Jakob Ponte. Helmut H. Schulz

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Название Jakob Ponte
Автор произведения Helmut H. Schulz
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847668800



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und zu Wellen und Löckchen aufgesteckt, obschon eine solche Aufmachung staatlicherseits ungern gesehen wurde. Das Haus Links hielt auf sich; es war auch das erste am Platze und erfreute sich großen Zuspruches durch die städtischen Amtsträger. Alle diese halb uniformierten Mädchen wurden mit Vornamen gerufen; sie hießen Elli oder Wally, und mein Ohr entnahm ihren Namen den Klang der Liebesfanfaren; etwas herablassend Respektloses schwang im Ruf des Kunden nach einem der Mädchen mit, das nicht seine Tochter und doch keine Prostituierte war. Ich will damit nicht sagen, dass es im Café am Markt unordentlich zugegangen wäre, im Gegenteil, die Firma Links war viel zu sauertöpfisch, um ein Bordell zu dulden. Nein, es war Provinz, die halbe Wahrheit, die ganze Heuchelei, der hohle Schein, der sich spreizte, wenn auch nur Kaffee, Sachertorte und die Tröpfeltöne eines Klaviers geboten wurden, abgesehen von dem, was hinter den Kulissen geschah.

      Ich saß also gern im Café Links und sog den Geruch der Sünde ein, ohne recht zu wissen, worin sie bestand. Im Übrigen erschienen mir alle diese Mädchen wirklich schön. Mein Meister Fabian, der selbst gelegentlich einen Kaffee mit Kirsch im Etablissement Links zu sich nahm, mochte die eine und andere der Mädchen seelsorgerisch betreuen und ihre Geheimnisse kennen. »Diese hier sind ohne Zweifel den Engeln Gottes verwandt«, sprach ich wohl spöttisch, auf die Dienerinnen des Hauses weisend, deren kleine Hintern unter den kurzen Röcken wackelten, was einen entzückenden Anblick bot. Mein Meister brach in ein helles Gelächter aus. Er lachte Tränen und konnte sich kaum beruhigen, bis die Mädchen ängstlich herüberblickten, ahnend, dass eine von ihnen der Anlass für den priesterlichen Heiterkeitsausbruch gegeben hatte. »Ich habe anscheinend einen Muselmann aus dir gemacht«, sagte er, sich die Lachtränen abwischend. Ich forschte nicht weiter nach, was seine Bemerkung bedeute, war aber verstimmt über seine Ignoranz.

      Von dieser Kinderfreundschaft zwischen mir und Jan profitierte Großvater übrigens schamlos. Häufig gab er vor, mich aus dem Café abholen zu müssen und besuchte in Wahrheit Herrn Links, seinen Freund, um sich einen anzutrinken. Wenngleich auch die Stadt nicht gerade ein Sündenbabel gewesen ist, so war sie doch lebensfroh und sinnlichen Genüssen gegenüber offen. Und so sah ich denn staunend Großvater und den Erzeuger meines Freundes Jan gelegentlich zum Trinkgelage schreiten. Manchmal nahm mich Großvater allerdings beiseite und trichterte mir eine seiner faulen Ausreden ein. Die alte Frau vertrug eine ganze Menge Schwindel, freilich nur, um ihm die Kandare um so fester anzuziehen. Anders Mama. Sie lechzte selbst zu sehr nach dem freien Leben, als dass sie Großvater und mir die Kumpanei verzeihen konnte. Sie stimmte ihre Leier immer öfter auf den moralisierenden Ton. »So fängt es an! Ich erkenne den schlechten Charakter seines Vaters wieder! Ich will nicht sagen, dass Jakob ein Alkoholiker ist, aber jung geübt, alt getan«.

      »Nun«, sagte Großmutter, »er trinkt vorläufig meistens Milch oder Schokolade. Aber schon recht; er ist eben ein Mann oder er wird es einmal werden, und dir hängen wohl nur die Trauben zu hoch«. Worauf Mama leise aufschrie und nach Paris oder Eisenach zu ziehen drohte; ich wiederhole mich, allein nur, um der Wahrheit zu dienen. Um Mama gab es mehr als ein Geheimnis; sie hätte dienstverpflichtet sein müssen, wie alle Frauen jener Kriegszeit, allein sie bewarb sich heimlich um eine Stelle beim Luftfahrtministerium in Berlin, wovon Großmutter nichts ahnte. Anders hätte sie es zu verhindern gewusst, dass ihre Tochter Nachrichtenhelferin und Blitzmädel werden wollte.

      Mit meinem zweiten Freund trat ein andersgearteter Mensch als Jan Links in mein Leben. Zu Jan fühlte ich mich innerlich hingezogen, Karl flößte mir Respekt und den Wunsch ein, mich zu seinen Freunden zu zählen. Sein Vater, pensionierter Oberstudienrat und Witwer, lebte mit einer schwerhörigen Wirtschafterin in einem einsamen Haus am Berg und dem Waldrand, sodass Karl einen ziemlich weiten Schulweg hatte, was der Entwicklung seiner Beinmuskeln zugutekam. Die halbtaube Aufwartefrau des Alten führte ihnen die Wirtschaft und sorgte für das körperliche Wohl der beiden Männer. Ich habe sie im Übrigen sehr selten gesehen; sie wirkte gleichsam lautlos in diesem Haushalt. Karls Talente lagen auf dem Gebiet der exakten Wissenschaften, vorerst der Biologie; er sammelte Käfer und Schnecken, spießte Schmetterlinge auf Stecknadeln, und studierte ihren Todeskampf. Die Leichname pflegte er, mit einem Schildchen und dem lateinischen Namen zu versehen, und in Kästchen aufzubewahren, die oben verglast, einen Blick in die tote Welt der schönen Flattertiere gestatteten. Die Schrullen der beiden, Sohn und Vater, gingen auf Kosten der übrigen schulischen Leistungen Karls, zum Beispiel lernte er es nie, schön zu schreiben, aber Schönschreiben war ein Unterrichtsfach. Übrigens störte das den alten Schulmann keineswegs; unbeirrt unterwies er den Sohn nach eigenen Regeln und Systemen und führte Krieg mit den Volksschullehrern, bereitete er doch seinen Filius auf eine naturwissenschaftliche Laufbahn vor, was nicht Sache der Volks- oder Gemeindeschule gewesen ist. Die Autorität des Alten entschied; ohnehin würde Karl bald umgeschult werden.

