Ein naheliegendes Opfer. Elisa Scheer

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Название Ein naheliegendes Opfer
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844278705



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ist wohl eher sowas wie eine Nebenfrau. Geringerer Rechtsstatus oder so.“

      „Nicht, wenn man nach dem Gesetz geht.“

      „Ich weiß. Ich habe das wohl eher gesellschaftlich gemeint. Aber die Frage hat mich jetzt auch nicht wirklich umgetrieben.“

      „Wie hat Ihre Mutter es eigentlich geschafft, Sie alleine großzuziehen?“

      „Schaffen das die meisten Frauen nicht weitgehend alleine? Ich meine, sind die Väter, speziell in der Generation, so aktiv beteiligt oder schaffen sie bloß das nötigste Geld heran?“

      „Mag sein.“ Emanze auch noch, ärgerte sich Max – da fand er nicht so leicht einen Zugang! „Aber das Geld ist ja auch nicht so unwichtig, oder?“

      „Natürlich. Also, die Einzelheiten erfragen Sie natürlich besser bei meiner Mutter, aber soweit ich weiß, war Mama, als sie mit mir schwanger wurde, im fünften Semester Bibliothekswissenschaften. Meine Großeltern leben auch in Leisenberg, in Selling, und Mama hat dann ihr Zwergenappartement an der Uni aufgegeben, als es an der Zeit war -“ Sie unterbrach sich und gluckste kurz. „Ich habe mal ein Foto von dieser Wohnung gesehen – das können kaum zwanzig Quadratmeter gewesen sein, inklusive Nasszelle, und ein gottvoller Saustall, ich musste meine eigene Mutter direkt streng ansehen!“

      Max nickte.

      „Gut, also ist sie nach Selling zurück, und dort waren wir dann, bis sie mit dem Studium fertig war, das waren auch nur noch zwei Jahre. Sie hat dann erst einmal in der Städtischen Bibliothek angefangen, richtige Bibliothekarinnen – also, nicht bloß Bibliotheksangestellte – sind gar nicht so häufig. Dann bin ich in den Kindergarten gekommen, und sobald ich da gut aufgeräumt war, ist Mama mit mir wieder in eine eigene kleine Wohnung gezogen. Omi hat mich dann eben immer vom Kindergarten und danach von der Schule abgeholt und mir Mittagessen gekocht, und so gegen fünf hat Mama mich dann wieder eingesammelt. Eigentlich war das nicht so schlecht… bei Omi gab´s mehr Süßkram und Fernsehen. Also, Sie müssen sich da kein Leben im Elend vorstellen, Bibliothekarinnen, gerade an der Uni, verdienen nicht so wenig. Und ab fünfzehn habe ich neben der Schule immer gejobbt, da waren ganz interessante Sachen dabei. Öfter auch in Firmen, wo ich ein bisschen ins Marketing reinschnuppern konnte.“ Sie lachte wieder. „Also, meistens durfte ich das Zeug von der Marketing-Abteilung kopieren und heften oder Werbeflyer falten, nichts Tolles also, aber da habe ich schon gemerkt, dass mich das interessiert. Also habe ich nach dem Abitur BWL studiert – und da bin ich jetzt.“

      „Da sind Sie jetzt“, wiederholte Max töricht. Irgendwie war hier kein Motiv zu sehen… aber vielleicht war diese Kira auch nicht ehrlich. Er überflog noch einmal seine Notizen, speicherte sie ab und klappte das Tablet zu, von Kira Merten nachsichtig betrachtet.

      „Haben Sie denn noch eine Frage? Ansonsten hätte ich nämlich jetzt gleich einen Termin in der Finanzabteilung.“

      „Nein, nein – aber es kann sein, dass wir noch einmal auf Sie zukommen.“

      „Klar. Ich wüsste schon auch gerne, wer den alten Creutzer umgebracht hat.“

      Und dir dein Spielzeug geklaut, dachte Max, während er den Raum verließ und der Vorzimmerdame freundlich zunickte.

      21

      Joe wanderte durch die einzelnen Abteilungen bei Creutzer Electronics und kam sich vor wie Inspector Columbo, von dem er erst am Wochenende eine uralte Folge gesehen hatte. Es fehlte ihm zwar am Trenchcoat und ganz besonders an dieser ekelhaften Zigarre, aber er war allen lästig und stellte dumme Fragen. Jedenfalls kam er sich so vor.

      Sicher, alle antworteten freundlich. Der Tod des Seniorchefs war eine Tragödie. Probleme? Welche Probleme? Jemand, der nicht gut mit ihm ausgekommen war? Aber nein, so jemanden gab es hier bestimmt nicht. Entlassungen? In letzter Zeit? Nein, da war hier – in der Personalabteilung – absolut nichts bekannt…

      Allmählich hatte er das Gefühl, die gesamte Belegschaft habe sich zusammengetan, um den Alten aus dem Weg zu räumen und dann eine Mauer des Schweigens zu errichten.

