Zirkus Zauberhaft. Claudia Gürtler

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Название Zirkus Zauberhaft
Автор произведения Claudia Gürtler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742755841



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bitte darum, unter dem Apfelbaum im Garten nachdenken zu dürfen“, sagte Gregor wohlerzogen.

      „Unter dem Apfelbaum, lateinisch ‚Malus‘, nun ja, warum nicht, es ist dein Geburtstag.“

      Frau Schröder öffnete den Mund, um zu protestieren, aber ihr Mann schnitt ihr das Wort ab: „Die Idee, sich im Winter unter einen kahlen Apfelbaum zu setzen, ist völlig verrückt, aber wahrscheinlich beeilt er sich mit dem Nachdenken, wenn er ordentlich friert.“

      Maika oder alles Schwere ist leicht

      Gregor sass im Garten unter dem Apfelbaum, den Rücken an den harten Stamm gelehnt.

      Der sonnenblumengelbe Brief wurde feucht, als Gregors Hose sich mit Schmelzwasser vollsog. Das Kästchen hatte er unter den dünnen Pullover gesteckt, um es vor den fallenden Flocken zu schützen.

      „Sei nicht traurig, Nonno Louis“, tröstete Gregor in Gedanken seinen Grossvater, den er in der feuerroten Livree des Zirkusdirektors deutlich vor sich sah.

      „Wir haben dich allein gelassen, und das war nicht richtig. Jahr für Jahr hätten wir in der ersten Reihe sitzen, dein neues Programm bewundern und applaudieren sollen. Ich hole es nach, Grossvater, ich komme!“ Er schloss die Augen, träumte und lächelte vor sich hin, während Schneeflocken auf seine Wangen fielen und schmolzen.

      Den ganzen Tag sass Gregor im Garten, ohne dass jemand nach ihm sah. Obwohl er inzwischen steif vor Kälte war, nickte er in der frühen Dämmerung ein, denn traurig sein macht müde. Er erwachte erst wieder, als jemand eine schwere Last den Kiesweg hinaufzog.

      Maika, die stärkste Frau der Welt, überbrachte ihm ein weiteres Geburtstagsgeschenk seines Grossvaters, fein eingewickelt in rotes Papier mit goldenen Streifen. Der hölzerne Zirkuswagen war ein wunderbar passendes Geschenk für einen Jungen von sechzehn Jahren!

      „Puh!“, rief Maika und wischte sich den Schweiss von der Stirn. „Auch für die stärkste Frau der Welt ist ein Zirkuswagen kein Pappenstiel.“

      Sie setzte sich neben Gregor unter den Apfelbaum. Ihre dampfende Wärme erinnerte Gregor daran, dass er erbärmlich fror.

      „Dein Grossvater“, erklärte Maika ohne Umschweife, „ist nun zu alt, um für einen Zirkus verantwortlich zu sein. Er mag nicht mehr in Zirkuskuppeln hängen und Tieren Manieren und Kunststücke beizubringen. Er mag nicht mehr allein dafür besorgt sein, dass eine ganze Truppe zu Essen hat. Kurz, Direktor Louis vom ‚Zirkus Louis und Louise‘ braucht einen Nachfolger!“

      Gregor konnte kaum glauben, was er hörte. Nun zitterten seine Knie nicht mehr vor Kälte, sondern vor Glück und Erwartung. Er wollte aufstehen, sich bedanken, Maika umarmen – als eine Sternschnuppe aus dem pechschwarzen Himmel fiel. Maika folgte seinem Blick.

      „Schnell, wünsch dir etwas!“, befahl sie leise, und Gregor sagte ohne Zögern: „Ja, ich will es. Ich wünsche es mir mehr als alles andere auf Erden. Ich nehme dein Geschenk an, Nonno Louis. Wir ziehen zusammen in der Welt herum, um die Menschen glücklich zu machen. Für einen Nachmittag oder Abend werden sich die Leute so leicht fühlen, als könnten sie fliegen! Genau wie ich! Ich bin ja so glücklich, dass ich mit Freunden durch die Welt ziehen darf, mit den allerbesten Freunden, die es gibt.“

      „Einen guten Freund hast du gerade kennen gelernt“, vertraute Maika ihm treuherzig an. „Oder besser gesagt: eine gute Freundin. Die stärkste Frau der Welt bleibt bei dir.“

      Gregor legte seine kalte Hand in ihre warme und ein Schauer überlief ihn.

      „Ja, aber“, grübelte er besorgt, du kannst doch keinen Zirkuswagen ziehen! Wir brauchen ein Pferd!“

      „Das Pferd wird schon kommen“, sagte Maika.

      „Wir brauchen Tiere, die wir dressieren können“, sorgte sich Gregor, aber Maika sagte nur, die Tiere würden schon kommen.

      „Wir brauchen Ideen für Kunststücke, die wir ihnen beibringen könnten“, sagte Gregor, und Maika war sich sicher, dass sie schon kommen würden, die Ideen.

