Sichelland. Christine Boy

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Название Sichelland
Автор произведения Christine Boy
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844236200



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konnte, er war ihr Späher, ihre Unterkunft, ihr Bote und einer der Wenigen, die ihr bis in die tiefsten Abgründe folgten. Was Menrir anging, so war es allein seine Entscheidung, ob er sich auf ihre Seite stellte und sie konnte ihn weder daran hindern noch ihn ermutigen. Und Sara... Lennys versuchte, das Thema vorerst zu ignorieren. Es war noch zu früh, um zu erkennen, ob es ein Fehler war, sie mitzunehmen. Zu gegebener Zeit musste sie sich damit auseinandersetzen, aber nicht jetzt.

      Sie war keine Einzelgängerin mehr, und obwohl sie die Gemeinschaft und die ständige Anwesenheit anderer verabscheute, hatte sie im Moment doch keine andere Wahl.

      Akosh zeigte sich kaum überrascht, als Sara hinter Lennys das Haus betrat und kommentierte ihre Rückkehr auch nicht, doch der Hauch eines Lächelns auf seinem Gesicht verriet, dass er nicht unzufrieden mit der Entscheidung war.

      „Wo kann ich ein paar Stunden Ruhe haben?“ fragte Lennys, kaum dass sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte.

      „Ich habe dir ein Zimmer vorbereitet, hinten, die letzte Türe links.“

      Sie nickte nur. In den letzten beiden Nächten hatte sie so gut wie keinen Schlaf gefunden, bis auf wenige Stunden, die entweder von Alpträumen oder der Wirkung des Blutrauschs geprägt gewesen waren. Wirklich müde war sie nicht, aber das würde kommen und sie wollte sich nicht durch plötzliche Erschöpfung beeinträchtigen lassen.

      Bevor sie den Wohnraum verließ, fiel ihr noch etwas ein.

      „Akosh, ich möchte, dass du einen Shajkan machst.“

      Er zögerte. „Ich habe seit Jahren nicht...“

      „Dann wird es Zeit.“

      „Bist du mit deinem nicht mehr zufrieden?“

      „Es geht nicht um mich.“ Lennys warf einen Seitenblick auf Sara. „Ich halte es nur nicht für sinnvoll, wenn irgendjemand von uns unbewaffnet ist.“

      Akosh runzelte die Stirn. „Ein Shajkan ist keine einfache Waffe.“

      „Dann wirst du ihr zeigen, wie man damit umgeht.“

      Lennys fragte Sara nicht, was sie von dieser Entscheidung hielt und auch die Anweisung für Akosh duldete keinen Widerspruch.

      „Ich habe seit Jahren nur Schmuck und Statuen hergestellt....“ Akoshs Zweifel waren nicht zu überhören..

      „Du bist Schmied. Du hast einst die besten Klingen in ganz Cycala geschmiedet. Und du wirst diesen Shajkan machen und er wird gut sein, haben wir uns verstanden?“

      Die Müdigkeit brach in dem Moment über sie herein, da sie die Tür hinter sich schloss und allein in dem kleinen Raum war. Sie sehnte sich nach Ruhe und Schlaf und fragte sich, was genau sie so viel Kraft gekostet hatte. Normalerweise hatte sie eine beneidenswerte Ausdauer und selbst nach den einschneidenden Erlebnissen der letzten Tage hätte sie sich nicht so zerschlagen fühlen dürfen.

      Vielleicht waren es die Nachwirkungen der vergangenen Nacht. Sie hatte sie auf dem Rückweg noch gespürt und auch jetzt waren die letzten Wogen noch nicht verebbt, gerade so, als ob noch die letzten Tropfen durch ihre Kehle rannen und die schwindelerregende Hitze immer wieder aufflackern ließen.

      Sie legte sich auf das niedrige, harte Bett, das ihr viel bequemer erschien als das luxuriöse Lager im Nebeltempel und starrte zu der holzgetäfelten Decke hinauf. Das Muster der rechteckigen Platten erinnerte sie an Burgzinnen, an Festungsmauern und an hohe quadratische Türme, die sie einrahmten. Sie kämpfte lieber im Wald oder im offenen Gelände als im fest umwehrten Bereich einer Festung. Und lieber allein als mit einem großen Heer oder auch nur einer kleinen Gruppe ausgewählter Kämpfer.

      'Ich brauche keine Aufpasser.' dachte sie. Die Rechtecke verschwammen vor ihren Augen zu einem Pfeilhagel, der über die Decke flog. In Zrundir kämpfte man nicht mit Pfeilen, sondern mit Kriegsäxten, Schwertern und Keulen.

      'Barbaren... selbst zehn von ihnen hätten gegen mich keine Chance...'

      Agubs anklagender Blick legte sich wie ein Nebel über ihre Gedanken. Er war allein gewesen, allein gegen zwei, nicht gegen zehn. Kein schlechter Kämpfer, aber auch nicht so gut wie sie selbst. Längst nicht so gut. Die Pfeile wurden zu Speeren, zu Pfählen.

