Ein Haus mit Vergangenheit. Elisa Scheer

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Название Ein Haus mit Vergangenheit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737552776



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hatte?

      Während ich die turbulenten Szenen vor unserem Ausstieg aus Zörg & Friends (von Freunden war nicht mehr unbedingt die Rede, aber immerhin kaufte Zörg uns unsere Anteile zu einem ziemlich fairen Preis ab) im Geiste Revue passieren ließ, strich ich die Decke, bis mein rechter Arm ganz lahm war. Mit der linken Hand schaffte ich zwar noch den Rest, saute mich dabei aber gründlich ein. Gut, um das Sweatshirt und die Jeans war es wirklich nicht mehr schade, das war Baustellenkluft. Ich kletterte von der Leiter, schüttelte meine lahmen Arme aus und strich die letzte Wand an, dann schleifte ich die Farbe in den Flur und wischte das hässliche graue Linoleum gründlich auf, um die Farbspritzer zu entfernen. Damit sah mein Zimmer ziemlich vorzeigbar aus, solange man nicht die schlecht gestrichenen Fenster anschaute. Aber ewig wollten wir hier nicht bleiben, wir hatten dieses Fünfziger-Jahre-Büro nur für ein Jahr gemietet. Immerhin war es billig, ziemlich billig wenigstens, lag günstig und hatte im Hof zwei Parkplätze, die wir mitgemietet hatten; auf einem stand der Kleintransporter, den wir noch beschriften lassen mussten. Meine Rostlaube parkte auf der Straße, zufällig war ein Platz frei gewesen.

      Wo blieb eigentlich Simon? Konnte es so schwer sein, ein Fassadenschild und ein paar Türschilder abzuholen, wenn der Schilderladen nur zwei Ecken weiter war? Wahrscheinlich trödelte er herum. Ich beschloss, feurige Kohlen auf sein Haupt zu sammeln, und wischte sein Büro auch feucht auf. Dann tat ich noch ein Übriges und strich ganz tugendhaft auch noch die Toilette und die einzige freie Wand in der kleinen, hässlichen Teeküche. Immerhin, eine Kaffeemaschine hatte Simon heute Morgen mitgebracht. Nur an Kaffee und Becher hatte er leider nicht gedacht. Männer... Aber man musste den guten Willen schon mal loben. Ich hätte ja schnell einkaufen gehen können, aber Simon hatte keinen Schlüssel mitgenommen, also räumte ich noch ein bisschen herum und wartete, bis er wiederkam.

      Na endlich!

      „Mussten die erst noch gemalt werden?“

      „So ungefähr. Das große für die Fassade war noch nicht fertig. Guck, wie findest du sie?“

      Ich nickte zufrieden. „Ordentlich. Am besten geben wir das große gleich dem Hausmeister und bringen die anderen schnell selbst an. Wenn du das machst, kaufe ich schnell ein paar Sachen ein. Geht der Kühlschrank eigentlich?“

      Simon zuckte die Schultern.

      Kopfschüttelnd schaute ich in den Kühlschrank. Wenn man ihn einschaltete, brannte immerhin das Licht – aber versifft war er, und das nicht zu knapp. Ich setzte im Geiste einen Brutalreiniger und Topfkratzer auf die Liste und eilte davon.

      Als ich vom Billigmarkt zurückkam, war der Hausmeister schon an der speckbraunen Hauswand zugange.

      Lenz & Bauer Architekten Altbausanierung Ensemblegestaltung - sah wirklich gut aus, wenn auch nicht gerade an dieser grauenvollen Fassade. Ich putzte die Küche durch, ließ Kaffee durchlaufen, warf den Kühlschrank an, nachdem ich ihn gründlich ausgewischt hatte, räumte meine Einkäufe hinein und stellte eine Schale Äpfel auf die Arbeitsplatte. Nun fehlte nur noch das künftige Sekretariat. Übermorgen sollte die Dame anfangen, die Simon im Alleingang engagiert hatte; ich hatte währenddessen meine Verbindungen zu einschlägigen Handwerksbetrieben aufgefrischt, denn schließlich hatte ich in dieser Stadt studiert, gejobbt und Praktika gemacht. Gestrichen waren die Wände schon, Simon hatte sogar schon die Tür beschriftet, also musste ich nur noch den Boden putzen. Zufrieden sahen wir uns am späten Nachmittag um, sobald wir unseren Renovierkram in die Abstellkammer geschleift hatten.

