Der verborgene Erbe. Billy Remie

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Название Der verborgene Erbe
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия Legenden aus Nohva 5
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742739742



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»Und das Rammeln.«

      Wexmell senkte schmunzelnd den Kopf. Da er das Knien leid war, zog er die Beine hervor und setzte sich auf den Hintern. »Ich wusste nicht, dass schon jemand wach ist«, wich er der Frage aus.

      Allahad fuhr sich durch sein schulterlanges, unordentliches Haar, das ganz genauso wirkte, als hätte es vor Kurzem erst ein gewisser Jemand mit den Händen durchwühlt.

      Für einen Moment beneidete Wexmell Allahad und Luro darum, dass sie einander hatten. Aber das Gefühl dauerte nicht allzu lange an. Dafür war Wexmell einfach zu … nett. Er konnte auf seine engsten und ältesten Freunde nicht neidisch sein, nur weil sie das Glück hatten, dass sie beide noch am Leben waren.

      So jemand war er nicht. Und er wollte es auch nicht sein.

      »Luro ist auch auf der Jagd«, erklärte Allahad und blickte dann gen Himmel.

      Wexmell folgte dem Blick ohne etwas zu erkennen. Zweifellos, so ging es ihm in jenem Moment durch den Kopf, flog Allahads Falke zu dem Jäger im Wald, um über ihn zu wachen.

      Nicht, dass Luro Schutz nötig gehabt hätte. Aber so war das eben unter Männern von diesem Schlag. Allahad konnte ebenso wenig wie Luro den Beschützerinstinkt abstellen. Genauso war es Desiderius immer ergangen, obwohl er nach zwanzig Jahren allmählich gelernt hatte, Wexmells Fähigkeiten zu vertrauen.

      Wexmell senkte den Kopf und atmete schwer durch. »Er fehlt mir jeden Tag mehr«, gab er müde zu.

      »Uns allen«, erwiderte Allahad, und gab Wexmell das Gefühl, mit seiner Trauer nicht gänzlich allein zu sein. Das tat unheimlich gut.

      »Willst du etwas hören, das dich kurzzeitig aufmuntern wird?«, fragte Allahad und lächelte Wexmell amüsiert zu.

      Wexmell zuckte mit den Achseln. »Ja, natürlich.«

      »Der Rammler da …«, Allahad nickte zu den Kaninchen und deutete mit einem ausgestreckten Finger auf sie, » … erinnert mich stark an Luros ungestüme Versuche, den Part des Besteigers zu übernehmen.«

      Wexmell drang sich das Bild auf, das Allahad ihm beschrieb. Er brach in Gelächter aus und stieß Allahad mit der Schulter an. »Du bist furchtbar. Und gemein!«

      Allahads leises Kichern war dunkel. »Nein, ehrlich. Frag ihn, er wird es nicht leugnen.«

      »Danke, doch ich verzichte.« Aber Wexmell war dankbar für den kurzen Moment, den Allahad ihn zum Lachen gebracht hatte. Er wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel und sagte aufrichtig: »Danke, Allahad, ich weiß deine Mühen zu schätzen. Aber vergiss nicht, dass es nicht deine Pflicht ist, mich aufzumuntern.«

      »Wir sind Freunde«, sagte Allahad ernst, »Familie, Wexmell! Es ist meine Pflicht. Und es ist eine Pflicht, die ich nicht als solche empfinde. Außerdem … wie oft hast du mir mit Rat zur Seite gestanden? Ich will dich trösten, soweit es mir zusteht, weil du es zweifellos auch für mich oder Luro – ach was rede ich da, für einfach alle tun würdest. Jetzt verdienst du es, dass andere für dich da sind.«

      Wexmell lächelte ihn teils gerührt, teils traurig an. »Ich danke dir.«

      Freunde wie diese zu haben, bedeutete Wexmell alles auf der Welt. Ohne Luro und Allahad wäre er in den letzten Wochen sicherlich in einen tiefen Abgrund gestürzt. Sie hatten ihn immer wieder aufgefangen. Sie hörten ihm zu. Oder er ihnen. Sie gaben sich gegenseitig Trost und Halt. Wie eine Familie es eben einfach tut.

      »Luro und ich …«, begann Allahad zögerlich und senkte den Blick zu Boden, »… wir haben beide schon am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, einen Geliebten zu verlieren. Und ich denke … Also ich möchte dir schon seit Tagen etwas sagen, doch weil Desiderius mein engster Freund war, fällt es mir schwer, diese Worte über meine Lippen zu bringen …«

      Neugierig betrachtete Wexmell sein Profil.

