Название | Jakob Ponte |
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Автор произведения | Helmut H. Schulz |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847668800 |
Neben Großmutter in der Gebetbank kniend, nahm ich anscheinend gutgläubig auf, in Wirklichkeit aber kaum noch wahr, was vorn geschah, die verschiedenen geistlichen Gewandungen, Stola, Manipel und Zingulum, das zu den Handlungen gehörende Gerät, dem Kelchvelum, die Patene mit der Hostie, Korporale und Palla und lernte nebenher die lateinisch gesprochenen Begleittexte der Messe, das von der Gemeinde gesagte Judica me, Deus, et discorne causam maem de gente non sancte, vor dem nicht recht schaffenden Volk errette mich; oder das eindrucksvolle qui tollis peccata mundi, vom Lamm, das die Sünde der Welt trägt und so fort bis zum geläufigen Dominus vobiscum, von der Gemeinde gemurmelt. Erst durch die Übertragung ins Deutsche gewinnt das alles Sinn und wird als Symbolik vertraut. Meine Großmutter, eine reine Milieuchristin, hielt sich an Regeln, sie achtete streng auf die Formen, und ich verfolgte mechanisch, in Gedanken woanders, den Wechsel des Messpriesters und seines ministrierenden Gehilfen von der Evangelienseite auf die Seite der Epistel, oder umgekehrt, belauschte die neben mir kauernde alte Frau, saß oder stand, je nach dem es die Messregel erheischte. Da ich Hochwürden Fabian als Hausgenossen kannte und achtete, der übrigens Diakon und Domkapitular seiner Kirche war, mit dem Bild des Heiligen Sebastian neben dem Hauptaltar, dieses armen Märtyrers, dessen Körper sie mit Pfeilen gespickt haben, war er mir weniger als Geistlicher nahe, denn als Mensch, sah aber doch seiner Verwandlung in eine Art Gott und Priester mit Ehrfurcht an.
Insofern aber war meine religiöse Bildung in der Tat nach sechs Jahren unauffälliger Erziehung so gut wie abgeschlossen, ich hätte mich als einen vollkommenen Katholiken bezeichnen dürfen, weniger als einen gläubigen. Großmutter wünschte, mich nun sobald als möglich in der Firmung zu sehen, aus welchen Gründen auch immer, indessen mein Onkel Meister Fabian den Termin hinauszögerte. Nun mag manches für ihr Verlangen gesprochen haben meine Firmung zu betreiben; noch hielt zwar das Konkordat zwischen Nationalsozialismus und Vatikan, aber einzelne Konfessionsschulen waren bereits geschlossen worden, und der Krieg schien nicht so bald enden zu wollen. Niemand konnte das Danach der Wende vorhersagen, aber dass der Friede furchtbar sein werde, weshalb sie alle den Krieg genießen sollten; diese Lehre war weit verbreitet.
Was den Akt der Firmung selbst betrifft, so wurde sie für gewöhnlich vom Bischof vorgenommen, und sollte nur in Ausnahmefällen dem Priester überlassen bleiben. Aber ich hatte natürlich die schwarz gewandeten Bürschlein mit ihren Akkoluthen oder Beiwohnern verstört und trübsinnig wie Krähen in Reihen auf der Firmbank hocken sehen, bis sie der Bischof aufrief, ihre Stirnen mit dem Chrysamen bestrich, das Salböl mit der heiligen Watte wieder entfernte und die Firmlinge mit einer Formel auf ihren Lebensweg schickte: Ich bezeichne dich mit dem Zeichen des Kreuzes und stärke dich mit dem Chrysamen des Heiles, in nomine ... und so weiter, um nach dem Empfang des Backenstreiches mit dem Pax tecum weggeschickt zu werden. Es war das erste Mal, dass ich meinen Meister sozusagen kirchenamtlich in Stellvertretung des Bischofs beschäftigt sah und noch dazu mit mir, denn Großmutter hatte ihren Willen und meine vorzeitige Firmung durchgesetzt. So sprach er denn betont streng und ernst die Formel: Widersagt ihr dem Satan und all seiner Verführung, worauf wir, die kleine Schar Firmlinge, in corpore versprachen, ihm zu widersagen. Was im Anschluss daran, mit dem: sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist und mit einem gemeinsamen Amen abschloss ... Hier bin ich etwas ausführlicher auf das Ritual eingegangen, weil, wer will, daraus entnehmen kann, dass die weltlichen Prozedere alle Form bei uns abgeguckt haben, und keinen geistig unvorbereitet in ihre Gemeinschaft aufnehmen, denkt man an die sogenannte Jugendweihe, die meine Kinder bekamen, natürlich neben Taufe und Firmung, wie sich von selbst versteht.
