Der verborgene Erbe. Billy Remie

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Название Der verborgene Erbe
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия Legenden aus Nohva 5
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742739742



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Schwerfällig kam Lugrain auf die Beine. »Sei es drum. Ich verletzte dich schon einmal, Kreatur, es wird mir ein Leichtes sein, es zu wiederholen!«

      Die Gottheit betrachtete Lugrain mit gesunder Vorsicht, als er sich mühsam wieder aufrichtete und den stolzen Rücken durchdrückte.

      »Ihr wollt nicht aufgeben?«, fragte sie verwundert über ihn. Neugierig verengte sie ihre schönen Augen. »Trotz Wunden? Trotz, dass ich Euch überlegen bin, sterblicher König?«

      Lugrain begann zu grinsen. »Ich habe bisher gerecht gekämpft, aber wenn du mit faulen Tricks und mit Magie kämpfen willst, habe auch ich noch eine Überraschung für dich …«

      Sie machte einen ängstlichen Schritt zurück, als sich Lugrains sterbliche Augen in die geschlitzten Pupillen des Wesens verwandelten, das Zazar mit seiner Seele verflochten hatte. Er bleckte die Fänge und knurrte tief in der Brust.

      Die Gottheit wurde sichtlich blasser.

       »Sie hat Angst, weil du der erste bist, der sie verletzte.«

      Ermutigt machte Lugrain einige Schritte auf sie zu. Sie wandte den Kopf etwas zur Seite, als wollte sie zurückschrecken, blieb aber trotzig vor dem Altar stehen, der zu ihren Ehren erbaut worden war.

      »So schwer verletzt könnt Ihr unmöglich eine Verwandlung riskieren!«, glaubte sie, doch ihr war ihre Unsicherheit anzuhören.

      »Die Gefahr ist es wert«, grollte der Drache.

      Lugrain log mit höhnischen Grinsen: »Oh doch, das kann ich. Ich kann mich zu jeder Zeit verwandeln.«

      Sie forschte nervös in seinen Augen, dabei machte sie fast unscheinbar einige Schritte zurück.

      Lugrain nutzte ihre Unsicherheit aus und sprang mit allerletzter Kraft auf sie zu. Er packte ihre Kehle, sie zog erschrocken die Luft ein, und er drückte sie mit dem Rücken grob über den Altar. Er spürte bereits unter seinen Fingern ihre Haut weich und kühl werden, als wollte sie sich ein weiteres Mal in Wasser auflösen.

      Dieses Mal entkam sie ihm nicht, er hob das Schwert an, das sein Schmied mit Hingabe für ihn gegossen, und das Zazar mit Liebe für ihn verzaubert hatte, um genau das zu tun, was er hier gerade tat: Monster zu töten.

      »Wartet!«, rief sie erstick, als die Spitze der Klinge in ihren Hals drückte, und verhinderte, dass sie ihm entwichen konnte. »Ist gut, König, Ihr habt mich überzeugt.«

      Lugrain runzelte seine markante Stirn. »Was meinst du damit?«

      »Ihr müsst mich nicht vernichten!«

      »Doch, das muss ich!«, zischte er wütend. »Wir sind im Krieg! Wegen Wesen wie dir! Mein Volk hungert, mein Volk stirb hier. Ich muss die See bändigen, damit meine Fischer wieder Nahrung finden, da die Dämonen den Wildbestand der Wälder fast vollständig ausgelöscht haben. Und anstatt den Sterblichen beizustehen, wie es die Pflicht einer angeblichen Gottheit gewesen wäre, zwingst du meine Völker in die Knie. Lässt sie Hunger leiden. Verschlingst mit deinen Wellen meine kostbaren Schiffe. Verhinderst, dass die Unschuldigen auf Inseln fliehen können, bis ich den Krieg für sie beendet habe!«

      Die Wut über die Nachlässigkeit der Kreatur ließ Lugrains Schwertarm zittern.

      »Du hast die Wahl«, zischte er drohend, »entweder du ergibst dich meiner Klinge, oder ich verwandle mich in das Wesen, das dazu geschaffen wurde, Kreaturen wie dich zu fressen.« Er drückte ihr das Schwert noch etwas tiefer in die Haut, bis goldenes Blut glitzernd hervorquoll.

