Zwei Leichen und ein Todesfall. Irene Dorfner

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Название Zwei Leichen und ein Todesfall
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750214705



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über dessen Bauch spannte. Der darauf abgebildete Gitarrist, den außer Leo niemand kannte, zog sich ganz schön in die Breite.

      „Blödsinn!“, rief Leo und zog an dem T-Shirt. „Das ist bei der letzten Wäsche eingegangen.“

      „So, wie deine anderen Klamotten auch?“

      Alle lachten, auch Leo. Ja, er hatte zugenommen. Aber was sollte er machen? Seine Vermieterin und Ersatzmutter Tante Gerda kochte seit Wochen die leckersten Gerichte, bei denen er nicht widerstehen konnte. Außerdem backte sie herrliche Plätzchen, die er am Abend ja schließlich ausgiebig probieren musste. Dazu gab es bei den wöchentlichen Einkäufen zu viele Verführungen, denn Lebkuchen, Spekulatius und vor allem Marzipan wanderten immer auf wundersame Weise in seinen Einkaufswagen.

      Sogar der Staatsanwalt Eberwein hatte sich inzwischen eingefunden, auch wenn er nicht eingeladen war. Er war seit dem letzten großen Fall sehr handzahm geworden, was alle freute und weshalb er willkommen war. Eberwein war nervös, denn der heutige Besuch war nicht angenehm für ihn. Seine Bemühungen, einen Ersatz für die verletzte Diana Nußbaumer zu finden, die längst wieder auf eigene Verantwortung im Dienst war, trug überraschenderweise Früchte: Er musste bei der heutigen Gelegenheit den neuen Kollegen präsentieren, den er nicht mehr ablehnen konnte. Wie er das Krohmer und den anderen beibringen wollte, wusste er noch nicht. Er sah auf die Uhr. Nur noch eine halbe Stunde, dann war der Mann hier. Es war Zeit, die gesellige Runde zu unterbrechen und endlich allen reinen Wein einzuschenken. Er stand auf und klopfte mit seinem Siegelring mehrmals gegen sein Glas. Alle sahen den Staatsanwalt an. Wurde das jetzt wieder eine langatmige Rede, die keinen interessierte? Leo und Tatjana Struck, die Leiterin der Mordkommission, verdrehten die Augen, was Krohmer mit einem strengen Blick quittierte.

      „Wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte!“, begann der Staatsanwalt und lächelte gequält. „Ich soll Ihnen vom Oberstaatsanwalt Terpitz nochmals danken und Ihnen die besten Grüße ausrichten. Die Gerichtsverhandlung gegen die beiden Bottas-Brüder zieht sich zwar noch, aber er ist sich sicher, dass sie ihre gerechte Strafe bekommen werden. Die Ermittlungen, die die Aussage des Kronzeugen ausgelöst haben, haben den Bottas-Clan zerschlagen.“ Alle freuten sich über das Update und dieses Lob, denn das kam nicht oft vor. Alle schienen milde gestimmt zu sein, weshalb der Staatsanwalt zum eigentlichen Anliegen seines Besuches überging. „Wie Ihnen bekannt ist, habe ich mich um Ersatz für die Kollegin Nußbaumer bemüht.“

      „Was jetzt nicht mehr notwendig ist“, rief die achtundzwanzigjährige Diana Nußbaumer, der es hervorragend ging. Die Schusswunde war verheilt und die Schmerzen gehörten der Vergangenheit an.

      „Das ist zwar sehr schön, aber trotzdem ist der mir zugesagte Ersatz für Sie jetzt eingetroffen. In wenigen Minuten dürfte der Kollege hier sein.“

      „Sie verarschen uns doch!“, rief Tatjana Struck, die heute aussah, als wäre sie gerade erst aufgestanden. Sie hatte verschlafen, was niemanden etwas anging. Das hier war schließlich keine Modenschau, sie war wegen ihrer Arbeit hier.

      „Ich verbitte mir solche Äußerungen, Frau Struck!“, sagte der Staatsanwalt. „Der Mühldorfer Kriminalpolizei wurde Verstärkung bewilligt, die ich nicht mehr ablehnen kann. Dass die Kollegin Nußbaumer wieder voll im Einsatz ist, ist unstrittig und das habe ich auch gemeldet. Irgendwie muss das untergegangen sein. Bis ich das abgeklärt habe, bleibt der Kollege hier und steht der Kriminalpolizei zur Verfügung.“

      Rudolf Krohmer war sauer.

      „Wieso erfahre ich in dieser Art davon? Warum haben Sie mir das nicht längst mitgeteilt?“

      „Weil mir diese Information nicht vorlag. Es tut mir wirklich sehr leid, aber auch mir wurde erst vor zwei Stunden mitgeteilt, dass der Kollege bereits unterwegs ist und um elf Uhr in Mühldorf eintrifft. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen die Nachricht gerne zeigen.“ Eberwein wiederholte seine Erklärung. Ob man sie ihm abnahm?

