Ein Haus mit Vergangenheit. Elisa Scheer

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Название Ein Haus mit Vergangenheit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737552776



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bewohnte mit ihrer Familie ein eher seltsames Haus in Zolling, etwa zehn Minuten von Mama entfernt. Das Haus war eine unglückselige Mischung aus alpenländischem Baustil – geschnitzte Balkone, Holzverkleidungen – und Futurismus, der sich in den übergroßen Fensterfronten und den eigenartigen Vorsprüngen und Erkern ausdrückte. Riesig groß, man sollte es teilen und ein Zweifamilienhaus daraus machen, überlegte ich mir. Wenn sie eine Hälfte verkauften, wären sie auch ihre Schulden los.

      Wir brachten einen Kuchen mit, und Conny schien sich zunächst über unseren Besuch zu freuen. Sie bat uns herein und nötigte uns, auf den froschgrünen Samtsofas Platz zu nehmen. Seit meinem letzten Besuch hatten sie einen Teil des Wohnzimmers mit terracottafarbenen Kacheln ausgelegt, was ich kalt und ungemütlich fand.

      Meine Nichten drückten sich im Hintergrund herum, offenbar hin und her gerissen zwischen der Abneigung gegen öde Familientreffen und der Neugierde auf die missratene Tante, die sie so selten zu sehen kriegten.

      „Kommt doch mal näher!“, rief ich ihnen zu, und sie näherten sich zögernd.

      Celine sah heiß aus, das Haar blauschwarz gefärbt, der nackte Nabel gepierct, das Gesicht totenbleich, die Jeans eng auf der Hüfte sitzend und ab dem Knie weit ausgestellt, was ihr ein sehr x-beiniges Aussehen gab. Na gut, wenn ihr das gefiel? Claire hatte noch ihre normale braune Haarfarbe, war etwas pummelig und trug ein T-Shirt mit einem Foto von *NSYNC darauf. Warum nicht?

      Ich begrüßte beide freundlich und enttäuschte sie offenbar, weil ich nicht an ihrem Outfit herummeckerte. Das übernahm Conny, die schnell zu ihrer alten Form zurückzufinden schien. „Müsst ihr so entsetzlich herumlaufen? Könnt ihr euch nicht wenigstens, wenn wir Besuch haben, anständig anziehen? Schlimm genug, dass Tante Babsi so wenig Wert auf ihr Äußeres legt!“

      „Conny, lass das“, entgegnete ich ärgerlich. „Deine Töchter haben doch offensichtlich ihre coolsten Sachen an und ich bin fast frei von Zementspuren. Mehr ist von mir eben nicht zu erwarten, du weißt doch, dass ich auf Baustellen zu leben pflege. Und ihr zwei – wehe, ihr sagt Tante zu mir! Ich heiße Babsi, und basta!“

      Ein zaghaftes Lächeln belohnte mich dafür, und Claire setzte sich sogar zu uns. Allerdings schien ihr der Kuchen wichtiger zu sein als Oma und Tante. Celine lehnte mit misstrauischem Blick an der eichenen Anrichte, in der Conny, wie ich sie einschätzte, wahrscheinlich Stapel von perfekt gemangelten Tischdecken und Damastservietten aufbewahrte. Während Conny Mamas Ratschläge zur Haushaltsführung leicht gereizt abwehrte, vertraute Claire mir alles über ihre favorisierten Popgruppen, ihre Liebe zu Leonardo di Caprio und ihren Ärger in der Schule an. Das verführte schließlich auch Celine dazu, sich am Gespräch zu beteiligen, und wenn sie nur ihrer Schwester widersprach, wenn es darum ging, welche Lehrer echt doof oder eigentlich richtig cool waren.

      „In welcher Klasse bist du denn jetzt?“

      „Achte. Ich will ja nächstes Jahr Italienisch nehmen, aber Mama sagt, ich muss Französisch lernen.“

      „Ach ja? Warum, Conny?“

      „Französisch ist eine Weltsprache, das muss ein gebildeter Mensch können.“

      „Weltsprache...“, überlegte ich, „naja! Wo spricht man denn schon noch Französisch, außer in Frankreich und in Westafrika? Die Sprache der EU ist in erster Linie Englisch. In Berlin hätte ich Russisch nützlicher gefunden als Französisch, obwohl es natürlich eine schöne Sprache ist. Italienisch finde ich aber genauso gut. Spanisch wäre echt eine Weltsprache, denk nur an ganz Südamerika!“

      „Wann kommt sie denn da schon hin!“, blaffte Conny, aber sie schien nur halbherzig zu zanken. „Und wann kommt sie in den Senegal?“, schoss ich zurück, und sie musste tatsächlich lachen. „Und im Urlaub ist Italienisch doch viel sinnvoller, Frankreich ist ja so teuer“, warf Mama ein. „Ach? Aber du fährst doch morgen nach Paris?“, wandte Conny ein. „Doch nur drei Tage! Und Paris muss einfach sein!“, verteidigte Mama sich.

