Zwei Leichen und ein Todesfall. Irene Dorfner

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Название Zwei Leichen und ein Todesfall
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750214705



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machte Graumaier keinerlei Anstalten, es ihm gleichzutun.

      „Wir haben versucht, den Bauunternehmer Weinmayer zu erreichen, was leider nicht gelungen ist. Wissen Sie, wo wir ihn erreichen können?“

      „Nein, leider nicht.“

      „Können Sie mir eine Liste aller Arbeiter erstellen?“

      „Sie verdächtigen einen meiner Leute?“ Brauer war erschrocken.

      „Das ist reine Routine. Wir müssen alle befragen, die mit dieser Baustelle und deren Umkreis zu tun haben. Vielleicht haben wir Glück und jemand hat etwas gesehen oder gehört.“

      Brauer nickte, das leuchtete ihm ein.

      Diana und Tatjana befragten Elli Sander, die immer noch sehr aufgeregt war. Kai-Uwe hatte sich immer noch nicht beruhigt, er stand völlig neben sich.

      „Was ist mit ihm?“, wollte Diana wissen.

      „Keine Ahnung, so kenne ich ihn nicht. Ich nehme an, dass ihn der Leichenfund völlig aus der Bahn geworfen hat. Es wird Zeit, dass wir von hier verschwinden.“

      „Dann gehen Sie, damit Ihr Hund zur Ruhe kommt. Wir haben Ihre Personalien und Ihre Aussage. Wenn es noch Fragen gibt, melden wir uns.“

      Elli Sander war erleichtert. Sie machte Anstalten zu gehen und zog mit aller Kraft an der Leine, aber Kai-Uwe sträubte sich. Was war nur los mit ihm?

      Die Kriminalbeamten achteten nicht mehr auf die Frau mit dem Hund. Erst, als Frau Sander einen lauten Schrei von sich gab, drehten sich alle zu ihr um. Kai-Uwe hatte sich losgerissen und rannte wie Sinnen auf eine ganz bestimmte Stelle zu. Es war nicht die Fundstelle der Leiche. Er rannte genau dorthin, wo vorhin noch der Bagger gestanden hatte. Dort begann er zu buddeln und war nicht zu bremsen. Frau Sander rannte hinterher und wollte Kai-Uwe wieder anleinen. Tatjana, Graumaier und Diana wollten ihr helfen, aber Leo ging dazwischen. Hier stimmte etwas nicht. Ganz vorsichtig ging er zu Kai-Uwe und sprach beruhigend auf ihn ein. Er schaffte es, das Halsband zu erwischen und zog ihn zur Seite. „Hat jemand etwas zu Essen dabei?“

      „Ich!“, rief einer von der Spurensicherung, der sich heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit mit Leberkässemmeln eingedeckt hatte. Er rannte zum Wagen und kam mit einer Metzgertüte zurück. Der betörende Duft von Leberkäse schien Kai-Uwe endlich abzulenken. Warum war niemand vorher schon auf diese Idee gekommen? Leo lockte den Hund von der fraglichen Stelle weg und gab ihm ein Stück Leberkäse nach dem anderen.

      „Hier graben!“, rief Leo zu Fuchs, der sofort zwei seiner Mitarbeiter ansprach und auch selbst zur Schaufel griff.

      Leo übergab Kai-Uwe seinem Frauchen, die sichtlich erleichtert war, dass ihr Liebling endlich wieder normal war. Elli Sander war fix und fertig. Was war das heute nur für ein beschissener Tag? Mit schnellen Schritten entfernte sie sich und schwor sich, dass sie nie wieder hier langgehen würde.

      Alle sahen den Kollegen der Spurensicherung zu, die langsam und vorsichtig gruben. Der einsetzende Regen störte niemanden. Zu sehr war man gespannt darauf, was hier aufgedeckt wurde. Fuchs achtete auf jeden Spatenstich, um nichts zu übersehen und nichts zu beschädigen. Nach einer guten Stunde war es so weit, Fuchs selbst stieß auf Knochen. Jetzt ging es noch langsam und vorsichtig weiter. Dann lag die Leiche vor ihnen, von der nur noch das Skelett übrig war.

      „Nach den Klamotten zu urteilen dürfte der Typ schon seit etwa zwanzig Jahren oder noch länger hier liegen“, sagte Leo laut, worauf einige schmunzelten. Leo war bekannt dafür, dass er modisch in den achtziger Jahren hängengeblieben war. Wie man wohl reagieren würde, wenn man auf seine Leiche stoßen würde?

      „Wie kommen Sie darauf, Herr Schwartz?“, fragte Graumaier.

      „Wegen der Schuhe. Außerdem ist das Hemd auffällig bunt gemustert, das war irgendwann mal modern.“

      „Sie tragen doch auch altmodische Klamotten“, lachte Graumaier und sprach das aus, was alle anderen dachten.

