Название | Zirkus Zauberhaft |
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Автор произведения | Claudia Gürtler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742755841 |
Die Schwestern drohten Ettorino mit dem Finger. Einen schönen Streich hatte er ihnen gespielt. Ettorino zeigte sich zerknirscht. Gerne wollte alles wieder gut machen. Er half den Schwestern, ein Tandemfahrrad mit Picknickkorb, Sonnenschirm, Badehosen, dem Buch, dem Ball und dem Radio zu beladen. Kaum waren die Schwestern auf dem Weg zum See, rappelte sich Notturno auf und wankte müde aus der Manege.
Gregor klatschte, bis seine Handflächen feuerrot waren.
Nonno Louis und ein müder alter Zirkus
Was dann folgte, konnte Gregors Herz allerdings nicht erfreuen. Eine Ahnung von den Problemen, mit denen er sich würde herumschlagen müssen, wenn er erst Zirkusdirektor wäre, bedrängte ihn.
Ettorino gab ein paar Clownereien zum Besten. Das Publikum lachte lustlos ob seinen Scherzen, denn viele seiner Witze waren altbekannt. Dann war schon Pause. Nonna Louise betrat mit einem Bauchladen das Zelt und ging durch die sich bereits lichtenden Reihen. Ihre dunkelbraunen Kuchen, die mehr nach Holz als nach Gebäck rochen, fanden keinen reissenden Absatz.
Die Nonna jonglierte danach mit Ringen und Tellern, Nonno Louis stieg all die steilen Leitern hinauf bis unter die Zirkuskuppel. Er schwang hin und her, ohne einen Salto zu wagen, ein alter Artist, dessen Karriere zu Ende ging. Ettorino spielte nochmals auf allen seinen Instrumenten und machte einen Handstand auf dem Fahrrad, der endlich etwas munterere Notturno trabte einige Runden, während Hasel und Birke auf seinem Rücken Kunststücke vorführten. Und mit diesem Höhepunkt war das Programm auch schon zu Ende.
Plötzlich in Eile und mit langen Gesichtern verliessen die Zuschauer das Zelt.
So war das also. Der ‚Zirkus Louis und Louise‘ hatte nur noch wenige Artisten, und der Zirkusdirektor hatte seine grossen Träume fast zu Ende geträumt.
Deswegen, dachte Gregor, deswegen also. Er hatte Mitleid mit seinem Grossvater und ja, er war auch enttäuscht.
„Was tue ich hier?“, fragte Gregor und fasste nach Géraldines Hand. Er glaubte zu sehen, dass sie ihn anlächelte, aber es war bereits zu dunkel, als dass er hätte sicher sein können. Sie drückte seine Hand und plötzlich freute er sich doch unbändig auf die grosse Aufgabe, die das Leben für ihn bereithielt. Der alte Zirkusdirektor war müde. Wie gut, dass der junge bald in seine Livree schlüpfen würde.
Louis, Louise und ein Geschenk aus Holz
Gruyères, Januar 1920
Sie standen draussen, als Gregor das Zelt verliess. Sie warteten auf ihn, und plötzlich wusste der Junge wieder, was er hier tat. Wenn sich die letzten grossen Träume seines Grossvaters erfüllen sollten, musste er, Gregor, dem Zirkus wieder auf die Beine helfen.
Gregor hatte sein luxuriöses, kaltes Elternhaus nicht allein wegen der Lust auf Zirkusabenteuer verlassen. Da war eine grosse Sehnsucht gewesen, die Sehnsucht nach der Wärme einer grossväterlichen Umarmung.
Nonno Louis zögerte. Er sah Gregor ernst an und fragte:
„Willst du es noch? Gross bist du geworden, mein Gregor! Willst Du noch in den Arm genommen und gehalten werden wie ein Junge, der einen schlechten Tag gehabt hat?“
Louis hatte bereits die Arme ausgebreitet, als kenne er die Antwort, und Gregor stürzte hinein. Ja, ja, er wollte es! Gross war seine Sehnsucht, aufgefangen, gehalten und geliebt zu werden. Er drückte das Gesicht in die prächtige, leuchtend rote Livree. Sie roch nach alten Kleidern und kaltem Pfeifenrauch. Nach Nonno Louis umarmte er auch Nonna Louise. Sie roch nach Waldboden und feuchtem Holz, und Gregor war überrascht und verwirrt. War sie das, die grosse Liebe eines Grossvaters? Roch sie nach alten Kleidern und Pfeifenrauch? Und rochen alle Grossmütter der Welt nach nassem Holz? Die Gerüche machten ihn traurig und gleichzeitig sehr glücklich, und er wusste kaum noch, wo ihm der Kopf stand. War er nun zu Hause, endlich zu Hause?