      „Sie wissen seit zwei Stunden davon? Warum erfahren wir erst jetzt davon?“

      „Ich wollte Ihnen allen diese Nachricht gerne persönlich mitteilen.“

      Krohmer wäre am liebsten ausgerastet. Was fiel dem Staatsanwalt eigentlich ein? War das die korrekte Vorgehensweise, wenn es um einen solch wichtigen Punkt ging? Ganz sicher nicht! Trotzdem mahnte er sich zur Ruhe.

      „Um wen handelt es sich?“

      „Um einen gewissen Anton Graumaier. Mehr als den Namen habe ich leider auch nicht.“

      Es entstand eine heftige Diskussion unter allen Anwesenden. Das Klopfen an der Tür wurde nicht gehört. Anton Graumaier hatte sich bei Krohmers Sekretärin Maria Rettermaier gemeldet. Sie war überrascht gewesen, da sie nichts von einem neuen Kollegen wusste. Warum hatte ihr niemand etwas davon gesagt?

      Jetzt standen die beiden in der Tür und mussten mit ansehen und auch anhören, wie sich alle stritten, wobei nicht selten der Name Graumaier fiel. Maria Rettermaier verstand, dass nicht nur sie unwissend war, was den neuen Kollegen betraf. Langsam wurde ihr die Situation sehr unangenehm und sie sah sich dazu genötigt, einzuschreiten. Sie nahm ihre Finger in den Mund und pfiff sehr laut. Sofort war es still und alle Augen wanderten zur ihr und dem neuen Kollegen.

      „Darf ich vorstellen: Anton Graumaier, Ihr neuer Kollege.“

      Alle starrten den Mann an, der selbstbewusst grinste. Niemand der Anwesenden hätte damit gerechnet, dass es sich bei dem neuen Kollegen um einen zweiunddreißigjährigen, sportlichen Mann handelte, der dazu auch noch verdammt gut aussah. Die Jeans und das Hemd waren modern, die Sonnenbrille steckte trotz des schlechten Wetters im Haar. Als Graumaier die Blicke auf diese Brille bemerkte, nahm er sie mit einem fetten Grinsen ab und steckte sie in die Brusttasche seiner modernen Jacke, die für die Temperaturen viel zu dünn war.

      Krohmer stand auf und räusperte sich.

      „Herzlich Willkommen, Herr Graumaier. Ich möchte mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen. Dass wir in Ihrer Abwesenheit über Sie gesprochen haben, ist nicht persönlich gemeint. Wir haben alle erst jetzt von Ihnen erfahren.“

      „Passt schon“, grinste Graumaier. „Ich habe schon gemerkt, dass ich nicht erwartet werde. Irgendjemand muss geschlafen haben.“

      „Eberwein mein Name“, stellte sich der Staatsanwalt vor. „Es stimmt, dass ich Verstärkung angefordert habe, aber das ist lange her und wurde von mir bereits vorschriftsmäßig gecancelt. Ich werde mich sofort darum kümmern, was da schiefgelaufen ist.“

      „Aber bis dahin bleibe ich, oder?“ Graumaier hatte Diana Nußbaumer entdeckt und war begeistert. Wenigstens ein kleiner Lichtblick. Als er vor drei Tagen die Nachricht erhalten hatte, dass er eine vorübergehende Stelle in Mühldorf am Inn antreten musste, hielt sich seine Freude in Grenzen, denn er kannte die Gegend sehr gut. Schon wieder ging es in die Provinz! Wann bekam er endlich die Chance, sich in einer Großstadt beweisen zu können? Seine Karriere hatte vor zwei Jahren aufgrund von Sparmaßnahmen einen kleinen Knick bekommen. Die Festanstellung war dahin, dafür war er als Springer eingeteilt worden. Das bedeutete, dass er überall dort eingesetzt wurde, wo gerade Not am Mann war. Auch wenn man ihm immer wieder versprach, an der Situation etwas ändern zu wollen, blieb es dabei. Graumaier hasste es, immer wieder auf Fremde zu treffen und dann wieder gehen zu müssen, sobald er sich eingelebt hatte. Ja, er hätte sehr gerne wieder einen festen Job und ein gewohntes Umfeld. Aber Mühldorf? Warum nicht München, Nürnberg oder wenigstens Regensburg?

      „Bitte setzen Sie sich, Herr Graumaier“, sagte Eberwein, da sonst niemand reagierte. Es schien, als würden alle anderen in einem Schockzustand sein. „Bis ich die Angelegenheit geklärt habe, bleiben Sie selbstverständlich und sind Teil des Teams der Mordkommission Mühldorf.“

      „Freut mich“, sagte Graumaier und setzte sich. Es war totenstill. „Wenn ich mich nochmals selbst vorstellen darf? Meinen Namen kennen Sie bereits, allerdings nennen mich alle Toni, auf den Anton verzichte ich gerne. Ich bin zweiunddreißig Jahre alt, bin ledig und habe keine Kinder. Gebürtig komme ich aus Neuötting, wo ich auch meine Kindheit und meine Jugend verbracht habe. Die Gegend hier ist mir daher nicht unbekannt. Mit siebzehn Jahren hat es mich nach Landshut