      »Ich bin noch nie einem Sterblichen wie Euch begegnet«, sagte die Gottheit geradezu fasziniert. »Ihr seid der erste Mann, dem es gelang, so viele unterschiedliche Völker zu einen, und der erste, der König eines wilden, freien Landes wurde. Ein Mann, dem es gelang, einen Halbgott-Halbdämon an sich zu binden. Ein Mann, dem zu folgen es sich lohnt. So stolz, so hartnäckig, selbst im Angesicht des Todes. Ihr wollt Euch selbst opfern, um die Völker zu retten, die Ihr zu schützen geschworen habt … Ein Märtyrer, gewiss. Doch Euren tiefsten Wunsch kennt nur Ihr selbst, und der Drache in Euch. Denn Ihr wollt sterben, selbst wenn Ihr Euer geliebtes Halbwesen dafür im Stich lassen müsst. Ihr wollt sterben, um die wiederzusehen, die Ihr einst geliebt habt. Aber Euer Tod wird Unheil anrichten, König. Euer Sohn wird viel Blut vergießen. Eure Freunde, denen Ihr den Thron überlasst, werden ihn nicht mehr hergeben, Euch werden sie aus der Geschichte verbannen. Und Euer Bellzazar … wird zerbrechen an den Spielen, die die neuen, ach so barmherzigen Götter für ihn bereithalten.«

      Lugrain wollte nicht länger zuhören, zu nahe lag die Gottheit an der Wahrheit und an seinen tiefsten Ängsten. »Spar dir deinen letzten Atemzug für dein Todesröcheln auf!« Lugrain wollte zustechen …

      »Ich lasse mich von Euch bändigen, König, der über die freien Länder wacht!«

      Lugrain hielt überrascht inne.

      »Ich werde Euch gestatten, mich zu bannen«, wiederholte die Gottheit, als Lugrain ihr fragend in die dunklen Augen blickte.

      Lugrain konnte ihr nicht glauben.

       »Sie sagt die Wahrheit.«

       Sie könnte uns täuschen.

      »Ich werde Euch helfen, den Dämonenfürsten aufzuspüren. Ich werde sogar ohne Aufstand in die Unterwelt gehen und dort verharren, solltet Ihr ihn wahrhaftig besiegen, so wie es jedem vergessenen Gott ergehen wird, solltet Ihr Erfolg haben. Ich werde die See zahm lassen und Euch ihr Siegel anheften, auf dass sie Eure Seele stets erkennt. Ihr könntet durch alle Gewässer dieser Welt schwimmen, ohne dass Euch Gefahr drohen würde. In diesem und in jedem anderen Leben, das folgen sollte.«

      »Ich gehe keinen Pakt ein.«

      »Pakte schließt man mit Dämonen, König«, tadelte die Gottheit. »Nein, es ist kein Pakt. Ihr wollt mich töten, doch ich ergebe mich freiwillig. Es ist ein friedliches Abkommen. Ein Bündnis!«

      Lugrain nahm das Schwert runter und trat einen Schritt zurück. Er war kein Mörder, und wenn er jemanden tötete, der sich freiwillig ergab, wäre es Mord.

      Froh war er damit nicht. »Du wirst einfach nur ausharren, bis du eines Tages eine Möglichkeit findest, dich zu rächen«, fürchtete er.

      »Nein«, versprach die Gottheit und machte einen Schritt auf ihn zu. »Alles, was ich will, ist Euer Wort, das Ihr eines Tages zurückkehrt und mich wieder frei lasst. Ich werde mich durch das Wort des Königs von Nohva binden lassen, auf dass mich nur der wahre König von Nohva wieder frei geben kann, wenn die Zeiten besser stehen.«

      »Und dann wirst du die Fischer wieder vom Weg abkommen lassen? Die Küsten überschwemmen, und mein Volk hungern lassen? Alles, was du mir anbietest, ist etwas Zeit.«

      »Nein, König, der über die freien Länder wacht!« Die Gottheit fiel vor ihm auf die Knie.

      Lugrain wich erschrocken einen Schritt zurück. Er war nur ein Sterblicher, mit einer verflochtenen Seele, aber dennoch sterblich. Doch vor ihm kniete eine Gottheit.

      Wenn das mal kein Ereignis für eine Legende war.

      »Ich gelobe dem rechtmäßigen König Nohvas die Treue«, schwor die Gottheit, »sofern er mir die Treue hält. Kommt zurück in diese Welt, König, und gebt mich frei. Vertraut mir, Ihr werdet es bitter nötig haben. Denn Euer Tod wird einen Zyklus beschreiben, den ich zu gegebener Zeit zu durchbrechen weiß. Dafür benötige ich Euer Vertrauen.«

      Lugrain sah düster auf die Gottheit hinab. »Warum sollte ich dir glauben?«

      »Warum sollte ich lügen?«, warf sie klug ein. »Sobald Ihr mich gebannt habt, bin ich Eurer Gnade ausgeliefert. Ich werde nur dann frei sein, wenn Ihr es wieder gestattet. Genau genommen bin ich es, der großes Vertrauen schenkt.«

      »Ich werde sterben«, sagte er eindringlich. »Bald schon.« Dieser Umstand machte ihm Angst, denn er wusste von Bellzazar, dass er nach dem Tod willenlos der Gnade der Götter ausgeliefert sein würde, die er verachtete, für das, was sie Zazar antaten. Weil sie ihn verschmähten.