„Nun bist du zu Hause, endlich zu Hause“, sagte Louis, „und es macht nichts, wenn dein Herz verwirrt ist und erst ankommen muss.“
Der Grossvater zauberte ein kleines Geschenk für Gregor aus der hohlen Hand. Es war ein geschnitztes Herz. Gregor versenkte es tief in seiner Hosentasche und lächelte dankbar. Es erinnerte ihn an die grossväterlichen Geschenke, die er hatte zurücklassen müssen.
Früher hatte er den kleinen Trampolinspringer gehalten, wenn ihn der Mut verliess. Nun schloss er die Finger um das Herz aus Holz. Es kam ihm so vor, als sei es warm und poche kaum wahrnehmbar.
Gregor wurde ruhig wie beim Zählen der Würfel im Kästchen. Alle Entscheidungen würden ihm leichtfallen, wenn er sich an das Herz hielt. Er musste sich einfach an das Herz halten.
Kurz und Hager bekommen einen Auftrag
Selten verlor Herr Schröder die Fassung. Selten, sehr selten liess er Aussenstehende merken, dass ihm nicht wohl war in seiner Haut. Üblicherweise bewahrte er Haltung, aber jetzt trommelte er mit den Fingern auf der Tischplatte einen Marsch in unregelmässigem Stakkato, der verriet, dass ihm jedes musikalische Talent abging.
Angesteckt von seiner Unruhe wippte Frau Schröder mit dem dunkel bestrumpften linken Bein, das sie nachlässig über das rechte gelegt hatte. Nachlässigkeit war sonst nicht ihre Art.
Kurz und Hager, die beiden Privatdetektive, hatten ihre Visitenkarte überreicht, aber da sie angewiesen worden waren, zu reden, wenn sie gefragt wurden, schwiegen sie, auch wenn es ihnen schwerfiel.
„Wir wollen ihn zurück“, sagte Herr Schröder endlich.
„Ganz!“, fügte seine Frau an.
„Unverändert!“, ergänzte Herr Schröder, und Frau Schröder beeilte sich, zu bekräftigen:
„Unverändert, das vor allem. Wir wollen Gregor so zurück, wie wir ihn geschaffen haben.“
„Wir versichern ihnen ….“, begann Kurz, und Hager nickte bekräftigend zu jedem Wort.
„Lassen sie das Versichern“, unterbrach ihn Herr Schröder barsch.
„Tun sie etwas“, verlangte Frau Schröder, „von ihren Versicherungen haben wir nichts.“
Hager tippte Kurz an und sie standen gleichzeitig auf.
„Wir haben also einen Auftrag?“, wagte Hager zu fragen.
„Nun gehen sie schon!“, rief Herr Schröder.
„Tun sie etwas!“, gellte Frau Schröders Stimme scharf.
Kurz und Hager verneigten sich förmlich, als seien sie ein Mann. Als Hager bereits die Klinke in der Hand hielt, sagte Herr Schröder abschliessend:
„Ihren Bericht erwarten wir in vier Wochen. Selber Ort, selber Tag, selbe Uhrzeit.“
Kurz und Hager warteten mit dem nun fälligen Luftsprung, bis sie sicher waren, dass Herr und Frau Schröder sie nicht mehr sehen konnten.
Gregor oder das Glück ist ein Föhnsturm
Montreux, Frühling 1921
Wie es Nonno Louis und Nonna Louise zuversichtlich erwartet hatten, hatte Gregor von Tag zu Tag mehr das Gefühl, endlich zu Hause angekommen zu sein. Sein Elternhaus war eine ferne Erinnerung. Sein Zuhause war der Zirkus. Oft drehte er das kleine Herz aus Holz in seiner Hosentasche um und um. Ihm wurde warm. Er wurde ruhig. Die Vergangenheit begann zu bröckeln wie alter Putz, und darunter kamen eine grosse, freudige Erwartung zum Vorschein und ein junger Mann, der die verpasste Kindheit spielend nachholte. Meist lag ein Leuchten auf seinem Gesicht.
Das Glück brauste wie ein Föhnsturm durch die Dörfer, die