Название | Lücken im Regal |
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Автор произведения | Elisa Scheer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783746748634 |
Das Nicken wirkte eher teilnahmslos. Katrin schob ihr einen Block hin und bat um Name und Adresse der älteren Schwester und der WG.
Frau Rottenbucher kritzelte eine Zeitlang vor sich hin und schob den Block dann nachlässig zurück. Als Katrin sich das offenbar betont lustlos hingeworfene Geschreibsel durchgelesen hatte, fixierte sie die trauernde Mutter mit gereiztem Blick: „Hausnummern haben Sie nicht?“
„Wozu? Glauben Sie, wir schreiben uns Briefe? Fi wohnt in der Straße in dem Haus, wo unten der Metzger drin ist. Milly wohnt sowieso noch hier und diese Wohngemeinschaft oder wie man das nennt ist in der Floriansgasse, wenn die so heißt.“
„Florianstraße, wenn schon. Prima, das ist so etwa die längste Straße in der City. Kennen Sie da vielleicht auch einen Laden im Erdgeschoss?“
„Nein. Ich war da noch nie. Becky hat mich ja nie um einen Besuch gebeten.“ Dies in eindeutig beleidigtem Tonfall. Katrin und Joe wechselten einen Blick und verabschiedeten sich.
„Was ´ne blöde Kuh“, stieß Katrin auf der Straße hervor. „Die trauert doch gar nicht richtig, die ist doch bloß sauer, dass nicht alle brav zu Hause wohnen.“
„Kein Wunder, dass sich der Mann eine Lustigere gesucht hat“, stimmte Joe zu und öffnete die Fahrertür. „Schauen wir, ob wir diese Schwester finden, Fiona – wie noch? Fiona Rottenbucher ist ja auch eine abartige Kombination…“ Er stieg ein.
„Deshalb hat sie wohl auch einen Herrn Marsh geheiratet“, entzifferte Katrin auf dem Beifahrersitz. „Wahrscheinlich sind die sowieso beide bei der Arbeit. Um kurz vor zwei?“
„Schauen wir halt mal“, begütigte Joe und ließ den Motor an.
V
Ellis Erholungsphase hatte ungefähr eine Stunde gedauert, dann hatte Margret angerufen und erst einmal eine geschlagene Viertelstunde erzählt, sie habe in der Nacht geholfen, das total süüüße Fohlen der Stute Cindy auf die Welt zu befördern. „Das musst du dir mal vorstellen, sie ist ganz schwarz, aber sie hat schon eine weiße Blesse und einen weißen Strumpf, links vorne, das ist total selten. Nur einen Namen haben wir noch nicht.“
Elli, die bei Cindy an Cindy aus Marzahn, dabei an viel Rosa und dann an Kleinmädchenkram dachte (Leonie mit fünf Jahren!), schlug Kitty vor und war erstaunt, dass Margret darauf begeistert reagierte. Dann allerdings fragte sie misstrauisch: „Wieso bist du überhaupt schon zu Hause? Musst du gar nichts arbeiten?“
„Ich arbeite zu Hause“, schwindelte Elli sofort, denn sie hatte keines ihrer Projekte auch nur auf den Schreibtisch gepackt. Dann überlegte sie, dass sie auch einmal interessant sein wollte.
„Die Bibliothek ist gesperrt, weil sie dort eine Leiche gefunden haben.“
„Was! Wer ist denn tot?“
Erschrocken leugnete Elli jede Kenntnis der Toten. Hatte sie jetzt der Kripo womöglich die Ermittlungen versaut? Aber hätten die sie dann nicht zu Stillschweigen verpflichten müssen?
„Hast du die Leiche gefunden?“
„Nein. Die Kripo war schon da, als ich gekommen bin. Ich denke, die sammeln jetzt Spuren ein oder was die da halt so zu machen haben. In den Ferien kommen eh nicht so viele Leute. Nur die, die noch Hausarbeiten schreiben müssen.“
Margrets Interesse flaute spürbar ab, ihr Ausflug in den akademischen Bereich (Kommunikationswissenschaften) hatte nur zwei Semester vorgehalten, dann hatte sie festgestellt, dass ihr trockene Theorie nicht so lag. Als Immobilienkauffrau war sie auch sehr zufrieden, aber ihr Herz war ohnehin im Stall.
„Na, du scheinst es ja gut überstanden zu haben.“ Klang das leicht enttäuscht? Wenn schon, sie galt im Familienkreis ohnehin als gefühllos. Jemand, der kleine Kinder und süße Tiere nicht mochte.
Stimmte gar nicht, aber das war ihr ziemlich egal.