      „Wir brauchen mehr Artisten“, überlegte Gregor, „wir brauchen alles, was ein Zirkuspublikum erwartet, Jongleure und Musikanten und ...“

      Maika stand auf, klopfte den Schnee aus ihrem bunten Rock und riss eine Ecke vom rot-golden gestreiften Papier vom Wagen. Darunter befand sich die Eingangstür. Gähnend kletterte sie in den Wagen und legte sich hin. Gregor hatte noch tausend Fragen, aber nur Maikas leises Atmen antwortete ihm. Also kletterte er hinterher, kuschelte sich unter die Decke in der anderen Schlafkoje. Er schloss die Augen und schon schlief er.

      Der Zirkuswagen blieb, halb eingewickelt wie ein vergessenes Geschenk, unter dem alten Apfelbaum stehen, unbemerkt von Gregors Eltern, die bis kurz vor Mitternacht in der Bibliothek sassen, die Nasen tief in Büchern. Gregor erwähnten sie mit keinem Wort. Sein sechzehnter Geburtstag war vorbei und vergessen.

      Hasel, Birke und das ganze Glück auf Erden

      Das Pferd kam, wie von Maika versprochen und vorausgesagt, früh am nächsten Morgen. Auch jemand, der rein gar nichts von Pferden verstand, konnte hören, dass es sich um ein sehr faules Pferd handelte. Es zog die grossen Füsse nach und prustete und rasselte wie eine alte Lok. Schwer schien es am eigenen Gewicht zu tragen.

      Gregor nahm das Pferd in Gedanken sofort in Schutz. Wer wusste denn, wie lange es schon unterwegs war und wann es das letzte Mal gefressen hatte. Vielleicht trug es einen schweren Reiter. Gregor sprang auf, strich die Hose glatt, zog sich den Pullover über den Kopf und polterte die kleine Stiege hinunter.

      Was er sah, machte ihn sprachlos vor Staunen. Zwei klapperdürre Schwestern, die einander glichen wie in Ei dem anderen, sassen auf einem kugelrunden Rappen. Während die Schwestern, die Maika als Hasel und Birke vorstellte, so schmal und unscheinbar und leise waren, als bestünden sie aus nichts als ihren Schatten, glänzte das Pferd in speckiger Wohlgenährtheit. Es hiess Notturno und war ganz offensichtlich das Ein und Alles seiner Besitzerinnen. Es hatte einen selbstgefälligen Ausdruck, und Gregor sollte bald erfahren, dass es meist gierig fressend irgendwo im Weg stand.

      Nur wenn Hasel und Birke ihre Kunststücke auf ihm zeigten, erwachte Notturno auf wunderbare Weise zum Leben. Aus Liebe zu den Schwestern konnte er plötzlich weich und rund galoppieren, und sie turnten auf ihm herum, als ob es die einfachste Sache der Welt wäre.

      Anmutig galoppierte Notturno nun um den Apfelbaum, immer rund herum, und Hasel und Birke sprangen leichtfüssig von seinem Rücken hinunter und wieder hinauf. Hasel stellte sich auf Birkes Schultern und streckte die Arme aus, als wollte sie davonfliegen. Dann machte sie einen Überschlag und sass auf dem Hals von Notturno, Birke genau gegenüber. Birke machte einen Handstand auf Notturnos sanft schaukelndem Rücken, und Hasel hielt sie zärtlich fest. Sie liessen Notturno über ein Springseil hüpfen. Sie tranken auf seinem Rücken Tee, ohne einen Tropfen zu verschütten. „Möchtest du Zucker und Rahm?“ fragte Hasel, und Birke streckte ihr das zierliche Tässchen entgegen.

      Bis die kleine Extra-Vorstellung für Gregor zu Ende war, hatte Notturno eine kreisrunde Spur um den Apfelbaum hinterlassen, eine breite, braune Ackerfurche im gepflegten, im Frost erstarrten Rasen.

      Die Schwestern hatten Notturno bereits vor den Wagen gespannt, und Maika und Gregor sassen vorne auf dem Bock, als Herr und Frau Schröder aus dem Fenster sahen und plötzlich Einwände und tausend Fragen hatten. Aber Gregor sagte, sie müssten weiter und seien in Eile, und während Notturno sich auf den Weg in die weite Welt machte, fiel ein so dichter Vorhang aus Schnee, dass Gregor nicht sehen konnte, ob seine Eltern ihm nachwinkten und vielleicht doch ein kleines bisschen traurig waren. Wahrscheinlich waren sie einfach nur böse auf ihn, wie immer. Gregor kümmerte sich nicht darum. Ihm war leicht ums Herz, so leicht, als sei der Himmel blassblau und er könne fliegen.

      Notturno hatte sich erst gesträubt, als er merkte, dass es ans Arbeiten ging, aber Hasel und Birke redeten ihm gut zu, und so zog er den Zirkuswagen den Kiesweg hinunter auf die stille Strasse. Es wurde Morgen,