Der Jüngling. Fjodor Dostojewski

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Название Der Jüngling
Автор произведения Fjodor Dostojewski
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750208926



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über dieses Thema, hierbei nicht sehr unterhaltsam war, so verstimmte ihn das manchmal sehr.

      Und gerade an diesem Morgen begann er, kaum daß ich eingetreten war, ein derartiges Gespräch. Ich traf ihn in heiterer Stimmung, während er tags zuvor, als ich ihn verließ, aus irgendeinem Grund sehr traurig gewesen war. Indessen mußte ich unbedingt noch an diesem Tag die Gehaltsfrage erledigen, ehe noch gewisse Personen ankamen. Nach meiner Berechnung müßten sie an diesem Tag bestimmt unser Gespräch durch ihre Ankunft unterbrechen (mein Herzklopfen hatte schon seinen guten Grund), und dann kam ich vielleicht nicht mehr dazu, von dem Geld anzufangen. Aber da ich es nicht fertigbrachte, die Geldfrage anzuregen, so ärgerte ich mich natürlich über meine Dummheit, und in meinem Verdruß über eine gar zu vergnügte Frage des Fürsten setzte ich ihm, wie ich mich heute noch deutlich erinnere, meine Ansichten über die Frauen in einem unhemmbaren Erguß und mit großer Heftigkeit auseinander. Die Folge davon war, daß er sich noch mehr amüsierte, und zwar auf meine Kosten.

      »... Ich kann die Frauen nicht leiden, weil sie grob und ungeschickt und unselbständig sind und weil sie unanständige Kleidung tragen!« schloß ich schroff meine lange Tirade.

      »Aber Täubchen, mach's gnädig!« rief er höchlichst amüsiert, was mich noch wütender machte.

      Ich bin nur bei Kleinigkeiten nachgiebig, wo es aber sich um Wichtiges handelt, gebe ich niemals nach. Bei Kleinigkeiten, bei Fragen, wie sie im gesellschaftlichen Verkehr vorkommen, lasse ich alles mögliche mit mir aufstellen und verwünsche immer diesen Zug meines Charakters. Aus ekelhafter Gutmütigkeit stimme ich manchmal sogar einem weltmännischen Gecken zu, einzig und allein, weil ich mich von seiner Höflichkeit habe bezaubern lassen, oder ich lasse mich mit einem Dummkopf in einen Disput ein, was das Unverzeihlichste ist. Das alles kommt von mangelhafter Erziehung und Gewöhnung her und davon, daß ich in der Abgeschiedenheit aufgewachsen bin. Ich ärgere mich über mein Benehmen und schwöre mir, daß sich das am nächsten Tag nicht wiederholen wird, aber am folgenden Tag mache ich es wieder ebenso. Das ist der Grund, weshalb mich die Leute manchmal für kaum sechzehnjährig halten. Aber statt mir eine Selbstdressur angedeihen zu lassen, ziehe ich auch jetzt vor, mich immer mehr in meinen Winkel zurückzuziehen, und zwar in der menschenfeindlichsten Manier: ›Na, wenn ich ungeschickt bin, schön! Dann leben Sie alle wohl!‹ Ich sage das hier in vollem Ernst und ein für allemal. Übrigens habe ich dabei durchaus nicht den Fürsten und das damalige Gespräch im Auge.

      »Ich rede ganz und gar nicht, um Sie zu amüsieren«, schrie ich ihn beinah an, »ich spreche nur meine Überzeugung aus.«

      »Aber wieso sind denn die Frauen grob und unanständig gekleidet? Das ist ja etwas ganz Neues!«

      »Allerdings sind sie grob. Gehen Sie ins Theater, gehen Sie auf die Promenade! Jeder Mann weiß, welches die rechte Seite ist, und wenn sich zwei begegnen, so kommen sie ohne Schwierigkeit aneinander vorbei: er geht rechts, und ich gehe rechts. Aber eine Frau, das heißt, eine Dame - von Damen rede ich -, geht gerade auf einen los, ohne einen auch nur zu beachten, als ob man unbedingt verpflichtet wäre, beiseite zu springen und ihr Platz zu machen. Ich bin bereit, ihr, als einem schwächeren Geschöpf, Platz zu machen, aber woher hat sie ein Recht darauf, wieso ist sie davon überzeugt, daß ich dazu verpflichtet sei? Das ist das Beleidigende! Ich habe bei solchen Begegnungen immer ausgespuckt. Und trotzdem erheben sie noch ein großes Geschrei, sie befänden sich in einer unwürdigen Stellung, und fordern Gleichberechtigung; was ist das für eine Gleichberechtigung, wenn die Frau mich mit Füßen tritt oder mir den Mund voll Sand stopft?«