      Wie an einen Marterpfahl hatten sie Agub gebunden. Der Baum warzu seinem Gefängnis geworden, das den Tod bereithielt. Sicher hatte er noch gelebt, als die Flammen schon um ihn schlugen. Waren die Feinde enttäuscht gewesen, weil er nicht vor Schmerzen schrie? Cycala taten das nie... oder beinahe nie. Möglicherweise war dies eine seltene Ausnahme gewesen, aber Lennys glaubte nicht so recht daran. Immer noch sah sie nach oben. Es wäre ihr lieber gewesen, einen Nachthimmel über sich zu sehen, doch hier war sie wenigstens ungestört und musste nicht jeden Moment mit einem Angriff rechnen. Wer würde es auch wagen, sie anzugreifen? Es wäre sein sicherer Tod.

      Noch lange Zeit kreisten diese und ähnliche Gedanken durch ihren Kopf, bevor sie schließlich einschlief.

      „Du musst dir keine Sorgen machen wegen des Shajkans. Wahrscheinlich wirst du ihn nie benutzen müssen, aber Lennys hält es nun einmal für besser, wenn du dich im Notfall wehren kannst.“

      Akosh lächelte Sara an, während er sie in seine Werkstatt in einem seitlichen Anbau des Hauses führte.

      „Das verstehe ich. Aber ich habe keinerlei Erfahrungen im Kämpfen... und ihr sagtet doch selbst, dass es keine einfache Waffe ist...“

      „Wir werden sehen. In einigen Tagen wird er fertig sein und dann zeige ich dir ein paar Dinge, die dir helfen, besser mit ihm umzugehen. Vielleicht übst du einfach an... an ein paar Tieren...“

      Sara schüttelte den Kopf. „Das möchte ich nicht. Vielleicht finde ich eine andere Möglichkeit. Aber ich werde mein Bestes tun.“

      „Zumindest Lennys erwartet das auch, obwohl du ebendiese Erwartungen sicher nicht erfüllen kannst. Sie vergisst manchmal, dass nicht jeder ihr Talent besitzt. Auf der anderen Seite ist sie aber auch sehr häufig davon überzeugt, dass es niemanden gibt, der sich mit ihr messen könnte. Versuche nicht, dich oder andere mit ihr zu vergleichen, sondern setze auf deine eigenen Stärken.“

      Er öffnete das große Vorhängeschloss einer niedrigen, aber umso breiteren Tür mit einem handgeschmiedeten Silberschlüssel, den er aus dem Umhang holte und machte eine einladende Geste zu der Novizin. Ein lichtdurchfluteter, hoher Raum lag vor ihnen, der nicht mehr an die dämmrige, herrschaftliche Atmosphäre im Rest des Hauses erinnerte.

      Ein mächtiger Amboss in der Mitte, ein kleinerer daneben und ein steinernes Feuerbecken bildeten das Zentrum, umgeben von einigen Tischen und einem ebenfalls steinernen Wassertrog.

      An der gegenüberliegenden Wand verlief eine großzügig bemessene Arbeitsfläche über die gesamte Breite der Werkstatt. Darüber verdeckten lichtdurchlässige, fein gewebte weiße Vorhänge den Blick durch die großen Fenster nach draußen – oder nach innen.

      Die Ostwand zu Sara's Linken bot Platz für mehrere große Schränke und Kommoden, allesamt aus Akoshs Lieblingsholz geschnitzt und mit silbernen Beschlägen und Schlössern verziert. Auf der anderen Seite stapelten sich ein paar Kisten, Körbe mit rohem Eisen, Kupfer und Bronze und an einer langen Leiste in Augenhöhe baumelten zahlreiche kompliziert aussehende Werkzeuge, deren Nutzen Sara nur erahnen konnte. Darunter waren Haken, seltsam geformte Hämmerchen, Spiralen, Bürsten und viele andere Gegenstände, mit denen wohl nur ein wirklicher Fachmann umgehen konnte.

      Erst nachdem Sara den gesamten Raum betrachtet hatte, fiel ihr eine weitere Tür auf, direkt neben der, durch die sie die Werkstatt betreten hatten. Sie war noch kleiner, wirkte aber bedeutend massiver und war durch insgesamt fünf mächtige Schlösser gesichert, die tief in das eisenbeschlagene Eichenholz eingelassen worden waren. Akosh bemerkte ihren Blick.

      „Kupfer und sogar Bronze sind in diesem Zustand hier nicht so viel wert, dass Diebe deswegen hier eindringen würden. Andere Materialien sind es aber durchaus. Sie zu sichern ist nicht einfach und kaum jemand weiß, wie viel ich wirklich davon aufbewahre. Es ist besser, wenn ich dieses gefährliche Wissen mit niemandem teile, auch nicht mit dir.“