      „Eine Unverschämtheit!“, rief Leo. „Das T-Shirt ist neu. Die Lederjacke und meine Stiefel sind zwar älter, aber absolut zeitlos.“

      „Das T-Shirt mag neu sein, aber die abgebildete Person ist es nicht“, zeigte Graumaier auf das T-Shirt. „Wer trägt denn das heute noch?“

      „Das ist Buddy Holly! Er war eine Ikone! Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie den Mann nicht kennen?“ Leo lachte gequält. Er war sehr stolz auf dieses T-Shirt, das er vor zwei Jahren in London erstanden hatte.

      „Der Name sagt mir etwas. Ist der Mann nicht schon lange tot? Nein, ich bleibe dabei: Wenn wir Sie mit Ihrem jetzigen Outfit ausbuddeln würden, hätte nicht einer eine Ahnung, seit wann Sie dort liegen.“

      Alle lachten, auch Fuchs und Tatjana, die sich sonst eher zurückhielten. Leo war sauer und musste sich zusammenreißen. Er tat so, als hätte er die Aussage des Neuen nicht gehört, auch wenn er ihm am liebsten eine reinhauen würde. Eines stand fest: Graumaier und er würden niemals Freunde werden!

      Weit entfernt stand eine Person mit einem Fernglas und beobachtete das, was auf der Baustelle vor sich ging. Was für ein verdammter Mist! Warum musste dieser Drecksköter auch genau dort buddeln? Und warum hatte er sich nicht längst um die Leiche gekümmert und sie woanders hingebracht? Das Wetter war schuld, aber diese Entschuldigung half ihm jetzt auch nicht weiter. Die Polizei hatte Eberhard gefunden und würde ihn identifizieren. Dann kam alles ans Licht und die Gemeinschaft, sein Lebenswerk, war in Gefahr. Eilig packte er das Fernglas ein und stieg in den alten Wagen. Er musste dringend mit den anderen sprechen. Vielleicht gab es eine Lösung, wie sie alle schadlos aus der Sache rauskommen würden. Die musste es geben!

      6.

      Udo Brauer versuchte wieder und wieder, seinen Chef zu erreichen, so wie in den vergangenen vierzehn Tagen auch. Seit dem letzten Telefonat, das er mitten in der Nacht mit ihm geführt hatte, hatte er Klemens nicht mehr erreicht. Obwohl er ihm mehrere Nachrichten auf der Mailbox hinterließ, hatte Klemens nicht zurückgerufen. Langsam wurde Brauer wütend. Dass es eine Leiche auf der Baustelle gab, war noch nicht das Schlimmste. Die ausstehenden Löhne waren noch nicht gezahlt worden, außerdem gab es offene Rechnungen, die ebenfalls noch nicht beglichen wurden. Die Kollegen rannten ihm die Tür ein, die Gläubiger wurden ebenfalls langsam nervös.

      Wie gestern und vorgestern fuhr Brauer direkt zu Klemens, der zwar sein Haus verkauft hatte, aber in dieser Wohnung immer noch sehr luxuriös lebte. Von Armut konnte man nicht sprechen, allein die Antiquitäten waren sicher ein hübsches Sümmchen wert. Er war einmal bei Klemens gewesen und hatte sich selbst davon überzeugen können. Brauer klingelte, ihm wurde aber nicht geöffnet. Klemens‘ Wagen stand, wie die anderen Male auch, nicht vor der Tür. Trotzdem musste sein Chef doch irgendwann mal wieder zuhause sein! Brauer befragte die Nachbarn, die ihm aber nicht helfen konnten. Einen Tag wollte er Klemens noch geben. Dann würde er sich irgendwie Zugang zum Haus verschaffen und nach Geld und Wertgegenständen suchen, um die Außenstände damit begleichen zu können.

      Brauer fuhr noch nicht nach Hause, sondern steuerte direkt das Firmengelände außerhalb Mühldorfs an. Hier war seit der Einstellung der Bauarbeiten nichts mehr los, hier hatte er Max in einem der Bauwagen untergebracht. Max war nicht groß verletzt gewesen, was er anfangs bedauerte. Am liebsten hätte er den Typen tot gesehen, aber damit wäre er auch zum Mörder geworden, was er zum Glück nicht war. Trotzdem befand er, dass es an der Zeit wäre, Max Manieren beizubringen. Dieser Mistkerl musste so lange hierbleiben, bis er bereute und überzeugend versprach, seine Tochter und damit seine Familie in Ruhe zu lassen. Brauers Tochter und seine Frau wussten nichts davon. Er hatte Max noch in derselben Nacht weggebracht und sprach seitdem nicht mehr darüber. Sobald die Sprache auf Max oder die fragliche Nacht kam, blockte er völlig ab.

      „Wann kann ich endlich gehen?“, fragte Max, als Brauer den alten Bauwagen betrat.

      „Guten Morgen“, sagte Brauer und stellte die beiden Tüten mit den Lebensmitteln auf den Tisch.

      „Ich möchte endlich weg hier! Sie können mich nicht