Tod auf den Gleisen. Elisa Scheer

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Название Tod auf den Gleisen
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737564281



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Schränkchen herumräumte und ihr Postfach leerte.

      Nichts Interessantes. Ein neues Geographiebuch war im Umlauf, man konnte ein Gratis-Prüfexemplar bestellen, was Doro natürlich tat, ein Zettelchen, dass in der 9 d die Matheschulaufgabe auf nächste Woche Freitag verschoben war (schnell aufschreiben, aber sie plante da kein Ex), neue Kurslisten, wahrscheinlich von Hilde Suttner, und ein Zettel, dass man dringend Olivenöl und selbst geschleuderten Honig bestellen sollte. Bei der Lichwitz.

      Doro warf den Zettel weg, drehte sich um und stand vor der Lichwitz.

      „Warum werfen Sie das weg? Ich hab´s Ihnen doch extra ins Fach gelegt!“

      „Warum denn?“

      „Damit Sie was bestellen können!“

      „Ich mag keinen Honig und kaufe Olivenöl beim Händler meines Vertrauens.“ Klang gut, nicht?

      „Frau Lichwitz, würden Sie bitte aufhören, Ihren Privathandel den Kollegen aufzudrängen?“ Hui, die Wintrich konnte sich ganz schön kalt anhören!

      „Aufdrängen? Da macht man jungen, unerfahrenen Leuten ein freundliches Angebot und muss sich dann so was anhören? Frechheit!“

      Die Lichwitz rauschte davon, die Wintrich sah ihr kopfschüttelnd nach. „Die mit ihrem Pseudo-Biokram. Natürlich muss man das Zeug nicht kaufen.“

      „Tu ich auch nicht, ich mag so Zeug gar nicht. Und was heißt hier eigentlich jung und unerfahren? Man könnte meinen, ich sei noch zu blöd, mich vernünftig zu ernähren. Das ist eigentlich die viel größere Frechheit!“

      Die Wintrich lachte. „Weiß Gott. Obwohl es hier viele gibt, die wohl nichts von vernünftiger Ernährung verstehen. Schau bloß mal, was hier für ein Mist in der großen Pause konsumiert wird! Was anderes – wir können uns doch wirklich duzen, oder? Ich glaube, ich hab´s eben eh schon gemacht. Luise.“

      „Dorothea. Doro.“ Sie schüttelten sich feierlich die Hand und lachten etwas verlegen. „Frau Wintrich!“ Neben Luise tauchte eine kleine, etwas verkniffen wirkende Frau in den Fünfzigern auf.

      „Frau Uhl?“ Luise versuchte offenbar, nicht allzu genervt zu wirken.

      „Frau Wintrich, ich klage ja wirklich sehr ungern, aber jetzt muss ich mich wirklich beschweren!“

      Was ist denn jetzt schon wieder? Doro fand, diese Reaktion könne man Luise am Gesicht ablesen, und verbiss sich mühsam ein Kichern.

      „Ich kann so nicht arbeiten! Sie wissen genau – oder vielleicht wissen Sie es auch nicht – wie viel Konzentration Deutschkorrekturen erfordern! Und dann werden hier dauernd Gespräche geführt! Wie soll man so arbeiten?“

      Während sie sich ereiferte, warf sie Doro einen Blick zu, als habe die hier absichtlich ruhestörenden Lärm verursacht.

      „Frau Uhl“, begann Luise, und man hörte, dass sie sich nur mühsam beherrschte, „dem entnehme ich (a), dass Sie glauben, ich korrigiere unkonzentriert und schlampig. Das muss ich mir verbitten. Und (b) wissen Sie doch, dass nebenan ein Silentiumraum ist. Dort kann man in aller Ruhe arbeiten. Der Hauptraum ist nicht als Arbeitsraum gedacht.“

      Über den ersten Punkt ging die Uhl souverän hinweg.

