Der Jüngling. Fjodor Dostojewski

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Название Der Jüngling
Автор произведения Fjodor Dostojewski
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750208926



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Wersilowa vergnügt ins Ohr flüsterte; auf mich hatte es offenbar keinen Bezug. Aber ich fragte mich: warum sucht denn dieses mir gänzlich unbekannte junge Mädchen meine dumme Heftigkeit und alles übrige zu vertuschen? Unmöglich konnte ich denken, daß sie sich so ganz ohne Grund an mich gewandt hatte: da steckte eine Absicht dahinter. Sie blickte mich sehr neugierig an, als wünsche sie, daß ich sie ebenfalls recht sehr beachten möchte. Alles dies habe ich mir nachher so zurechtgelegt, und ich habe mich nicht geirrt.

      »Wie? Wirklich heute schon?« rief der Fürst auf einmal und sprang von seinem Platz auf.

      »Also haben Sie es nicht gewußt?« fragte Fräulein Wersilowa erstaunt. »Olympe! Der Fürst hat nicht gewußt, daß Katerina Nikolajewna heute ankommt. Wir wollten ja doch jetzt eben zu ihr kommen, weil wir glaubten, sie wäre schon mit dem Frühzug gefahren und längst zu Hause. Aber wir sind mit ihr eben an der Haustür zusammengetroffen; sie kam direkt von der Bahn und sagte uns, wir möchten nur zu Ihnen gehen; sie selbst werde auch gleich kommen... Da ist sie ja schon!«

      Eine Seitentür öffnete sich, und – jene Frau erschien!

      Ich kannte ihr Gesicht schon von dem wundervollen Porträt, das im Arbeitszimmer des Fürsten hing; ich hatte dieses Porträt den ganzen Monat über studiert. In ihrer Gegenwart verbrachte ich jetzt in dem Arbeitszimmer etwa drei Minuten und wandte meine Augen auch nicht eine Sekunde von ihrem Gesicht. Aber wenn ich das Porträt nicht gekannt hätte und nach Ablauf dieser drei Minuten gefragt worden wäre, wie sie aussähe, so hätte ich nichts antworten können, so benommen war ich.

      Ich erinnere mich aus diesen drei Minuten nur an eine tatsächlich sehr schöne Frau, die der Fürst küßte und bekreuzigte und die auf einmal, unmittelbar nach ihrem Eintritt, anfing, mich anzublicken. Ich hörte deutlich, wie der Fürst mit einem kleinen, leisen Lachen etwas von dem neuen Sekretär murmelte, wobei er offenbar auf mich zeigte, und wie er meinen Familiennamen nannte. Sie warf das Gesicht in eigentümlicher Weise zurück, musterte mich auf abscheuliche Art und lächelte so frech, daß ich mich auf einmal in Bewegung setzte, zum Fürsten hintrat und heftig zitternd, kein Wort zu Ende aussprechend und wahrscheinlich mit den Zähnen klappernd, murmelte: »Ich muß jetzt... ich habe jetzt für mich zu tun... Ich gehe.«

      Damit drehte ich mich um und ging hinaus. Niemand sagte ein Wort, auch der Fürst nicht; alle sahen mich nur an. Der Fürst hat mir später gesagt, ich sei so blaß geworden, daß er es »geradezu mit der Angst bekommen habe«.

      Das hatte nun allerdings nichts zu sagen!

      Drittes Kapitel

      Das hatte wirklich nichts zu sagen; die höchste Vorstellung verschlang alles Geringere, und das eine mächtige Gefühl entschädigte mich für alles andere. Ich ging in einer Art Wonnerausch hinaus. Als ich auf die Straße trat, hätte ich am liebsten losgesungen. Und es traf sich auch noch, daß es ein entzückender Morgen war: Sonnenschein, Passanten, Lärm, Bewegung, Freude, Gedränge. – Wie? Hatte mich denn diese Frau nicht beleidigt? Von wem hätte ich einen solchen Blick und ein so freches Lächeln ertragen, ohne sofortigen Protest meinerseits, mochte er auch noch so dumm herauskommen (das wäre dabei egal)? Man beachte noch: sie war schon mit der Absicht angereist gekommen, mich so schnell wie möglich zu beleidigen, obwohl sie mich noch nie gesehen hatte: in ihren Augen war ich »ein Abgesandter Wersilows«, und sie war damals, ebenso wie noch lange nachher, davon überzeugt, daß Wersilow ihr Schicksal in seinen Händen habe und imstande sei, sie, wenn er wolle, mittels eines Schriftstücks zugrunde zu richten; wenigstens vermutete sie das. Hier fand ein Duell auf Leben und Tod statt. Und siehe da – ich war nicht beleidigt! Eine Beleidigung war erfolgt, aber ich empfand sie nicht! Ja noch mehr! Ich war sogar froh; ich war hergekommen, um sie zu hassen, und nun fühlte ich sogar, daß ich anfing, sie zu lieben. ›Ich weiß nicht‹, dachte ich, ›ob eine Spinne Haß gegen die Fliege empfinden kann, die sie zu fangen beabsichtigt! Liebe kleine Fliege! Ich glaube, man liebt sein Opfer; wenigstens kann man es lieben. Ich, ich liebe meine Feindin da: es gefällt mir zum Beispiel sehr, daß sie so schön ist. Es gefällt mir sehr, gnädige Frau, daß Sie so hochmütig und stolz sind: wären Sie bescheidener, so würde mein Vergnügen nicht so groß sein. Sie haben mich, bildlich ausgedrückt, angespien, aber ich triumphiere. Wenn Sie mir tatsächlich mit wirklichem Speichel ins Gesicht gespien hätten, auch dann wäre ich vielleicht nicht zornig geworden; denn Sie sind mein Opfer, meines, nicht das seine. Wie bezaubernd dieser Gedanke ist! Nein, das geheime Bewußtsein der Macht ist unvergleichlich angenehmer als die offenkundige Herrschaft. Wäre ich ein hundertfacher Millionär; so würde ich, wie ich glaube, ein besonderes Vergnügen darin finden, in einem ganz abgetragenen Rock zu gehen, damit man mich für einen armen Menschen, fast für einen Bettler hält, mich beiseite stößt und verachtet: mir würde das bloße Bewußtsein genügen.‹

