Название | Der Zauber von Regen |
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Автор произведения | Liliana Dahlberg |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737534710 |
Nadine wünschte, dass sie dasselbe auch behaupten könnte, und erwiderte dennoch: »Ich freue mich auch, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Sie wurde sich der Tatsache gewahr, dass sie bisher nur wenig über Anja wusste, auch wenn ihr Vater über sie gesprochen und Andeutungen gemacht hatte. Das würde sich bald ändern, wenn nicht gar in wenigen Augenblicken.
Ihr Vater ergriff das Wort: »Ich habe mir erlaubt, dir ein kleines Frühstück zu zaubern … ähm, ich meine natürlich uns«, korrigierte er schnell und fing den vielsagenden Blick seiner Tochter auf, der nach wie vor Unbehagen ausstrahlte.
Sie betraten das Kaminzimmer mit seinen großen dunklen Balken an der Decke und näherten sich der reichlich gedeckten Frühstückstafel.
»Nein, ist der Tisch schön hergerichtet«, entfuhr es Anja, »lasst uns doch alle setzen.«
»Genießen Sie das Buffet des Gasthofs Hansen, wir haben schließlich Besuch erwartet«, sagte Nadine mit einem Ton in der Stimme, der die Ironie ihrer Äußerung verriet. Sie war über sich selbst überrascht.
Anja verlor aber auch jetzt nicht ihr strahlendes Gesicht und wirkte keineswegs verunsichert. Nadine hatte merkwürdigerweise den Wunsch, es Anja nicht zu leicht und heimelig in ihrem Familiennest zu machen. Obwohl sie sich in das Liebesleben ihres Vaters nicht einmischen sollte, glaubte sie, Position für die Ehe ihrer Eltern beziehen zu müssen. Sie war wie eine Anwältin, die vielleicht für ein fragwürdiges Ziel kämpfte und für etwas, was nur noch auf dem Papier Bestand hatte, doch sie wollte, dass sich ihr familiärer Kokon nicht veränderte. Zumindest momentan noch nicht. Schließlich war es in ihrem Leben erst vor Kurzem zu einer neuen und unerwarteten Wendung gekommen. Nadine ahnte, dass es schon bald einen anderen Status quo in der Ehe ihrer Eltern geben würde. Neuer Wirbel in ihrer Welt, die sie selbst noch nicht wieder geordnet hatte.
Außerdem betrachtete sie die Ehe im Allgemeinen als eine heilige und besondere Instanz, die man so lange wie möglich bewahren und schützen sollte. Nadine wusste, dass sie da vielleicht eine ein wenig verstaubte und konservative Meinung hatte, doch so dachte sie nun einmal.
Anja mochte wirklich charmant und sympathisch erscheinen, aber Nadine glaubte unweigerlich, ihretwegen etwas zu verlieren und dass ein Sturm in ihrer Familie aufziehen könnte und die große Metamorphose unmittelbar bevorstand, die sie befürchtete.
Anja belegte den Stuhl neben ihr, und Nadines Vater nahm auf der gegenüberliegenden Seite des Tischs Platz. Nadine bemerkte schnell die verliebten Blicke, die sich Anja und ihr Vater zuwarfen. Seine Gesichtszüge waren noch sanfter und weicher als sonst und sehr entspannt. Er schien jetzt in den Augen seiner Angebeteten merklich zu versinken, die blau waren und in jenen grauen Nuancen lagen, die ihn ein wenig an die Nordsee erinnerten, die sich vor Sylt meist tosend brach und mit ihren Schaumkronen etwas Majestätisches und Hoheitsvolles besaß. Nadines Vater wollte sich in Anjas Augen mit den langen und geschwungenen Wimpern verlieren, die ihm so viele Geschichten von einem wunderbaren Menschen zu erzählen schienen. Geschichten, die die Augen seiner eigenen Frau schon lange nicht mehr erzählten.
Es herrschte eine kurze Stille am Tisch, da sich Anja und Bernd immer noch mit ihren Blicken fixierten und offenbar fesselten. Obwohl der Sekundenzeiger weiterhin im Takt schlug, stand die Zeit zumindest für die beiden still.
Nadine fand, dass man das neue Kapitel der Familie Hansen, das aufgeschlagen wurde, unter den paradoxen Titel »Der Anfang vom Ende« setzen könnte. Sie gönnte natürlich ihrem Vater die Freuden der großen Liebe, er sollte glücklich sein, aber das unangenehme Gefühl hielt sich, dass möglicherweise bald nichts mehr so sein würde wie früher. Da strahlte ihr Vater doch tatsächlich wie ein Pennäler verschmitzt seine Anja an, die etwas verlegen sein Lächeln erwiderte. Nadine war sich bewusst, dass sie blind gewesen sein musste. In Anja hatte sie nie mehr als eine Mitarbeiterin des Gestüts gesehen, die ihrem Vater vielleicht gefallen mochte, doch dass sich eine Beziehung zwischen den beiden anbahnen könnte, hatte sie völlig ausgeschlossen. Dem Zauber der Liebe konnte man sich jedoch nicht entziehen. Nadine wusste, wenn die Schmetterlinge im Bauch Kapriolen schlugen und man sich magisch von seinem Partner angezogen fühlte, war man schwer verliebt und hatte das Gefühl, nach den Sternen greifen zu können und dass der Himmel voller Geigen hing, die das wunderbare Lied der Liebe spielten, dem man nur noch lauschen wollte. Genau das war ihrem Vater widerfahren.
