei­felt in die grö­len­de Men­ge hin­ein.

      Als es lei­ser wur­de, er­klär­te sie die Me­tho­de und nahm eine stil­le Schü­le­rin dran, die das Bild sou­ve­rän be­schrieb. Drei Mi­nu­ten soll­te die Ein­stiegs­pha­se dau­ern – ver­stri­chen wa­ren zehn.

      Selbst da­nach drang Re­bec­ca nicht zu den Ju­gend­li­chen durch, die ih­ren Un­mut laut­stark kund­ta­ten: »Wozu müs­sen wir das denn schon wie­der be­han­deln?«

      Ein­fach un­be­irrt wei­ter­ma­chen und die Dis­kus­si­o­nen un­ter­bin­den, so wie es im Re­fe­ren­da­ri­at ge­lehrt wur­de. Aber das war leich­ter ge­sagt als ge­tan.

      Kur­zer­hand igno­rier­te Re­bec­ca die Stö­rer, er­mahn­te zur Ruhe und zog das Tem­po an. »Leu­te, ihr macht die meis­ten Feh­ler im Be­reich der Kom­ma­set­zung. Ihr braucht drin­gend eine Wie­der­ho­lung! Au­ßer­dem müsst ihr Kom­mas set­zen kön­nen, wenn ihr Be­wer­bun­gen schreibt oder Brie­fe. Ver­steht doch, dass …«

      Bis auf we­ni­ge Aus­nah­men hör­te ihr nie­mand der drei­und­zwan­zig Schü­ler zu. Ei­ni­ge Ju­gend­li­che schau­ten ge­lang­weilt an die Ta­fel und be­ka­men zu­min­dest einen Teil der Übun­gen und Er­klä­run­gen mit. An­de­re re­de­ten mit dem Ban­knach­barn oder mal­ten auf ih­ren Un­ter­la­gen her­um.

      End­lich – das Klin­gel­zei­chen nach ei­ner Drei­vier­tel­stun­de Schwerst­a­r­beit. Die Schü­ler ver­lie­ßen quas­selnd den Raum, wäh­rend Re­bec­ca wie er­schos­sen in ih­ren Stuhl zu­rücksank und an­ge­sichts der an­ste­hen­den zwei Frei­stun­den auf­at­me­te. Ruhe.

      Ein kur­z­er Griff zu den Schul­ma­te­ri­a­li­en, die ein­sor­tiert wer­den muss­ten. Dann mach­te sie sich auf den Weg Rich­tung