      „Prima. Wann kommt das Zeug morgen?“

      Simon zuckte die Achseln. „Der Kopierer und die Möbel, denke ich, am Vormittag. Der Netzwerkheini hat gesagt, um zwei. Die Lieferung vom Büroartikelmarkt am Nachmittag. Genaueres weiß ich auch nicht. Jetzt bin ich aber ziemlich geschafft. Was machst du heute noch?“

      „Dir das Haus zeigen, duschen, was essen. Und du?“

      Er zuckte die Schultern. „Haus anschauen, duschen, was essen. Also, fahren wir!“

      Wir nahmen meinen Wagen, denn Simon hatte seinen gerade so schön auf dem Hof geparkt. Er wohnte ohnehin irgendwo ganz in der Nähe des Büros, in einer Pension, bis er etwas Besseres fand.

      In der Galileistraße stellten wir den Wagen direkt vor dem Haus ab und schlichen uns in den dämmerigen Garten.

      „Hm. Das Haus ist faszinierend, da muss ich dir Recht geben.“ Er betrachtete die Fassadenaufteilung und die Proportionen. „Aber der Zustand ist wirklich scheiße. Wie kann man ein solches Juwel nur so verkommen lassen?“

      „Das dürfte andererseits den Preis drücken“, gab ich zu bedenken.

      Simon tastete die Wand ab, die nach Westen zeigte. Sehr schlau, dass hier die Terrasse und die Balkone waren. „Fühl mal!“

      Ich legte die Hand auf das Mauerwerk und wartete einen Moment.

      „Feucht. Was erwartest du bei einer Westwand? Kann man alles trocken legen, ich hab schon bei einem Ferienjob gelernt, wie man mit einem Bautrockner umgeht. Wie schätzt du die Bausubstanz insgesamt ein?“

      „Von außen?“

      „Ja, gut, du hast ja Recht. Aber so auf den ersten Blick?“

      „Geht offenbar noch. Wie lange steht das Haus leer?“

      „Eineinhalb Jahre. Aber ob die alte Dame vorher anständig geheizt hat?“

      „Was willst du dafür zahlen?“

      Ich verzog das Gesicht. „Wenn innen keine allzu bösen Überraschungen warten – eine halbe Million? Das Grundstück ist das Dreifache wert, aber das Haus kann eben nicht weg.“

      Simon pfiff durch die Zähne. „Und wenn sie es mit einem warmen Abriss probieren? Ich wäre ja schon stark in Versuchung, wenn ich das Ding geerbt hätte.“

      „Ich auch“, musste ich gestehen.

      „Deine Schätzung ist realistisch“, meinte er dann, „aber Dach, Heizung, Leitungen, Böden, feuchte Wände, Fenster, Fassadenschmuck – alles ist hin, mindestens zweihundert kostet dich die Sanierung, ohne größere Umbauten.“

      „Damit rechne ich. Da bleibt doch für die Firma auch was hängen. Stell dir vor, wenn sich das Erdgeschoss eignet, wäre das doch ein tolles Büro für uns. Ich mache uns auch eine günstige Miete. Und oben könnte ich selbst wohnen.“

      „Man könnte wahrscheinlich sogar zwei Wohnungen daraus machen“, überlegte Simon, „das müssen doch gut zweihundert Quadratmeter pro Etage sein?“

      „So etwa. Ich bin mal gespannt, was dieser Wiedemann morgen sagt. Hältst du das Ganze nun für eine gute Idee, so im Prinzip?“

      Simon antwortete nicht. Ich fragte aber nicht weiter, so gut kannte ich ihn mittlerweile schon: Er dachte eben gründlich nach. Schließlich kam er zu einem Ergebnis. „Ja. Im Prinzip schon. Aber wir müssen mehr Projekte durchziehen, du kannst dich dann nicht nur mit deinem Haus befassen, ist das klar?“

      „Wofür hältst du mich!“ Ich war ehrlich entrüstet.

      „So, und jetzt will ich heim und duschen“, stellte er fest. Ich schnupperte vorsichtig. Ja, er hatte es nötig. Ich auch, wenn ich ehrlich war. Farbe, Zement, Schweiß und die Zwiebeln auf dem Vormittagshamburger. Gut, dass wir nicht öffentliche Verkehrsmittel benutzen mussten, man hätte uns pikierte Blicke zugeworfen. Ich fuhr ihn zurück zum Büro.

      „Also, dann sehen wir uns morgen im Büro – um acht“, legte Simon fest und schlug mir auf die Schulter.

      „Okay, bis morgen dann!“

      Er stieg aus und ich wendete und fuhr nach Henting, wo ich wie eine kleine Versagerin bei meiner Mutter im Keller untergekrochen war. Mama sah das locker – ich eigentlich auch, aber meine Schwester Conny rümpfte darüber die Nase. Sollte sie doch! Das große Zimmer, in dem einst Papas Eisenbahn untergebracht war, erfüllte alle meine Bedürfnisse, daneben war ein behelfsmäßiges Duschbad, mein spärlicher Besitz hatte seinen Platz gefunden und Mama hatte sich nach einigen Tagen damit abgefunden,