Wie lange die Liaison schon währte, konnte sie nicht sagen, denn es war ihm lange gelungen, das Geheimnis seiner Liebe zu Anja zu wahren. Jetzt wurden seine Gefühle zu dieser Frau ganz offensichtlich, als hätte sich ein fest verschlossenes Kästchen geöffnet. Dieses gewährte nun einen tiefen Einblick in Bernds Seelenleben und gab preis, was nicht länger versteckt werden konnte. All die Emotionen, die die ganze Zeit unter Verschluss lagen, standen nun zum Greifen nah im Raum.
Nadine räusperte sich, um zumindest für ein paar Momente den magischen Bann, in dem sich die beiden befanden, zu brechen und sich bemerkbar zu machen.
»Reichst du mir bitte den Honig, Vater«, sagte sie etwas distanziert, denn vor Anja wollte sie ihn nicht »Paps« nennen und so für noch mehr Intimität als nötig sorgen. Sie sendete auch an ihn ein eindeutiges Zeichen.
Ihr Vater zuckte ein wenig zusammen, lief im Gesicht rot an und kehrte in die Gegenwart zurück. Ihm war es unangenehm, dass er seiner Tochter seine Verliebtheit so bildlich vor Augen geführt hatte, und fühlte sich ertappt. »Sicher, mein Engel«, sagte er unruhig, und seine weichen Gesichtszüge wichen einer gewissen Nervosität und Anspannung.
Auch Anja schien wie aus einem Traum erwacht. Beide wirkten auf einmal peinlich berührt und hektisch.
Nadine nahm amüsiert zur Kenntnis, dass Anja und ihr Vater nun gleichzeitig den Tisch nach dem Honigglas absuchten. Es zu finden, war wahrlich kein so leichtes Unterfangen bei dem üppig gedeckten Tisch.
»Wo kann es nur sein?«, fragte Anja mit aufgeregter Stimme, als hätte Nadine nach einem wichtigen Wertobjekt gefragt, das binnen Sekunden ausfindig gemacht werden müsste.
Nadines Vater erhob sich sogar und schien mit seinen Augen den Tisch förmlich zu scannen. Er erspähte das Honigglas dann hinter dem reichlich gefüllten Brotkorb und ließ einen Seufzer der Erleichterung fahren.
»Da ist es ja«, sagte Bernd erfreut und holte es hervor. Er reichte es seiner Tochter, und diese verhehlte mit ihrem Grinsen nicht, dass sie die Szenerie sehr lustig fand.
Sie bestrich jetzt ihr Brötchen. Auch Bernd und Anja stillten ihren Frühstückshunger und versuchten, während sie sich am Tisch bedienten, sich nicht in die Augen zu sehen. Trafen sich ihre Blicke, schauten sie leicht beschämt zur Seite. Anja betrachtete durch das große Fenster das Watt, das sich malerisch vor dem Anwesen erstreckte und eine schöne Aussicht bot. Die Sonne, die durch die Glasscheiben fiel, ließ den ganzen Raum in einem hellen Licht erstrahlen und sehr freundlich erscheinen.
Stille kehrte ein. Momentan war nur noch vereinzelt das Geklapper von Geschirr zu vernehmen und wie mit Messern leckere Brötchen in zwei Hälften geteilt wurden. Anja nippte an ihrem Kaffee, den Bernd ihr, ohne dass beide ein Wort zu wechseln brauchten, nach ihren Wünschen zubereitet hatte. In diesem Fall war ihr Schweigen sogar sehr aussagekräftig. Es wirkte routiniert, so wie Nadines Vater zwei Stück Würfelzucker und etwas Milch in ihre Tasse gab. Anja bedankte sich kurz, als sie diese entgegennahm. Sie sah anschließend wieder hinaus auf das Watt. Nadine wünschte nun, dass es erneut zu einem Wortwechsel und Leben am Tisch kommen würde. Sie wusste, dass sich ihr Vater und Anja gerade sehr unbehaglich fühlten und versuchten, eine gewisse Unbefangenheit einander gegenüber auszustrahlen. Das gelang nur bedingt, und Nadine tat es fast schon leid, dass sie wohl Auslöser für die Stille am Tisch war. Sie wollte nunmehr ein Gespräch über ein unverfängliches Thema beginnen und sich nach dem Gestüt erkundigen.
»Hatte ›Cassis‹ schon seine Körung?«, fragte sie ihren Vater neugierig.
Cassis war ein junger Hannoveraner und aufgrund seiner dunklen Fellfarbe, die unter der Sonne sogar leicht bläulich zu schimmern schien, zu seinem Namen »Schwarze Johannisbeere« gekommen. Bevor ein Hengst zur Zucht eingesetzt werden konnte, stellte ein erster Schritt