      Mauer des Schweigens – er wurde schon direkt melodramatisch!

      „Gibt es hier eigentlich Auszubildende?“, fragte er schließlich in der Personalabteilung nach, da ihm die Neigung Creutzers in den Sinn kam, ab und zu seine aktuelle Dame gegen ein neueres Modell auszutauschen. Wie ein Auto…

      Wäre ihm wohl eine Auszubildende zu jung?

      „Ja, Auszubildende haben wir. In der Produktion und im Büro. Was wollen Sie denn von denen? Glauben Sie wirklich, die wissen, wer den Chef umgebracht hat?“

      Joe lächelte – wie er hoffte, überlegen. „Wer weiß das schon? Und befragen müssen wir alle, wenn wir auch nicht allen die gleichen Fragen stellen. Sie habe ich doch auch befragt, und das heißt nicht, dass ich Sie besonders verdächtigen würde.“

      „Das wäre ja auch noch schöner!“, war die empörte Antwort, aber immerhin bekam er die Angabe, wo er diese Auszubildenden finden konnte.

      In der Produktion gab es zwei junge Männer, die den Seniorchef überhaupt noch nie gesehen hatten – sie kannten ihren Ausbilder und den Personalchef, die auch zusammen das Einstellungsgespräch geführt hatten, das war´s. Das einzige Mädchen, Sina Marx, groß, schmal, mit langen schwarzen Haaren, die sorgfältig zurückgebunden waren, um bei den feinmechanischen Arbeiten nicht zu stören, war einmal zum Seniorchef geschickt worden. Warum, wusste sie eigentlich auch nicht: „Er hat nur ein paar Fragen gestellt, ob es mir gefällt und ob ich auch alles verstehe, und dann konnte ich schon wieder gehen. Keine Ahnung, was das sollte, dass hätte der Herr Müller“ – Kopfbewegung hin zu ihrem Ausbilder – „ihm alles ganz genauso sagen können.“

      Joe bedankte sich. Ihm war schon klar, was das sollte: Der Chef suchte nach Frischfleisch, aber die junge Frau Marx entsprach so gar nicht seinen Neigungen.

      Er seufzte auf dem Weg zur Verwaltung, weil ihm sein eigenes Beuteschema einfiel, mit dem er auch nie Glück hatte. Vielleicht, weil es diese großäugig-hilflosen Wesen gar nicht gab, vielleicht, weil die, die auf den ersten Blick zu passen schienen, dann doch deutlich eigenständiger agierten. Und richtige Hascherl gingen ihm ja dann auch wieder auf die Nerven.

      Egal jetzt.

      In der Verwaltung sollten es also zwei Mädchen sein, Alina Heckel und Liselotte Kurz. Er stieß die Tür zu einem sehr lebhaften Großraumbüro auf und sah sich um – mindestens zehn Frauen, die tippten, telefonierten, den Kopierer mit Fußtritten traktierten, Dokumente herumtrugen, sich einen Kaffee holten, Papiere in den Reißwolf steckten oder sich einfach unterhielten. Die meisten sahen aus wie Ende zwanzig, nur eine - auf den ersten Blick – passte altersmäßig.

      Er trat näher, zeigte seinen Ausweis, nannte seinen Namen und erfuhr, dass er Liselotte Kurz („Sagen Sie Lilo, das tun alle hier“) vor sich hatte. Etwas enttäuscht registrierte er zwar die wilden dunklen Locken und die kleine, eher pummelige Figur, aber das legte sich schnell, als er merkte, wie aufgeweckt und mitteilsam seine Gesprächspartnerin war.

      Sie hatte ihn in eine ruhige Gesprächsecke geführt, seiner Frage gelauscht und sogleich vielsagend geschnaubt: „Stimmt, er war immer hinter dem Typ naives, zartes Blondchen her, das hat man mir hier schon am ersten Tag erzählt. Mit konnte das ja scheißegal sein“ – sie kniff sich feixend in ihren Hüftspeck, der so arg auch wieder nicht war – „aber die Alina ist genau sein Typ.“

      „Und, lief da was?“

      „Quatsch! Ich bitte Sie, der Creutzer ist – war – ein alter Sack, der anscheinend zu Hause keinen Spiegel hatte. Alina ist neunzehn, wie ich auch, was soll man da mit so einer Großvaterfigur? Und dann war er ja auch so ein unangenehmer Typ, immer diese Andeutungen, dass sie doch weiterkommen möchte… Das heißt doch, ab in die Kiste oder Kündigung, oder? Ich hab ihr schon gesagt, damit gehen wir zur Gleichstellungsbeauftragten, und wenn die kneift, dann entweder zum Betriebsrat oder gleich zum Arbeitsgericht. Den hätten wir sowas von fertiggemacht – aber am Donnerstag war er wohl gar nicht so richtig entschlossen…“

      „Was