Ein naheliegendes Opfer. Elisa Scheer

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Название Ein naheliegendes Opfer
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844278705



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und ihm mit Hingabe gute Leute abgeworben. Kannst du dich noch an meine Schulfreundin Britta erinnern? Die ist Headhunterin in London und immer für einen Streich zu haben, sie hat bis jetzt schon etliche Leute aus CE rausgelockt. Ich wollte noch Carinas Lover einen anständigen Job verschaffen, damit sie ihren Alten mit großer Geste verlassen kann, aber das dürfte sich jetzt ja wohl erledigt haben.“

      „Kommt auf das Testament an“, gab ihre Mutter zu bedenken.

      „Ach komm, noch war er nicht ruiniert. Auch der Pflichtteil müsste da doch recht nett ausfallen. Und alle Leute kann er ja auch nicht mit einem Pflichtteil abspeisen, was geschieht denn dann mit dem Rest?“

      „Er könnte irgendeine Stiftung gegründet haben“, schlug ihre Mutter vor.

      „Aus purer Schikane? Ja gut, kann sein… obwohl, ich glaube, sowas planen die Leute immer, halten sich aber für unsterblich – und er war ja auch erst Anfang sechzig, oder? – und machen es dann nicht rechtzeitig. Dann beißen sie ins Gras und die gesetzliche Erbfolge tritt ein.“

      „Auch wieder wahr… ich wüsste ja gerne, wie man ihn so einfach umbringen konnte, er war doch für sein Alter recht gut in Form, oder?“, sinnierte ihre Mutter. „Früher wenigstens war er einigermaßen sportlich. Und ziemlich groß… na, das war er jetzt bestimmt immer noch… ich meine, ohne Waffe hätte man ihn sicher nicht so einfach – äh. Darüber mag man dann doch nicht so genau nachdenken.“

      „Stimmt. Und ich weiß auch nur, dass es in einer Hütte oder einem Jagdhaus passiert ist.“

      „Stimmt, Marie Louise hat mir mal erzählt, dass er da gerne die Wochenenden verbracht hat, und nicht immer alleine. Anfangs wohl auch mit Carina, aber er brauchte ja immer schnell Abwechslung. Kennst du eigentlich Tatjana?“

      „Das ist die, die so alt ist wie ich, oder?“

      „Fast auf den Tag genau. Muss man sich mal vorstellen, da war er gerade mal zwei Jahre verheiratet, hat einen einjährigen Sohn, schläft auch durchaus noch mit seiner Frau – daher ja Tatjana und die anderen beiden – und geht schon fremd! Eigentlich unglaublich, oder?“

      Kira schnaubte ins Telefon. „Die Gnade der späten Geburt – stell dir mal vor, der wäre heute um die dreißig, Marie Louise hätte ihn doch hochkant rausgeschmissen und ihm vor Gericht noch sein halbes Vermögen abgenommen, und womit? Mit Recht.“

      Ihre Mutter gab zweifelnde Geräusche von sich. „Kira, du schließt von dir auf andere. Es gibt heute auch noch jede Menge Frauen, die wider besseres Wissen an einer Ehe festhalten. Weil sie kein Geld haben, weil sie wegen kleiner Kinder nicht genug arbeiten können, weil der Ehemann die besseren Anwälte hat, weil sie nicht zugeben wollen, dass es nicht geklappt hat, weil sie glauben, so ein Vater ist immer noch besser als gar keiner, weil… es gibt tausend Gründe.“

      „Keine guten.“

      „Das hab ich auch nicht gesagt. Schau, warum bleibt denn Carina bei ihm? Die ist Anfang vierzig, also fast deine Generation.“

      „Na danke! Aber die Karte sticht… wieso hat sie ihm den Kram nicht hingeschmissen und ist zurück in ihr altes Leben? Alles ist doch besser als mit dem alten Sack verheiratet zu sein!“

      „Naja, ich glaube, Carina war vorher in irgendeinem Büro. Vielleicht zieht es sie dahin nicht so arg zurück?“

      „Wieso, Büroarbeit ist doch recht angenehm, so viel anders arbeiten wir schließlich auch nicht?“, wunderte sich Kira.