      „Nebenan kann ich nicht arbeiten!“

      „Ach nein? Dort ist es totenstill!“

      „Also, erstens stehen dort zwei Rechner!“

      „Ja, und? Außer leisem Klicken verursachen die auch keine Geräusche. Die Lautsprecher sind deaktiviert.“

      „Aber der Elektrosmog!“

      „Das ist doch Unsinn. Außerdem ist der Raum sogar klimatisiert. Alle freien Radikale werden auf der Stelle abgesaugt.“

      „Machen Sie sich über mich lustig?“

      „Würde ich nie wagen. Der Raum ist wirklich ungefährlich. Und zweitens?“

      „Was?“

      „Sie hatten noch einen zweiten Grund?“

      „Was? Ach so – ja. Nebenan kriegt man doch nichts mit!“

      „Frau Uhl, beides können Sie nicht haben. Wenn Sie hier alles mitkriegen wollen, müssen Sie auch die entsprechenden Geräusche dulden. Entscheiden Sie sich. Aber hier gibt es kein Redeverbot.“ Die Uhl trollte sich ärgerlich, und Luise verdrehte kurz die Augen zum Himmel, fuhr sich durch die dunklen Locken, grinste und sagte: „Ich muss dann mal wieder…“

      „Himmel, ich auch gleich! Dass Freistunden immer so schnell vorbei sind?“

      Der Geographiekurs war lustlos und schlecht vorbereitet. Doro bemühte sich vergeblich, sie mitzureißen, und fragte schließlich gereizt: „Was habt ihr heute bloß? So kenne ich euch ja gar nicht!“

      „Ach, Frau Fiedler, wir schreiben nachher ein Mathe-Ex…“

      „Alle? Seid ihr alle im gleichen Mathekurs?“

      „Nein… aber die Suttner hat was angedeutet -“

      „Frau Suttner. Soviel Zeit muss sein.“

      „Frau Wintrich, Frau Körner, Herr Liegnitzer und Herr Meidlinger. Die haben sich alle abgesprochen, ist das nicht eine Gemeinheit?“

      „Mir kommen die Tränen. Na, aber wenn ihr schon Bescheid wisst, dann seid ihr doch sicher gut vorbereitet. Besser kann´s doch gar nicht kommen?“

      „Aber wir können das doch nicht!“

      „Ach nein? Was macht ihr denn gerade?“

      „Ableiten“, äußerte Verena aus der ersten Reihe voller Ekel. „Wozu das gut sein soll, weiß hier auch keiner.“ Doro verdrehte die Augen. „Leute, mit der Haltung kommt ihr aber in der Oberstufe nicht weit.“

      „Sie klingen schon wie die – äh, wie Frau Suttner.“

      „Die hat ja auch ganz Recht. Also, welche Ableitungsregeln solltet ihr draufhaben?“

      „Potenzregel!“, rief Max von ganz hinten.

      „Babykram“, äußerte Doro verächtlich und griff zur Kreide. Der Kurs folgte ihrer knappen Erklärung und den zwei Beispielen atemlos.

      „Woher können Sie so was? Geben Sie auch Mathe?“

      „Gotteswillen, nein! Leute, ich hab Abitur. Und ab und zu mal aufgepasst. Und ein gutes Gedächtnis. Was ist mit der Produktregel?“

      Binnen zehn Minuten hatte sie alle Regeln vorgestellt und betrachtete ihren Kurs missvergnügt. „Wisst ihr, ich habe echte Schwierigkeiten, zu glauben, dass eure Mathelehrer euch das nicht schon mehrfach erklärt und mit euch geübt haben. Passt ihr eigentlich nicht auf? Macht ihr keine Hausaufgaben?“

      „In der Oberstufe muss man doch keine Hausaufgaben mehr machen!“, erklärte Susi, die vorne neben dem Fenster saß und sich offenbar auch jetzt keine Notizen gemacht hatte.

      „Wie kommst du denn auf den Blödsinn?“

      „Hat die Frau Suttner gesagt!“

      „Quatsch, du dumme Nuss!“, rief Annika quer durchs Zimmer. „Sie hat gesagt, das ist unsere Sache, sie kontrolliert bei erwachsenen Leuten nicht die Haushefte. Aber sie bespricht die Hausaufgaben doch!“

      „Eben“, kommentierte Doro. „Also, wer in der Oberstufe keine Hausaufgaben macht – und bzw. oder sich nichts notiert, liebe Susi, der wird hier nicht alt. Besser gesagt, er oder sie wird hier alt und grau, bis er oder sie endlich mal ein ganz schlechtes Abitur hat oder ganz ohne rausfliegt. Glaubt ihr eigentlich, wir können euch die Fähigkeiten, die ihr später braucht, anhexen?“

      „Fähigkeiten? Wozu brauchen wir den Kram denn?“

      Doro fand ohnehin, dass Susi in der Oberstufe fehl am Platz war. Dumm und faul – ach nein, das hieß überfordert und ungenügender Arbeitseinsatz.