Zwei Leichen und ein Todesfall. Irene Dorfner

Читать онлайн.
Название Zwei Leichen und ein Todesfall
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750214705



Скачать книгу

fasste sich zuerst ein Herz und stellte sich vor. Wurde er damals, als er nach Mühldorf versetzt wurde, nicht sehr viel freundlicher empfangen? Nun machten sich auch die anderen mit dem Neuen bekannt, wobei Graumaier Dianas Hand etwas zu lange hielt.

      „Ist das Angebot limitiert oder darf ich zugreifen?“ Graumaier zeigte auf den Glühwein und die Leckereien, die auf dem Tisch standen.

      „Bitte, greifen Sie zu, es ist genug da.“

      „Geht es hier immer so leger zu oder gibt es etwas zu feiern?“

      „Nein, das hier ist eine Ausnahme“, brummte Krohmer und stand auf. Es war ihm peinlich, welchen Eindruck seine Kriminalpolizei machte, zumal das dies hier tatsächlich nur eine einmalige Sache war. Warum hatte er sich von seiner Frau nur dazu überreden lassen? Luise befand es für gut, die Kollegen zu einer geselligen Runde einzuladen. Was für ein Schwachsinn! Vor allem Glühwein und Weihnachtsgebäck fand er persönlich völlig überzogen, zumal es bis Weihnachten noch fast zwei Wochen waren. In Zukunft musste er sich besser überlegen, wozu er seine Zustimmung gab, schließlich war das hier die Polizei und nicht der Weihnachtsmarkt.

      Toni Graumaier trank Glühwein und lehnte sich zurück. Er besah sich die künftigen Kollegen und seinen Chef, über die er sich im Vorfeld eingehend informiert hatte. Es ging das Gerücht um, dass die hiesigen Kriminalbeamten jeden noch so schwierigen Fall an sich rissen, woran der mediengeile Staatsanwalt nicht unschuldig war. Die Arbeit an sich war für Graumaier kein Problem, allerdings mochte er die Gefahr nicht. Recherchen waren sein Steckenpferd, auch Befragungen oder Vernehmungen hatten es ihm angetan. Aber der Gebrauch der Waffe oder gar Gefahrensituationen waren nicht sein Ding. Graumaiers Blick ging mehrmals durch die Runde. So draufgängerisch sahen die neuen Kollegen überhaupt nicht aus. Sie waren eher durchschnittlich und schienen bunt zusammengewürfelt zu sein, was er so nicht erwartet hatte. Waren die Berichte über die Mühldorfer Kriminalpolizei überhaupt echt?

      Bevor Krohmer das Besprechungszimmer verließ, sprang Hans Hiebler auf.

      „Jetzt, da unerwartet Verstärkung hier ist, könnte ich doch Urlaub machen“, sagte er schnell, bevor ihm einer der Kollegen zuvorkam. Krohmer sah Hans an.

      „Ich habe nichts dagegen“, sagte Krohmer.

      „Vier Wochen?“ Hans versuchte sein Glück, denn normalerweise gab es schon wegen einer Woche unendlich lange Diskussionen mit dem Chef.

      „Das ist völlig übertrieben. Zwei Wochen sind ausreichend.“

      „Das finde ich auch“, sagte Diana. „Ich hätte auch endlich gerne Urlaub.“

      „Ich auch“, rief Tatjana.

      Nur Leo hielt sich zurück, schließlich war sein Urlaub längst genehmigt und mit der Woche zwischen Weinachten und Neujahr auch bis auf den letzten Tag für dieses Jahr aufgebraucht.

      „Einer nach dem anderen“, rief Krohmer. „Sprechen Sie sich untereinander ab, ich erwarte Ihre Urlaubsvorschläge.“

      „Aber ich kann sofort freinehmen?“ Hans war ausgelaugt und konnte es nicht erwarten, sich endlich auszuruhen. Mit zunehmendem Alter spürte er die Arbeit, außerdem setzte ihm der ständige Wechsel zwischen Mühldorf und München zu seiner Frau Anita so langsam zu. Zwei freie Wochen wären herrlich! „Wir haben momentan keinen Mordfall und mit dem neuen Kollegen sind wir doch genug Leute“, setzte Hans nach. Fragend sah er seinen Chef an.

      „Meinetwegen, hauen Sie ab. Schöne Weihnachten!“

      Diana und Tatjana wollten keine Zeit verlieren und diskutierten die Urlaubswünsche sofort aus. Die beiden brauchten nicht lange und Diana rannte dem Chef hinterher, der noch nicht in seinem Büro angekommen war. Mit einem Lächeln überreichte sie ihm die Urlaubsanträge, die weit bis in den Januar reichten.

      „Ich sehe mir das an und melde mich bei Ihnen.“

      Der Staatsanwalt war ohne einen weiteren Gruß gegangen, denn er musste dringend klären, wer das mit der unverhofften Aushilfe verbockt hatte. An ihm lag es ganz sicher nicht, er war völlig korrekt vorgegangen. Welcher Trottel hatte da geschlafen?

