Ein naheliegendes Opfer. Elisa Scheer

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Название Ein naheliegendes Opfer
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844278705



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Leitzordner und kämpfte damit, keinen fallen zu lassen.

      Klein, schmal, blond – perfekt.

      Er wartete, bis sie nahe genug herangekommen war und die Ordner auf einen leeren Schreibtisch hatte fallen lassen. „Puh, diese blöden Dinger! Man kann Dokumente doch speichern, wieso wird hier eigentlich alles immer noch ausgedruckt und abgeheftet? Voll das vorige Jahrhundert…“

      „Frau Heckel?“

      Sie sah auf. „Ja?“

      „Schönberger, Kripo Leisenberg. Mordkommission. Sie haben doch schon gehört, was passiert ist?“

      „Ja, klar. Keiner redet hier von etwas anderem. Der Chef ist tot. In seinem Wochenendhaus oder Hütte oder so, gell?“

      „Ja, Mensch, Alina – stell dir vor, du wärst da mitgefahren, du wärst jetzt ja vielleicht auch tot? War es denn ein Raubüberfall, Herr Kommissar?“

      „Aha?“ Joe wandte sich Alina zu, die ihrer Kollegin giftige Blicke zuwarf. „Warum haben Sie mir das denn nicht gesagt?“

      „Hätte ich schon noch, ich bin ja gar nicht dazu gekommen! Außerdem war eh klar, dass ich nicht mitfahre, ich weiß gar nicht, warum der Senior mich so albern angemacht hat, er hätte ja mein Opa sein können. Und nett war er auch nicht.“

      „Aber er wollte, dass Sie ihn begleiten?“

      „Ja, schon. Angeblich, um über meine Zukunft zu reden – aber das konnte ich mir schon vorstellen. Kam absolut gar nicht in Frage.“

      „Und das haben Sie Creutzer auch gesagt?“

      „Spinnen – tschuldigung, aber das ist doch nicht ihr Ernst? Mit dem streitet man nicht. Man tut, als hätte man seine Andeutungen nicht registriert und haut bei der erstbesten Gelegenheit ab. Aber ich war so vage, dabei muss er sich eigentlich was gedacht haben… Es kann nicht sein, dass er sich umgebracht hat? Weil er gemerkt hat, dass er alt und verbraucht ist und keine Mädels mehr abschleppen kann?“

      Kess unterwegs, die Kleine. In dieser Hinsicht passte sie nicht so ganz ins Beuteschema – obwohl…

      Er schüttelte langsam den Kopf. „Kein Selbstmord, kein Raubüberfall. Ein überlegter und nicht gerade zartfühlender Mord. Sie wissen, wo diese Hütte ist?“

      Alina zuckte die Achseln. „Auf dem Land, im Wald. Ganz ehrlich, wenn er es mir gesagt haben sollte, hab ich´s nicht mitgekriegt. Aber wozu hätte er es mir sagen wollen? Wenn ich da auf eigene Faust vorgefahren wäre, hätte ich doch beim ersten Grabschen wieder abhauen können – und ich kann mir nicht vorstellen, dass das in seinem Sinne gewesen wäre. Doch, Moment, er hat irgendwas von Maria Blut gesagt, ist das da irgendwo in der Gegend?“

      Joe nickte. „Hinter Geresing.“

      „Aha. Ich hab´s gar nicht mit ländlicher Idylle. Wenn mir einer ein Wochenende spendieren will, um mich flachzulegen, dann soll er New York aussuchen. Na, oder wenigstens Berlin. Meinetwegen auch bloß München. Aber ein Häuslein im Wald? Vielleicht noch Rehe füttern? Nicht meins.“

      Joe blinzelte leicht benommen. Dieser Fall strotzte vor redseligen Frauen. Und keine hatte den blöden alten Sack ernst genommen! Wozu hätten die ihn noch töten sollen?

      Er konnte ihnen doch nichts – er zahlte ihnen sowieso nichts, die einzige, die für ihn arbeitete, war diese Alina, und die hatte ja die Nummern von Betriebsrat und Arbeitsgericht sozusagen schon im Handy gespeichert. Und peinlich war der auch nichts.

      Ob die Tochter wenigstens ein Hühnchen war? Und die Mutter dazu?

      Oder hatten Sohn und Kompagnon so richtig unter Creutzer gelitten? Und was war überhaupt mit den anderen Geschwistern?

      Am besten zurück ins Präsidium… er verabschiedete sich von den beiden Mädchen, die ihm freundlich nachwinkten, und fuhr zurück.