      „Kindchen, du hast eine Führungsposition und ich arbeite wissenschaftlich. Stell dir vor, du müsstest tagaus, tagein Routinekram arbeiten, kopieren, ablegen, Kaffee kochen – wie früher während des Studiums. Das wird doch irgendwann langweilig!“

      „Schon, aber man kommt abends heim und hat himmlische Ruhe. Kein Drecksack Creutzer, das wäre es doch wert, oder?“

      Ihre Mutter kicherte. „Du bist wirklich noch ein Kindskopf – aber so Unrecht hast du auch wieder nicht.“

      „Was glaubst du, wie es weitergeht, Mama?“

      „Kira, ich kenne Krimis auch nur aus Büchern. Und aus dem Fernsehen. Müssten sie nicht unsere Alibis erfragen? Und nach Motiven suchen? Wahrscheinlich tauchen sie bei uns allen am Arbeitsplatz und zu Hause auf und vielleicht fragen sie auch, ob sie sich umsehen dürfen.“

      „Oder kommen mit Durchsuchungsbeschluss“, prophezeite Kira düster. „Ich wüsste ehrlich gerne, wer das war.“

      „Um ihm die Hand zu schütteln?“

      „Naja, ein bisschen. Und damit die ganze Aktion wieder vorbei ist.“

      „Für dein jugendliches Alter hast du ziemlich wenig Interesse an spannenden Ereignissen“, neckte ihre Mutter sie.

      MI, 06.05.2015

      24

      Anne war am nächsten Morgen wie meistens als erste im Büro und betrachtete sich erst einmal die Fotos an der Wand – Hartriegel, Reifenspuren, Mordopfer von allen Seiten. Dann setzte sie die Kaffeemaschine in Gang und überlegte.

      Hass. Hass musste das Motiv sein, sonst hätte man eine weniger grausame Mordmethode finden können. Dumm nur, dass alle Beteiligten Grund gehabt hätten, Creutzer zu hassen, auch wenn die redseligen Weiber – in diesem Fall eine sehr zutreffende Bezeichnung für Creutzers Harem – eher entspannt gewirkt hatten. Vielleicht waren sie aber auch begnadete Schauspielerinnen…

      Die Reifenspuren hatte Joe gestern mit Max zusammen noch zugeordnet – ein typisches Modell für Geländewagen. Wer von allen Beteiligten fuhr einen Geländewagen? Das konnte zusammen mit den Alibis überprüft werden… nach Jeep oder ähnlichem sahen die aber eigentlich alle nicht aus.

      Die jüngeren Kinder hatten sie sich gestern noch gar nicht vorgenommen, wann denn auch?

      Sie war noch dabei, sich das alles zu notieren, als Max und Liz hereinkamen, jeder mit einer verführerischen Tüte im Arm.

      „Brezen?“

      „Besser“, grinste Max. „Brotzeitstangerl.“

      „Und wem das zu üppig ist, ich habe Vollkornkringel mit Sonnenblumenkernen drauf“, outete Liz sich als Konkurrenz.

      „Ihr konntet euch beim Bäcker wohl nicht einigen?“, spottete Anne. Während sie die Tagesaufgaben an die Tafel schickte, zankten sich Liz und Max, während sie ihre Angebote auf Teller schichteten, wer hier Machofraß und wer pseudogesunden Mädelskram eingekauft hatte. Anne grinste in sich hinein – so lange war es noch nicht her, dass sie sich mit dem armen Joe ähnliche Wortgefechte geliefert hatte.

      Der arme Joe kam zu spät, er hatte verschlafen, was seiner out-of-bed-Frisur auch deutlich anzusehen war.

      „Iss was“, bot Max ihm sofort ein Brotzeitstangerl an; Anne wies auf den mittlerweile fertigen Kaffee hin und lehnte sich gemütlich zurück.

      „So, wer macht nun was? Ich hätte Autotypen und Alibis bei allen im Angebot, auch bei den jüngeren Geschwistern, die Frage nach Creutzers Testament, nochmal nach den Firmenfinanzen und nach weiteren Details von der Spurensicherung. Sucht euch was aus, ich mache den Rest.“

      „Autos und Alibis bei allen in der Firma“, sagte Joe. „Nach den Finanzen kann ich dann auch gleich fragen. Und nach dem Anwalt der Familie.“

      „Da bleibt uns ja fast nichts mehr“, maulte Liz. „Dann nehme ich mal den Ableger und die Konkurrenz. Soll ich auch den DE-Chef mal interviewen?“

      „Warum nicht? Wieso der nicht gegen diese Rachepolitik der Merten gewesen ist, weiß ich auch nicht. Vielleicht hat der auch ein Hühnchen mit Creutzer zu rupfen? Also mach nur! Max?“

      Max überlegte. „Es war noch keiner bei den übrigen Kindern, oder? Dann mache ich da die Autos und die Alibis. Und vielleicht auch die Motive, vielleicht hatte da jemand ja einen richtigen Rochus auf den Alten.“

      Anne nickte. „Bleibt mir der Harem.