      „In Italien könnte man nach Rom fahren, nach Florenz, nach Venedig, nach Mailand, nach Neapel – eine Stadt schöner als die andere...“ Celines Augen funkelten.

      „Und in Italienisch krieg ich die Korff, die ist echt gut drauf. Französisch macht sicher wieder der Brandes, und der mag mich nicht.“

      „Ich finde ihn nett. Er lacht so lustig, wenn man einen Schmarrn sagt“, verteidigte Claire ihn, „außerdem hängen die doch eh zusammen, die haben doch was miteinander!“

      „Claire!“, tadelte Conny.

      „Stimmt aber, das ist denen gar nicht peinlich“, warf Celine ein.

      „Zustände sind das!“ Conny schüttelte den Kopf.

      „Warum?“, fragte ich harmlos. „Die meisten Leute lernen sich doch am Arbeitsplatz kennen. Hast du Horst nicht auch - ?“

      „Das ist doch was ganz anderes!“, wehrte Conny gereizt ab. „Mama, noch Kaffee?“

      „Danke, meine Liebe!“ Mama hielt ihre Tasse hoch.

      „Und, Babsi, was willst du hier nun machen? Hast du schon einen Job in Aussicht? Du willst ja Mama wohl nicht länger als notwendig auf der Tasche liegen, nicht?“

      „Wie kommst du darauf? Ich liege ihr doch nicht auf der Tasche, ich hause nur momentan im Eisenbahnzimmer.“

      „Wie dem auch sei – soll ich Horst mal fragen, ob es in seiner Firma für dich irgendwas zu tun gibt?“

      „Und was sollte das sein? Ich bin Architektin, nicht Sekretärin!“ Conny konnte einen rasend machen.

      „Nun, zu Beginn wirst du wohl nehmen müssen, was du kriegen kannst. Ich glaube nicht, dass man in deiner Situation so wählerisch sein kann.“

      „In meiner Situation?“ Ich stellte meine Tasse klirrend hin. „Wärst du so nett, mir zu erklären, wie meine Situation aussieht?“

      Sie lächelte mich nachsichtig an. „Nun, offensichtlich hast du deinen Job in Berlin verloren, und sicher ist dort sonst noch einiges schief gelaufen, sonst wärst du doch wohl kaum mit eingezogenem Schwanz - “ Celine lachte dreckig, und ich musste auch kurz grinsen – „nach Hause zurückgekrochen. In deinem Alter noch bei Mama zu hausen – ist das nicht ein Eingeständnis von Schwäche? Und privat hast du ja wohl auch wenig zu bieten, oder?“

      „Conny, du bist so doof wie eh und je!“

      „Also, du musst mich nicht vor meinen Kindern und in meinem eigenen Haus beleidigen!“

      „Ich beleidige dich nicht, ich stelle nur eine Tatsache fest. Erstens: Ich habe meinen Job nicht verloren, ich habe die Partnerschaft aufgelöst, weil ich etwas anderes machen möchte. Zweitens: Ich bin nicht arm, im Gegenteil, aber ich stecke das Geld in mein neues, eigenes Büro und nicht in albernen Privatkram. Drittens: Was sollte ich privat bieten? Wollt ihr eine Show sehen? Habt ihr keinen Fernseher?“

      „Was soll das denn für ein Büro sein?“ Conny schnaubte verächtlich. „Altbausanierung. Am Dienstag kommt mein neuer Partner, und dann geht es richtig zur Sache. Wart´s nur ab!“

      „Na, ob das was wird?“

      „Ich find das geil“, mischte Celine sich ein.

      „Danke schön! Hier gibt es wunderbare Häuser, und hier sind sie nicht so arge Spekulationsobjekte wie in Berlin. Ich glaube, ich werde viel Spaß haben.“

      „Spaß?“

      „Sicher. Der Beruf soll doch auch Spaß machen. Gut, nicht täglich, aber wenn man keine Freude an seiner Arbeit hat, kann man es doch gleich lassen. Was machst du eigentlich gerade? Deine Kinder sind ja eindeutig aus dem Gröbsten raus.“ Damit hatte ich den Krieg ins feindliche Lager getragen und konnte mich genüsslich zurücklehnen. „Ich? Ich kümmere mich um den Haushalt!“

      „Macht dir das Spaß?“

      „Spaß? Das ist eben meine Aufgabe! Ich kenne meine Pflichten.“

      „Du bist immer noch die gleiche