      „Ich wünsche dir einen schönen Urlaub und schöne Weihnachten“, sagte Leo, der seinen besten Freund jetzt schon vermisste.

      „Wir sehen uns zu Weihnachten, das habe ich Tante Gerda versprochen“, grinste Hans, der sein Glück nicht fassen konnte. Tante Gerda war Hans‘ Tante und Leos Vermieterin und Ersatzmutter. Es war inzwischen Tradition, dass sich fast alle zu Weihnachten bei ihr einfanden und sie gemeinsam Weihnachten feierten.

      „Super, dann bis Weihnachten! Grüß Anita von mir!“

      Hans brauchte nicht lange, bis er beim Wagen war. Er musste sich beeilen, bevor noch ein Mordfall hereinkam oder es sich der Chef noch anders überlegte. Wehmütig sah Leo ihm hinterher. Ob das auch an dem miesen Wetter lag? Vielleicht brauchte er nur mal wieder einen fetten Mordfall, denn das Wälzen alter Akten langweilte ihn ohne Ende.

      „Und? Wie ist es als Schwabe in Bayern?“, riss ihn Graumaier aus seinen Gedanken.

      „Nicht immer leicht, das können Sie mir glauben. Die Mentalitäten der Schwaben und Bayern sind doch sehr unterschiedlich, das hätte ich mir damals auch nicht vorstellen können. Aber ich komme zurecht und habe mich eingelebt.“

      „Wenn Sie damals nicht Mist gebaut hätten, wären Sie vermutlich immer noch in Ulm und bei der dortigen Kriminalpolizei immer noch eine große Nummer“, grinste Graumaier und trank von dem Glühwein.

      Leo sah den Neuen fassungslos an – und wusste jetzt schon, dass er ihn nicht mochte. Er verkniff sich einen Kommentar und war beleidigt.

      Auch Diana und Tatjana hatten gehört, was Graumaier gesagt hatte und fanden das nicht gut. Der Neue war forsch und hielt mit seinem Wissen nicht hinterm Berg. Das konnte ja echt lustig werden!

      Es ging für alle an die Arbeit, die hauptsächlich aus der Prüfung alter Fälle bestand und die keiner mochte.

      Wenn die Kriminalbeamten geahnt hätten, was auf sie zukommt, hätten sie diese Arbeit geliebt.

      5.

      „Kai-Uwe! Komm sofort zurück!“ Elli Sander war wütend. Den Weg, den sie sonst mit ihrem Mischlingsrüden ging, konnte sie heute vergessen, der war durch mehrere Fahrzeuge versperrt worden. Also nahm sie eine andere Strecke, die ihr nicht lag und die ihr nicht wirklich gefiel. Zu viel Verkehr und alles viel zu unübersichtlich für ihren lebhaften Kai-Uwe, der seinen eigenen Kopf hatte und sich trotz der vielen Stunden in der Hundeschule in manchen Situationen nicht bändigen ließ. Eigentlich hätte sie ihn hier nicht von der Leine lassen dürfen, aber sie konnte nicht anders und wollte ihm die Freiheit zugestehen. Jetzt war Kai-Uwe auf und davon. Irgendetwas war ihm in die Nase gestiegen und er war seinem Instinkt gefolgt. Elli Sander hatte zu spät reagiert. Sie war ihm hechelnd hinterhergelaufen, aber er war einfach viel zu schnell. Schnurstracks lief er auf die Baustelle zu, die ihr neu war. Als sie das letzte Mal hier gewesen war, war das hier noch ein freies Grundstück, das schon ewig brach lag und niemandem zu gehören schien. In der Nacht hatte es geregnet, was den Boden aufgeweicht hatte. Ihr wurde schlecht, denn das Wälzen im Matsch war eine der Lieblingsbeschäftigungen ihres Hundes. Sie hatte einen Zahnarzttermin, den sie mit einem vermatschten Hund vergessen konnte. Es würde ihr nichts anderes übrigbleiben, als Kai-Uwe zu baden und vorher den Termin abzusagen. Verdammter Mist! Der freie Tag hätte so schön werden können!

      Kai-Uwe rannte über die Baustelle, auf der zum Glück nicht gearbeitet wurde. Zumindest gab es mit den Bauarbeitern keinen Ärger. Vor der Absperrung blieb sie stehen. Ob sie es wagen konnte, die Baustelle zu betreten? Überall standen Warnschilder, die ihren Kai-Uwe natürlich nicht interessierten und die sie jetzt auch ignorieren musste. Die Baufahrzeuge hatten tiefe Spuren hinterlassen, die aufgeweicht waren und in denen sich jede Menge Wasser gesammelt hatte. Nach einigen Schritten waren ihre Schuhe dahin. Ihre Wut auf Kai-Uwe stieg. Er reagierte auf ihre Rufe nicht, er hielt es noch nicht einmal für nötig, sich umzudrehen. Na warte! Der konnte sich