Dass ich ungefähr um diese Zeit Zeuge eines Gespräches zwischen Meister Fabian und meiner Großmutter wurde, war auch weniger dem Zufall geschuldet, als der Tatsache, dass sie mich noch für ein unschuldig dummes Kind hielten; in Wahrheit bin ich eher schon ein schlauer kleiner Teufel gewesen. Der Gedankenaustausch zwischen diesen beiden um meine vorgezogene Firmung bezog nämlich eine wichtige Person mit ein, die ich längst zum Familienkreis zählte, Doktor Wilhelmi. Es ging um mich, das heißt, um meine Abstammung, und es ging um die Rolle des Arztes in der Heilanstalt Puffenrode, viel mehr, um das Gerede darum in der Stadt. Ferner drehte es sich, wie ich aus späterer Einsicht hinzuzufügen habe, um eine Predigt des Berliner Bischof Preysing gegen die staatliche Beseitigung unheilbar Kranker aus unserer gesunden Mitte, also der sogenannten Euthanasie. Großmutter vermochte sich kaum etwas unter dem Begriff vorzustellen, wollte aber wissen, ob der Herr Neffe öffentlich Stellung zu den Tötungen nehmen würde, wie manch einer seiner Amtsbrüder, angesichts dessen, was sich eventuell in Puffenrode abspiele. Hierauf fragte Meister Fabian zurück, was sie denn eigentlich darüber wisse; falls nicht alles nur Gerücht sei oder das meiste daran. Vielleicht brachten sie ja nur die Kranken in dazu vorbestimmten Anstalten unter, um die Oberaufsicht über ihre Gesundung zu behalten. Übrigens aber seien die Einweisungen per Kleinfahrzeugen mit verhangenen Fenstern, die das Städtchen erregt hatten, seit dem Vorjahr eingestellt worden, was die Beschäftigung mit der Sache überflüssig mache. Man habe in Kreisen der Geistlichkeit zwar gelegentlich darüber gesprochen, sei allerdings zu der Auffassung gelangt und überein gekommen, keine schlafenden Hunde zu wecken, denn was einem Bischof nachgesehen, das stürze einen kleinen Pastor ins Verderben, zumal die Sache selbst durchaus nicht eindeutig zu beantworten sei.
Und sonst? Was er selbst meine, fragte sie, wie mein lauschendes Ohr aufnahm.
»Nichts und sonst«, hatte er kurz angebunden und unbeherrscht erwidert. Wenn er ihr erklären wollte, was die theologischen Autoritäten darüber gedacht und geschrieben hatten, würde es zu lange dauern, und sie würde es nicht verstehen. Probabilismus ließ er sich herbei, bedeute nämlich im Großen und Ganzen, dass es überhaupt keine ethische Entscheidung gebe, die an sich gut oder böse sei. Es stehe viel auf dem Spiel; die Tötung Geisteskranker werde also obrigkeitlich, soweit es die Kirche betreffe, stillschweigend geduldet, wenn nicht ausdrücklich erlaubt.
Der hochgeschätzte Leser, der natürlich mehr weiß, als der Autor zur Tatzeit begreifen konnte, mag sich damit trösten, dass ich den Inhalt dieses Gespräches nicht korrekt nacherzähle, sondern in Andeutungen und den Stichworten, wie sie der Geistliche in seinem Tagebuch festgehalten hat, das nach seinem Tode in meinen Besitz kam. Aber die Antwort meines lieben Wahlvaters enthält doch einen beruhigenden Fingerzeig; er sagte, Großmutter könne ganz gelassen bleiben, soweit die Angelegenheit mich, also Jakob, betreffe; ihn binde allerdings das Beichtgeheimnis, um mehr zu sagen. Sie könne ihm glauben, der Doktor werde alles ihm mögliche tun, um diesem Sohn, symbolisch und realiter beizustehen. Damit musste sich Großmutter wohl oder übel zufriedengeben und sie sagte, sie habe immer so etwas geahnt und sei keineswegs überrascht, falls er und sie ein und dasselbe meinten. Allein der Leser muss ebenso wohl oder übel darauf vertrauen, dass ich den Kern der Sache durchaus verstand.
Von der Euthanasie wurde überall in der Stadt gesprochen, meist zustimmend, weil es für die armen Idioten ja doch eine Erlösung sei, schmerzlos hinweggenommen und in eine bessere Welt versetzt zu werden. Und den ungebildeten und dennoch hoch geschätzten Leser mag es weiter trösten, dass ihn seine historischen Gewährsmänner und Lieblingsautoren, die Verfasser von gruseligen politischen Bestsellern mit der Behauptung hinters Licht führen, dergleichen sei einmalig und werde sich niemals wiederholen und keiner habe überdies etwas gewusst. Inzwischen hat sich die Massentötung weltweit durchgesetzt und uns, die wir im sicheren Hort sitzen, bleibt beruhigenderweise der verbale Protest gegen Unmenschlichkeiten anderer in anderen Weltgegenden.
Immerhin, Puffenrode war eine Realität und eine normale Klinik und Doktor Wilhelmi, den ich allerdings nach diesem erlauschten Gespräch mit anderen Augen sah, eben dort vielseitig tätig. All dies sollte in meinem Leben später noch eine Rolle spielen. Der Wunsch Großmutters, aus mir einen Firmling zu machen, und der Kopfschmerz, den ich meinem Hausarzt wegen des Gutachtens über meine zweifelhafte Herkunft bescherte, all das wurzelte nun einmal tief und schrecklich und höchst banal in der Zeitgeschichte. Zuletzt kam wie immer, alles ganz anders. Also Leser, wenn du auch ungern liest, oder höchstens in