      So ungefähr könnte ich meine damaligen Gedanken und meine Freude und vieles von meinen Empfindungen in Worte kleiden. Ich füge nur noch hinzu, daß es hier, in dem soeben Niedergeschriebenen, leichtfertiger klingt: in Wirklichkeit war ich tiefer und schamhafter. Vielleicht bin ich auch jetzt in meinem Innern schamhafter als in meinen Worten und Taten; Gott gebe es!

      Vielleicht habe ich sehr übel daran getan, daß ich mich hingesetzt habe, um das alles aufzuschreiben: in meinem Innern bleibt unvergleichlich viel mehr zurück als das, was in Gestalt von Worten herauskommt. Der Gedanke, mag er auch töricht sein, ist, solange man ihn bei sich behält, stets tiefer; in Worte gekleidet wird er lächerlicher und ehrloser. Wersilow hat einmal zu mir gesagt, das Gegenteil davon komme nur bei schlechten Menschen vor. Diese lügen nur und haben es dadurch leicht; aber ich gebe mir Mühe, die ganze Wahrheit zu sagen: das ist furchtbar schwer!

      An diesem 19. September unternahm ich noch etwas Besonderes.

      Zum erstenmal seit meiner Ankunft in Petersburg hatte ich Geld in der Tasche, denn meine im Laufe zweier Jahre zusammengesparten sechzig Rubel hatte ich, wie oben erwähnt, meiner Mutter gegeben; aber schon vor einigen Tagen hatte ich mir vorgenommen, an dem Tage, an dem ich mein Gehalt bekommen würde, den »Versuch« zu machen, von dem ich schon lange im stillen geträumt hatte. Tags zuvor hatte ich mir aus einer Zeitung eine Anzeige ausgeschnitten, eine Bekanntmachung des »Gerichtsvollziehers beim St.-Petersburger Bezirksgericht« usw. usw., welche besagte, daß »am 19. des laufenden Monats September um zwölf Uhr mittags im Kasaner Stadtteil, in dem und dem Revier usw. usw., im Hause Nr. soundso das bewegliche Eigentum der Frau Lebrecht versteigert werden solle« und daß »am Tag der Versteigerung ein Inventar der zu versteigernden Gegenstände mit beigefügten Taxpreisen eingesehen, auch die Gegenstände selbst besichtigt werden könnten« usw. usw.

      Es war kurz nach ein Uhr. Eilig ging ich zu Fuß nach dem angegebenen Hause. Schon seit mehr als zwei Jahren nehme ich nie eine Droschke – das ist ein fester Vorsatz von mir, sonst hätte ich mir auch die sechzig Rubel nicht sparen können. Ich war noch nie zu einer Auktion gegangen, ich hatte mir das noch nicht gestattet; was ich an diesem Tage unternahm, geschah freilich nur probeweise, aber ich hatte mir vorgenommen, auch, dies erst dann zu tun, wenn ich mit dem Gymnasium fertig sein, mich von allen getrennt haben, mich in mein Gehäuse verkrochen haben und vollständig frei sein würde. Allerdings war ich noch lange nicht in meinem »Gehäuse« und noch lange nicht frei; aber ich wollte ja jetzt auch nur eine Art Versuch machen, um zu sehen, wie es war, nur um davon träumen zu können; nachher wollte ich für lange Zeit wieder nichts unternehmen, bis zu dem Augenblick, wo es damit Ernst werden sollte! Für alle andern Leute war dies eine kleine, unwichtige Auktion; für mich war sie der erste Balken zu dem Schiff, auf dem Kolumbus ausfuhr, um Amerika zu entdecken. Das waren meine damaligen Empfindungen.

      Als ich an Ort und Stelle gelangt war, ging ich über den Hof des in der Bekanntmachung bezeichneten Hauses ganz nach hinten und betrat die Wohnung der Frau Lebrecht. Diese Wohnung bestand aus einem Vorraum und vier kleinen, niedrigen Zimmern. In dem ersten Zimmer vom Vorraum aus stand ein Haufe von etwa dreißig Menschen, die Hälfte davon waren Bieter; die andern waren, nach ihrem Aussehen zu urteilen, teils neugierige Müßiggänger, teils Liebhaber solcher Gegenstände, teils heimliche Beauftragte der Frau Lebrecht; auch Kaufleute und Juden waren da, die es auf die Goldsachen abgesehen hatten, sowie einige besser Gekleidete. Sogar die Gesichter einiger dieser