Grundreinigung. Elisa Scheer

Читать онлайн.
Название Grundreinigung
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737559751



Скачать книгу

Der Kampmann gibt mir immer einen Euro, wenn ich für ihn eingekauft habe, und die lege ich ins Handschuhfach, fürs nächste Tanken. Keine Sorge, Papa!"

      Sobald die Haustür sich geschlossen hatte, inspizierte ich die grünen Quadrate. Tatsächlich, zwei Hunderter, und in jeden grünen war noch ein blauer Schein gesteckt worden. Zweihundertvierzig Euro, Klasse, die Hälfte musste am Montag sofort auf die Bank. Dazu hatte ich nun noch reichlich zu essen – besser konnte es mir doch gar nicht gehen!

      Doch, die absolute Wochenendfreude bestand darin, dass niemand vor meiner Tür saß! Unbehelligt schleppte ich meine Beute in die Wohnung und verstaute sie. Als ich die Größe des Kuchens inspizierte, entdeckte ich drei Fünfziger, die sauber an die Wand der Tupperdose gesteckt waren. Wahnsinn, damit hatte ich jetzt dreihundertneunzig Euro, und heute war ja schon der zwölfte... dann konnte ich doch bestimmt zweihundert einzahlen. Oder sogar zweihundertfünfzig... Umso geringer fielen die Zinsen für den Dispo aus.

      Ich vertrödelte das Wochenende sehr gemütlich mit dem Marmorkuchen und dem Kulturverein und bildete mich mit einer im Altpapiercontainer gefundenen Hausfrauenpostille weiter. Mit dem Wissen, wie man Stockflecken aus altem Leinen entfernte und einen Heizkörperreiniger mit einfachsten Mitteln selber bauen konnte, nur aus Bambusstäben und zerrissenen Strumpfhosen, musste ich als Putzfrau doch unschlagbar sein?

      Über den Kulturverein hatte ich auch schon einiges herausgefunden, etwa, dass die exzentrische Mäzenin gegen Ende mit dreien ihrer bevorzugten Künstler gleichzeitig ein Verhältnis gehabt hatte. Kein Wunder, dass der Verein in Streitereien und einem mühsam vertuschten Skandal untergegangen war! Nur sollte ich ja nicht nur eine chronique scandaleuse schreiben, sondern auch alle beteiligten Künstler, die großzügige (und offenbar unersättliche) Mäzenin und ihr für die damalige Zeit und unsere muffige Kleinstadt unerhört modernes Programm herausarbeiten und gebührend würdigen.

      Das würde noch ein hübsches Stück Arbeit, aber wenigstens hatte ich eine sehr ergiebige Biographie eines beteiligten Landschaftsmalers aufgetan, den man mit etwas gutem Willen sogar als Vorläufer des Expressionismus interpretieren konnte, und die Tochter der Frau von Strahleneck hatte dankenswerterweise recht gehässige Memoiren hinterlassen, nachdem sie in vorgerückten Jahren ziemlich bigott geworden war. Überhaupt, diese Tochter! 1886 geboren, war sie beim großen Knall gerade mal fünfzehn gewesen. Was verstanden fünfzehnjährige Mädchen denn damals von den erotischen Strudeln in einem solchen Verein? Nach dem Krieg etablierte sie sich als etwas angejahrte Übriggebliebene, eine der vielen, deren Verlobter im Felde geblieben war, und fiel dann ziemlich schnell und ziemlich heftig auf diverse völkisch-antisemitisch-okkult angehauchte Vereine herein. Ab 1933 war sie bei den Nazis recht aktiv, verstummte aber ab 1935 und tauchte erst 1945, christlich-geläutert und immer schon so gewesen, wieder auf. Eine unangenehme Person – es würde mir ein Vergnügen sein, den Wahrheitsgehalt dieser Memoiren ausgiebig anzuzweifeln!

      Außerdem hatte ich Mamas Geschenke inspiziert – Kohlrouladen, Bohneneintopf, bratfertige Kartoffeln, eine kleine eingeschweißte französische Salami und zwei Dosen gemischtes Obst. Nicht schlecht, das waren fünf Mahlzeiten für fünf Tage, ansonsten sollte es Äpfel geben, da hatte ich noch eine ziemliche Menge. Vielleicht wurden meine Oberschenkel ja doch noch schlanker, wenn ich viel putzte – vorzugsweise in der Hocke – und kalorienarm aß?

      Blödsinn! Wie konnte man Heiners boshaftes Geschwafel denn so ernst nehmen? Er hatte das doch nur gesagt, weil er wusste, wie empfindlich ich mit meinen dicken Beinen war. Aber siebzig Kilo, das war trotzdem zu viel, ich sollte fünf oder sechs Kilo weniger wiegen...

      Am Samstagabend, mit dem kompletten Marmorkuchen im Bauch, zog ich mich deshalb aus und stieg wieder auf die Waage. Einundsiebzigkommaacht. Ganz toll, ich wurde wirklich immer fetter!