      22

      Anne hatte die guten Laugenstangen mit Mohn, Sesam, Kümmel und etwas Käse darauf mitgebracht. Sie stellte den Teller in die Mitte und verkündete: „Eine Runde Frustfutter. Oder hat irgendjemand irgendeinen Verdächtigen ausgemacht?“

      „Nur vergnügte, redselige Weiber. Der Arsch kann einem nachgerade direkt leidtun“, verkündete Max.

      „Das würde ich so nicht unterschreiben wollen“, wandte Liz ein, die sich daran erinnerte, wie Creutzer die schwangere Christine Merten abgefertigt hatte.

      „Komm, also zumindest diese Tochter hat ihn total fertiggemacht.“

      „Hat er bestimmt verdient“, trat Liz noch nach. „Wie soll sie das denn überhaupt gemacht haben?“

      Max kicherte. „Gar nicht blöd… sie arbeitet für die Konkurrenz und hat ihm die besten Leute abgeworben und bei irgendwelchen Abschlüssen ihn mit besseren Bedingungen ausgestochen. Ihr zufolge ist der Mord hauptsächlich ärgerlich, weil man ihr jetzt ihr Opfer weggenommen hat. Und anscheinend hat er so auch nie erfahren, wer ihm da die Geschäfte versaut. Das wollte sie ihm wohl hinreiben, wenn er so richtig am Boden liegt.“

      Liz legte den Kopf schief. „Würdest du sagen, dass sie damit kein Motiv hat?“

      „Schwer zu sagen. Sie könnte natürlich gelogen haben und sich im Inneren vor Rache verzehrt haben, aber ich glaube es nicht. Sie machte auf mich einen eher entspannten Eindruck. Und man sagt ja immer, die beste Rache ist ein gutes Leben – die Merten ist Marketingchefin bei Digital Equipment, das ist für eine Frau um die Dreißig doch schon ziemlich gut. Ohne Papas Hilfe.“

      „Rabenpapas Hilfe“, korrigierte Liz. „Gut, mag sein. Der Mutter geht es auch nicht schlecht. Der Alte hat sie zwar sehr grausam abgebürstet, als sie schwanger war, aber sie kam auch so zurecht.“ Sie erzählte der Runde von Creutzers Vorschlag mit den gut platzierten Tritten, und alles schwieg kurz betroffen. „Schade, dass man einen Toten nicht mehr belangen kann“, knurrte Anne dann.

      „Ihn wenigstens auf Gefängnisgrund verscharren“, schlug Joe vor. „Übrigens dürfte Creutzer mit seiner Neuen auch kein so glückliches Händchen gehabt haben.“ Er kramte in der Brezentüte herum, bis Liz schimpfte: „Jetzt mach´s nicht so spannend!“

      Er sah auf und grinste. „Die Neue ist eine Azubine namens Alina Heckel, und sie mag Creutzer nicht. Was soll ich mit so einem Opa, und nett war er ja auch nicht, waren so ungefähr ihre Worte. Er wollte sie übers Wochenende in die Hütte mitnehmen, um ihre Zukunft zu besprechen, und sie hat die Einladung großzügig überhört. War wohl auch besser so.“

      „Aha. Im Klartext: Ab in die Heia oder das mit der Zukunft hat sich erledigt? Echt schade, dass der Sack tot ist. Das wäre jetzt auch noch Nötigung. Vielleicht noch Missbrauch von Schutzbefohlenen… Den hätte man so schön vor Gericht bringen und ordentlich vorführen können“, maulte Anne.

      Max lachte. „Setz dich mal mit Kira Merten zusammen, die denkt doch genauso. Haben die Firmenfinanzen denn etwas ergeben?“

      Anne nickte. „Der Laden geht schlecht, und daran dürfte die Konkurrenz ja wohl nicht ganz unschuldig sein. Die Kreditlinie ist ziemlich ausgereizt, die Bank scheint an weiteren Krediten ohne einen ordentlichen Relaunch nicht interessiert zu sein – im Klartext: Geld nur bei Austausch der Geschäftsleitung. Creutzer soll in der Bank gedroht haben, die Bank zu wechseln, was dort aber nur auf freudige Zustimmung gestoßen ist. Der zuständige Sachbearbeiter war der Ansicht, je schneller der Sohn die Zügel in die Hand bekommt, desto eher ist der Laden noch zu retten. Das hat der Alte natürlich ganz anders gesehen und von einer Politik der Stärke gefaselt und dass man gegenüber Verhandlungspartnern entschieden auftreten muss.“

      Joe gluckste. „Hat sich selbst ins Aus geschossen – kennen wir Vertragspartner?“

      Max meldete sich: „Kira Merten hat was von einem Joint-Venture mit Criscom gesagt, könnt ihr damit etwas anfangen?“

      „Oh ja“, sagte Anne. „Das ist in unserem kleinen Becken wohl der größte Fisch, was diese Sparte der Elektronik-Branche