Margret verabschiedete sich und Elli überlegte, ob sie tatsächlich etwas arbeiten sollte, um der Lüge wenigstens einen dürftigen Anstrich von Wahrheit – nächster Anruf: Rena. Tatsächlich, eine Leiche? Sie sei doch sicher traumatisiert? Das könne Spätfolgen haben, wenn man sich nicht sofort um eine Therapie kümmere!
„Ich bin nicht traumatisiert, ich hab die Leiche doch kaum gesehen“, wehrte Elli sich mit langjähriger Routine gegen unerbetene psychologische Betreuung.
„Verdränge es nicht, Elli! Du kannst doch mit Gefühlen sowieso nicht richtig umgehen, sonst wärst du doch schon längst verheiratet und hättest eigene Kinder anstatt -“
„Anstatt was?“, fragte Elli wütend zurück. „Kannst du bitte endlich mal aufhören, deinen Lebensstil als allein seligmachend auszugeben? Es gibt Leute, die anders leben und das sind weder Idioten noch Verbrecher, auch wenn du mich für das eine und das andere hältst. Und ich frage mich langsam, warum ich mit Leuten Umgang pflege, die mich für eine bekloppte Versagerin, Sozialschmarotzerin und Kinder- und Tiermörderin halten.“
„Übertreib doch nicht immer so maßlos, das haben wir doch nie gesagt!“
„Oh doch, habt ihr. Wortwörtlich, und nicht nur einmal. Und diese Taktik ist das allerletzte, aber das kann ich auch: Du bist ein beschränktes Muttertier und ein ganz schlechtes Vorbild für deine Töchter.“
Sie wartete fünf Sekunden, dann kreischte Rena programmgemäß los: „Spinnst du? Wie kannst du so etwas behaupten? Ich bin doch nicht beschränkt!“
„Ach, übertreib doch nicht immer so, das hab ich ja nie gesagt… wenn du immerzu alles in den falschen Hals kriegst, musst du wohl ein Problem haben. Paranoia vielleicht? Du solltest dich dringend um eine Therapie kümmern!“
Rena knallte den Hörer auf und Elli grinste kurz über ihren Triumph, dann aber verfinsterte sich ihre Miene wieder: Jetzt würde sie garantiert den halben Tag schlechte Laune haben, weil ihre Schwestern sie verachteten! Die machten das doch mit Absicht!
Warum bloß? Neid? Das Bedürfnis, sich selbst besser zu fühlen? Fürsorge war es auf keinen Fall, Fürsorge kannten sie alle nur für ihre eigenen Interessen, egal, ob Pferde, Kinder oder Autos.
Warum waren drei so ähnlich geworden und sie selbst so ganz anders?
Mama war ein Vorbild für Rena, eindeutig. Papa dagegen arbeitete sich immer noch an seinen Nazieltern ab, obwohl die schon längst tot und begraben waren und so viel geistige Anstrengung überhaupt nicht verdienten. Elli hörte sich seine Tiraden ab und zu an und hoffte, dass darüber zu reden ihm endlich einmal half, damit abzuschließen. Er war ein Kriegskind gewesen und seine Mutter – eine große, hagere und ewig unzufriedene Person, die aller Welt vorwarf, dass sie ihren Mann nach vierwöchiger Ehe schon wieder verloren hatte – war ein grässliches Weib. Elli hatte mit vierzehn tatsächlich einmal eine Ohrfeige von ihr kassiert, weil sie gesagt hatte, man könne doch froh sein, dass der Krieg verloren gegangen sei, „sonst hätten wir diese Scheißnazis ja immer noch an der Backe!“
Der Ohrfeige war eine Tirade gefolgt, in der die Worte Undank, Patriotismus, Juden und Volkskörper vorkamen. Elli hatte ihre Großmutter daraufhin als antisemitische Drecksau bezeichnet und sich schnell außer Reichweite gebracht, Berni hatte geschnaubt und gesagt: „Reg dich nicht so auf, Elli. Schau sie doch an, dumm geboren und nix dazugelernt.“
Das haltlose Gekreische schallte noch länger durchs Haus, bis der Vater die Alte aufgefordert hatte, das Haus zu verlassen, und zwar zügig.
Elli lächelte versonnen vor sich hin. Diese alte Szene schaffte es doch immer wieder, sie in heitere Stimmung zu versetzen!
Leider traf dies auf ihren Vater nicht zu, aber er hatte ja wohl auch bei dieser alten braunen – naja – eine scheußliche Kindheit verbracht und Mama war es offenbar nicht gelungen, ihn darüber hinwegzutrösten. Hätte sie das überhaupt gekonnt?
Sie