      Das Haus der Kniris lag wie gesagt an einem Hang, gleich dahinter stieg ein Berg steil an, bis tief hinunter mit Tannen bestanden. Eine harzige reine Luft verströmte der Wald, von den Wiesen stiegen im Frühling und Sommer die Düfte üppig wachsender Wildkräuter auf. Vom Fenster des großen Wohn- und Arbeitszimmers aus konnte man in der Ferne die Heilanstalt Puffenrode sehen, in der, wie es hieß und wie oben angedeutet, eigenartige Dinge geschehen sollten. Das Arbeitszimmer war bis hoch unter die Decke mit Bücherregalen vollgestellt. Auf Ständern und Konsolen befanden sich aufgeschlagene Werke, Atlanten und Himmelsgloben. Jeder Quadratzentimeter des Zimmers sprach vom Bemühen um Wissen und um Erkenntnis. Auch das war Provinz, wie ich fühlte oder zumindest ahnte, das Studierzimmer eines strebenden einsamen Johann Faust. An seinem Schreibtisch las und schrieb der Oberstudienrat, ein rüstiger Alter mit weißem Haar, stehend glich er einem hageren Riesen mit buschigen Brauen und blitzenden Augen. Über sich kreuzenden Schlägern des Alten hing das Zeichen seiner Korporation Thuringia. Seinem Studiertisch stand Karls Tisch gegenüber, mit Bunsenbrenner, einem Mikroskop, vielen Petrischalen und verschiedenen physikalischen Geräten, den Reagensgläsern in ihren Ständern. Eines nachmittags, stellte Karl eines seiner Präparate her, und ich musste ihm assistieren, indessen Hochwürden Fabian, der aus irgendeinem Grund mit herausgekommen war, sich mit dem Alten unterhielt. Sachverständig zog Karl einer großen haarigen Raupe gleichsam den Rock aus, das heißt, entfernte deren Inneres vorsichtig durch den After, und blies die Hülle vermittels eines dünnen Strohhalms auf; danach trocknete er den Balg vorsichtig über der Flamme des Brenners. Mein Meister Fabian, mit dem Alten eng befreundet, bemerkte missbilligend: »Ei, Commentatore, fürchtest du nicht, dass er zu jung ist für diese Dinge?«

      »Das wissenschaftliche Experiment ist nicht mit den Maßstäben des Pöbels zu messen; wie du wohl weißt, heiliger Vater. Was die Kreatur betrifft, so ist ihr Tod völlig belanglos und einem höheren Zweck geopfert. Das gilt für Pflanzen, für Tiere wie für Menschen«. Allein Hochwürden schien diese Antwort nicht zu befriedigen. Schweigend wiegte er den Schädel hin und her. Als Karl seine Raupe gedörrt hatte, überzog er sie mit farblosem Lack, und steckte den Balg auf eine Nadel. Er brachte das Präparat an dem ihm vorbestimmten Platz in einem seiner Kästchen unter, verkündete Namen und Kategorie des Präparates, und der Vater lächelte anerkennend, »Schon recht, Filius; sine ira et studio.«

      Zu unserer Clique gehörte halb und halb Artus Hengst. Sein Vater arbeitete in subalterner Stellung beim Magistrat, und die Familie Hengst-Pflaumenbaum, das heißt, Vater und Sohn, lebte in einem argen und kargen Mietshaus am Stadtrand, einer Penner- und Bettlergegend. Die Verhältnisse waren mir unklar; anscheinend teilten sich die Elternteile den Jungen. Die Mutter, die ich nie zu Gesicht bekam, vielleicht weil sie gar nicht mehr in der Stadt lebte, hatte den Namen Hengst als ihren Mädchennamen wieder angenommen und auch Artus lief als ein Hengst herum. Es mag übrigens auch das Schutzbedürfnis eine Rolle gespielt haben; die Sache war die, dass sich Frau Hengst von dem Mann Pflaumenbaum hatte scheiden lassen, weil dieser als Staatsfeind im Konzentrationslager untergebracht werden musste, um unserer aller Ruhe willen; auf Antrag war ihr der Mädchenname Hengst zugebilligt worden, da sie arischen Ursprungs, und ihr Sohn hieß fortan in den Dokumenten ebenfalls Hengst. Weshalb ich ihn als Freund bezeichne, hat einen besonderen Grund. War er nicht unser Intimus, so wurde er doch bald unser Rivale, als einer jener getreuen, zuverlässigen Feinde und Wegbegleiter, bei denen man immer weiß, woran man ist. Seinerzeit haben wir von ihm nie etwas Gutes erhofft, ihm aber nach Kräften mitgespielt, bis er unser Meister wurde, wodurch? Nun, durch die Wende vom Nationalsozialismus zum Sozialismus, durch unser deutsches Schicksal, dem Allmächtigen Chronos