      Im Profil hatte ich einen kleinen Bauch. Und ich fühlte mich auch reichlich vollgefressen – wurde ich jetzt noch zur Frustesserin? Der Hintern war okay, fand ich, die Taille ging, sobald der Stehbauch wieder weg war. Hüften – naja. Und diese Beine! Wo war das Maßband?

      Ich wühlte mich durch alle Schränke und entdeckte es schließlich in der Schachtel mit den Weihnachtsschleifen – wie kam es denn dahin? Also, Taille achtundsechzig. Das ging, ich war schließlich nicht Scarlett O´Hara. Dreiundvierzig hatte die gehabt, aber eng geschnürt, das war idiotisch. Hüften fünfundneunzig, Busen neunzig. Bisschen dürftig. Oberschenkel – jetzt schlug die Stunde der Wahrheit! Neunundfünfzig – Allmächtiger, die waren ja fast so dick wie meine Taille! Scheußlich! Und wie sie sich an der Seite nach außen wölbten, bestimmt um zwei Zentimeter! Irgendwo musste noch ein alter Luffaschwamm sein... im Kleiderschrank? Nein, da hatte ich ja erst aufgeräumt... Im Badezimmerschränkchen lag er dann, verknautscht und muffig. Ab jetzt würde ich meine Oberschenkel bei jeder Dusche brutal massieren, und wenn ich wieder bei Kasse war, würde ich mir die edelsten Anticellulite-Gels leisten, das Zeug aus der Apotheke, das wirkte bestimmt besser als der Kram aus dem Drogeriemarkt. Und Gymnastikübungen... Wieso hatte es keine Frauenzeitschrift im Altpapiercontainer gegeben? Da waren doch immer solche Übungen drin – in zwei Wochen eine Bikinifigur/Traumfigur/fünf Kilo leichter. Einen Waschbrettbauch hatte ich auch nicht gerade. Ich sah wirklich aus wie das Vorher-Bild aus der Diätdrink-Werbung. Fast wenigstens.

      Mit solchen finsteren Gedanken verdarb ich mir das Wochenende, das so entspannt hätte sein können, und als ich am Montagmorgen immer noch einundsiebzig Kilo drauf hatte, trotz eines langen Spaziergangs, trotz einiger muskelkaterträchtiger Übungen und trotz einer fast reinen Apfeldiät – die fettige Salami, die so betörend duftete, hatte ich heroisch ignoriert -, hatte ich den Verdacht, dass die kommende Woche auch nicht besser werden würde.

      Ich klagte Karen mein Leid, die nur höhnisch lachte und auf die Überbleibsel ihrer Schwangerschaft hinwies. „Du bist absolut nicht dick, mach dich nicht lächerlich. Schau dir bloß mal diesen Schwabbelbauch an!“

      „Und was machst du dagegen?“, fragte ich interessiert.

      „Nichts, außer spazieren zu gehen. Meine Ärztin, Dr. Kehl – kennst du die? – hat gesagt, wenn man zu intensiv Gymnastik macht, ist das schlecht für die Milch. Also muss ich mit dem Workout warten, bis Sven abgestillt ist, und das kann noch dauern.“

      „Ja, aber alles andere ist doch okay. Guck dir bloß diese Keulenbeine an!“, jammerte ich und raffte mein Sweatshirt, damit sie die üppige Pracht auch so richtig bewundern konnte. „Ich sehe nichts“, stellte Karen nach gründlicher Inspektion fest, und Sven, der an ihrer Schulter döste, krähte zustimmend los.

      „Die sind total fett!“

      „Blödsinn, die sind ganz normal. Wer hat dir denn den Scheiß eingeredet?“

      „Mein Spiegel! Naja, und Heiner.“

      „Dein Freund?“

      „Exfreund. Gut, er neigt zur Bosheit, aber da hat er Recht.“

      Karen drückte mir ihr Baby in die Arme. „Halt ihn mal kurz!“

      Sven sah mich erstaunt an und schloss dann angewidert die Augen. Wenigstens brüllte er nicht los.

      Karen kam zurück und schwenkte ein Maßband, dann stellte sie einen Fuß auf einen Stuhl und maß ihren eigenen Oberschenkel in den schlabberigen Jogginghosen. „Siebenundfünfzig. Und du?“

      „Neunundfünfzig – ohne dicke Baumwolle drumherum.“

      „Okay, ziehen wir zwei ab für die Hose, ich hab jetzt keine Lust, die auszuziehen. Fünfundfünfzig. Und vier Zentimeter mehr ist schon fett? Außerdem bist du größer als ich.“

      „Kaum. Einsachtundsiebzig, und du?“

      „Einsfünfundsiebzig. Und im Moment wiege ich zweiundsechzig Kilo. Gut, vor Sven hatte ich vierundfünfzig, und die kriege ich auch wieder. Aber du bist nicht dick!“

      „Nein? Mit einundsiebzig Kilo?“

      „Also, wo du die versteckt hast, möchte ich wirklich mal wissen, an den Beinen jedenfalls nicht. Anne, du bist albern. Die ideale Kandidatin für diese endlosen Diäten, mit denen man sich bloß den Stoffwechsel ruiniert.“