      »Voll Sand!«

      »Ja, weil sie unanständig gekleidet sind; man muß ein sittlich verkommener Mensch sein, um das nicht zu bemerken. Beim Gericht werden die Türen zugeschlossen, wenn etwas Unanständiges verhandelt wird; warum erlaubt man denn so etwas auf den Straßen, wo doch mehr Menschen sind? Die Frauen stopfen sich hinten offenkundig etwas unter den Rock, um als belle femme zu erscheinen; offenkundig! Ich kann nicht umhin, das zu bemerken, und jeder Jüngling, jeder heranwachsende Knabe bemerkt es; das ist gemein. Mögen alte Lüstlinge sich an solchem Anblick weiden und diesen Frauen brünstig nachlaufen, aber es gibt eine reine Jugend, die behütet werden muß. Es bleibt einem nichts weiter übrig, als auszuspucken. Da geht so eine auf dem Boulevard und zieht eine anderthalb Ellen lange Schleppe hinter sich her und wirbelt damit den Staub auf; dahinter zu gehen, ist ein Ding der Unmöglichkeit: man muß sie entweder im Laufschritt überholen oder zur Seite springen, sonst stopft sie einem fünf Pfund Sand in Nase und Mund. Und noch dazu ist es Seide, was sie so drei Werst weit über die Trottoirsteine hinschleift, nur weil es Mode ist; ihr Mann aber bekommt als Senatsbeamter fünfhundert Rubel im Jahr: das führt dann zur Annahme von Bestechungsgeldern! Ich habe immer ausgespuckt, laut ausgespuckt und geschimpft.«

      Ich schreibe dieses Gespräch zwar mit einigem Humor in meiner damaligen charakteristischen Ausdrucksweise nieder, aber meine Anschauungen sind dieselben geblieben.

      »Und das ist immer gut abgelaufen?« erkundigte sich der Fürst neugierig.

      »Ich spucke aus und gehe weg. Natürlich bemerkt sie es, tut aber, als hätte sie nichts bemerkt, und stolziert, ohne den Kopf umzudrehen, majestätisch weiter. Ernstlich beschimpft habe ich nur ein einziges Mal zwei Damen, beide mit Schleppen, auf dem Boulevard, natürlich nicht mit häßlichen Ausdrücken, sondern ich bemerkte nur laut, eine Schleppe sei eine tätliche Beleidigung.«

      »So hast du dich ausgedrückt?«

      »Jawohl. Erstens wird dadurch die gesellschaftliche Ordnung gröblich verletzt, und zweitens macht es Staub; der Boulevard aber ist für alle da: ich gehe da, ein zweiter geht da, ein dritter, ein Fjodor, ein Iwan, ganz egal, wer es ist. Das war's, was ich sagte. Und überhaupt kann ich den Gang der Frauen, von hinten gesehen, nicht leiden; das habe ich ebenfalls gesagt, aber nur andeutungsweise.«

      »Aber, mein Freund, da kannst du dir ernstliche Unannehmlichkeiten zuziehen; sie konnten dich vor den Friedensrichter schleppen.«

      »Gar nichts konnten sie. Sie hatten nichts, worüber sie sich hätten beschweren können: da geht ein Mensch neben ihnen und spricht mit sich selbst. Jeder Mensch hat das Recht, seine Ansicht in die freie Luft hinzusprechen. Ich habe nur ganz allgemein geredet; an die beiden Damen habe ich mich nicht gewandt. Sie selbst waren es, die mit mir anbanden: sie fingen an zu schimpfen und schimpften in weit häßlicherer Weise als ich: ich sei ein Grünschnabel, man müsse mir zur Strafe nichts zu essen geben, ein Nihilist sei ich, und sie würden mich einem Schutzmann übergeben, und ich hätte nur deshalb mit ihnen angebunden, weil sie allein gingen und schwache Frauen seien, aber wenn sie einen Mann bei sich hätten, dann würde ich sogleich Reißaus nehmen. Ich antwortete ihnen kaltblütig, sie möchten mich nicht weiter belästigen, ich würde auf die andere Seite der Straße hinübergehen. Um ihnen aber zu zeigen, daß ich vor ihren Männern keine Furcht hätte und eine Forderung anzunehmen bereit sei, würde ich ihnen in einer Entfernung von zwanzig Schritten bis zu ihrem Hause folgen, mich dann vor das Haus hinstellen und auf ihre Männer warten. Das tat ich denn auch.«

      »Wirklich?«

      »Natürlich war es eine Dummheit, aber ich war eben in gereizter Stimmung. Sie schleppten mich mehr als drei Werst weit in der Hitze bis dahin, wo die Institute sind, und gingen in ein einstöckiges Holzhaus hinein. Ich muß gestehen, das Haus sah sehr anständig aus: durch das Fenster sah man drinnen eine Menge Blumen, zwei Kanarienvögel, drei Stubenhündchen und einige eingerahmte Kupferstiche. Ich stand ungefähr eine halbe Stunde mitten auf der Straße vor dem Hause. Sie sahen dreimal verstohlen aus dem Fenster, aber dann ließen sie alle Rouleaus herab. Endlich trat aus dem Torpförtchen ein ältlicher Beamter heraus; nach seinem Aussehen zu urteilen, hatte er geschlafen und war von den Damen eigens geweckt worden; er trug nicht gerade einen Schlafrock, aber ein Kostüm, das durchaus nur fürs Haus paßte. Er blieb bei dem Pförtchen stehen, legte die Hände auf den Rücken und begann mich anzusehen, und ebenso ich ihn. Manchmal wandte er die Augen von mir ab, dann blickte er wieder nach mir hin, und auf einmal lächelte er mir zu. Da drehte ich mich um und ging weg.«

      »Aber das ist ja Schillerscher Idealismus, mein Freund! Ich habe mich immer gewundert: du hast so schöne rote Backen, dein Gesicht strotzt nur so von Gesundheit, und dabei ein solcher, man kann sagen, Widerwille gegen die