      Allahad sah ihm ernst in die Augen. »Du wirst verzweifelt sein, lange. Du wirst traurig sein, lange. Aber irgendwann, da kommt der Moment … da wirst du dich gut fühlen. Glücklich sein. Und wenn der Moment da ist …«, es war Allahad anzusehen, dass es ihm schwerfiel, weiter zu sprechen, » … empfinde keine Schuld.«

      Wexmell begann zu lächeln, denn er konnte mit absoluter Sicherheit garantieren: »Das wird nicht geschehen.«

      Allahad nahm gequält den Blick von Wexmell. »Das dachte ich auch einmal.«

      »Ich bin nicht du.« Es war kein Tadel, sondern nur eine liebgemeinte Erinnerung.

      »Nun denn, vielleicht findest du keine Liebe mehr«, lenkte Allahad ein, weil er wohl zu dem Schluss gekommen war, dass Wexmell für diese Art von Gespräch noch nicht bereit war.

      Dafür war es wahrlich noch zu frisch.

      Allahad sah Wexmell wieder in die Augen. »Aber du wirst eines Tages wieder etwas anderes als Trauer empfinden. Ob du willst oder nicht. Und ich will dir nur sagen, dass du, wenn es soweit sein sollte, keine Schuld empfinden musst. Ich möchte nur sagen … wir verurteilen dich nicht, ganz egal, was geschieht.«

      Die Loyalität seiner Freunde rührte Wexmell bis tief in seine verletzte Seele. Er lächelte Allahad nur dankbar an. Er brachte in jenem Moment keine Worte hervor, die ausgedrückt hätten, wie ergriffen er war.

      Er drehte das Gesicht und blickte nachdenklich in den Wald. Allahads Worte gingen ihm einen Moment im Kopf herum. Und er musste sich fragen, was er empfinden würde, wäre er tot und Desiderius noch am Leben. Wenn es anders herum wäre, wenn er von der Nachwelt heraus Desiderius im Leben beobachten und glücklich sehen würde, vielleicht neu verliebt …

      Ja, der Gedanke machte ihn für einen Augenblick wütend, doch dann besann er sich wieder.

      Das Glück seines Geliebten wäre ihm wichtiger als sein eigenes Empfinden. Denn er wäre dann tot, und Desiderius musste weiterleben.

      Wexmell glaubte fest daran, dass es Desiderius nur wichtig wäre, dass Wexmell glücklich war. Wo auch immer er jetzt sein mochte.

      Trotzdem fragte Wexmell nachdenklich an Allahad gewandt: »Würdest du es Luro gönnen, wenn du tot und er am Leben wäre? Glück ohne dich?«

      Allahad senkte den Kopf, er blieb Wexmell die Antwort schuldig. In dieser Sache kannte Wexmell den eifersüchtigen Schurken ohnehin so gut, dass er die Antwort bereits wusste.

      Die Sonne war während ihres Gesprächs weiter gen Himmel gewandert und sandte gemächlich ihre Strahlen durch die Tannenbäume.

      Seufzend hielt Wexmell das Gesicht in die Sonne und schloss die Augen. »Darüber mache ich mir gar keine Gedanken, Allahad. Einzig und allein, wo er jetzt sein mag, interessiert mich.«

      Er spürte Allahads neugierige Augen auf seinem Profil.

      »Die ganze Zeit schon erwarte ich eine Art Zeichen«, gestand Wexmell und streckte die Hand leicht aus, als milder Morgenwind um sie herum einen Bogen beschrieb, sodass ihre Haare zur Seite gedrückt wurden. »Etwas, das mich ihn spüren lässt. In der Luft. Im Wasser. In der Erde, auf der wir sitzen. Im Feuer, das unser Essen wärmt. Irgendwo. Irgendetwas. Aber …«

      »Da ist nichts«, flüsterte Allahad traurig, als erginge es ihm ebenso.

      Wexmell öffnete die Augen und betrachtete den Schurken. Er saß leicht nach vornegebeugt neben ihm und hatte einen Ast vom Boden aufgehoben, mit dem er Spiralen in den von Tannennadeln übersäten Waldboden malte.

      »Ich spüre gar nichts«, sagte Wexmell düster.

      Allahad hob verwundert über Wexmells finstere Stimme den Blick.

      »Ich müsste doch etwas spüren!«, glaubte Wexmell, ihm war seine Verwirrung deutlich anzuhören. »Das er tot ist! Ich spüre es nicht, Allahad.« Wexmell lehnte sich zu seinem alten Freund und klopfte sich auf die Brust, wo sein gebrochenes Herz schlug. »Hier drinnen müsste ich es doch spüren! Ich habe immer gedacht, wenn er eines Tages vor mir stirbt, würde ich es mit jeder Faser meines Körpers wissen. Es müsste sich anfühlen, als hätte jemand die andere Hälfte meines