FitShop. Dominik Rüchardt

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Автор произведения Dominik Rüchardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742757227



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trieb.

      Auch sein eigner Sohn Tom gehörte dazu. Doch derzeit war er weit weg, in einem anderen Leben. Er studierte hunderte Kilometer entfernt und das war auch gut so. Tom bildete für ihn die Brücke zu den jungen Leuten, aber er sollte nicht unbedingt in seine Fußstapfen treten. Zumindest nicht so bald.

      Er hatte es sich gerade gemütlich gemacht, als er Pavel um die Ecke biegen sah.

      Braungebrannt, mit geöltem Haar, Goldkettchen und Hawaiihemd, wie er so daherschlenkerte sah er aus wie aus einem schlechten Film, aber das war sein Stil.

      Pavel klatschte Julia und Flynn am Kiosk ab, achtete aber dann nicht weiter auf sie sondern sah gleich zu Gerhards Platz hoch. Das war auffällig. Einer wie Julia würde er eigentlich mehr Zeit widmen. Stattdessen bog er direkt ab, sprang die paar Stufen hoch und stand an seiner eisernen Gartentüre, die den Privatbereich abtrennte. Mit flinkem Griff drückte er den verborgenen Knopf zum Öffnen und bog in einer eleganten Drehung um die Ecke zu ihm an den Tisch.

      Noch bevor Gerhard den Mund aufbekam klatschte Pavel auf einen Stuhl und meinte in seinem typisch uninteressierten Tonfall: „Es gibt Neuigkeiten.“

      „Ja, und?“

      „Anton Vogel ist tot.“

      „Anton Vogel? Der Autobastler?“

      „Genau, der. Nur ist er nicht nur tot, sondern er wurde aus der Donau gezogen. In einem weißen Alfa Spider mit tschechischem Kennzeichen.“

      „Oh.“

      „Genau, oh.“

      Nicht nur, dass das für Gerhard 700€ Einnahmenverlust im Monat bedeutete, das konnte er verkraften, ja er wollte sich eh lieber aus dem Geschäft mit Kleinkriminellen zurückziehen. Schlimmer war der Alfa.

      „Dann lass uns Augen und Ohren aufhalten.“

      Verdacht

      Mit einem Eiersandwich in der Hand saß Greta auf dem Balkon der Wache und studierte die Unterlagen. Die Kollegen hatten erstaunlich schnell gearbeitet und zufrieden kaute sie einen Bissen nach dem anderen, ständig in Sorge, Mayonnaise auf den Bericht zu tropfen. Aber sie hatte Hunger und war gierig.

      Zuhause wurde der Linsensalat warm. Linda würde sicher einen großen Bogen darum machen und Thomas überreden, mit ihr eine Pizza zu bestellen. Ihre Familie war keinen Deut besser als der Rest der Welt, wie sie immer wieder einsehen musste. Voller Träume über eine bessere Welt, aber dann doch faul und bequem.

      Aber ihre Familie war ihr Anker in der normalen Welt, ohne den sie hilflos davontreiben würde in der großen Freiheit des Ozeans der Versuchungen. Insgeheim wäre sie am liebsten Verbrecherin geworden, das war ihr wollüstiger Traum. Der Verbrecher, der aus eigener Kraft und Intelligenz sein Umfeld beherrscht, völlig ohne die stützende Kraft der Gesellschaft. Das hatte etwas Magisches für sie. Der sich nicht um all die Regeln schert, die das Leben versauern, sondern tut, was er für richtig hält, klug, mit Bedacht, aber ohne Skrupel.

      Sie hatte sich aber nie getraut. Hatte sich vielmehr vor sich selbst beschützt und sich einen Beamtenjob und einen Sicherheitstechniker als Ehemann zugelegt. Doch die Wollust blieb und ihre stille Freude, mit dem Verbrechen auf Augenhöhe zu leben. Die gleiche Wollust, mit der sie nun tropfend und sabbernd den Eiersandwich aß, während sie versuchte, sich in ein Verbrechen zu versenken.

      Am Tatort, so nannte sie es jetzt, war alles routiniert abgelaufen. Storm hatte sich nach ihrer Begegnung auf allen Vieren heldenhaft angestrengt, um seinen lüsternen Blick in ihr ungeschütztes Dekolletee vergessen zu machen und Drang hatte sich vorbildlich um das Auto gekümmert. Und obwohl Storm immer noch diensteifrig wie nie um sie herumstolzierte, beschloss Greta vorübergehend, ihm im Dienst in Zukunft die persönliche Herausforderung zu ersparen und sich korrekt zu kleiden.

      Etwas anderes bewegte sie nämlich sehr viel mehr: der Bericht. Er wies, bei aller Beflissenheit, Spuren auf, die sie zur Verzweiflung trieben. Alle beide, Storm wie Drang, waren praktisch unfähig in Rechtschrift. Der kurze Text war so voller Fehler, dass er kaum als Beweismaterial taugte.

      Sie wusste inzwischen: die beiden konnten eigentlich nichts dafür, doch Trost war das keiner. Storm wie Drang waren ganz gewöhnlich begabte Menschen, doch hatten sie beide im Zeitalter der automatischen Textkorrektur auf Computern und Mobilgeräten einfach nie schreiben gelernt.

      Das kam nun gnadenlos heraus. Die Polizei hatte zwar inzwischen auch nicht mehr die mechanischen Reiseschreibmaschinen, auf denen Greta jahrelang Verbrechen und Ordnungswidrigkeiten protokolliert hatte, sondern ein zentrales Computersystem, aber das hatte keine automatische Rechtschriftkorrektur, was bei alle anderen Geräten längst Standard war. Aus einem einfachen Grund: Das Risiko, dass das System sich selbst seinen Text ausdachte, war einfach viel zu groß und ein Spezialsystem für die Polizei wollte kein Hersteller zu einem vertretbaren Preis anbieten.

      Wenn sie sich zuhause über die grausame Schreibkunst ihrer jungen Beamten beklagte, rollte ihre Tochter Linda nur mit den Augen: „Mama, Du bist ja so was von gestern“ meinte sie dann und nicht einmal ihr Mann Thomas widersprach. Das ärgerte sie besonders. Stattdessen wedelte er mit Dokumenten seiner chinesischen Lieferanten und erklärte, die Chinesen hätten auch eine Bilderschrift.

      Das war zwar richtig, aber Gretas Ansicht nach dennoch ein falsches Argument. Sie war der Meinung, Schreiben sei eine Kulturtechnik, die sich die Menschheit mühsam erarbeitet hatte. Ein kognitiver Prozess, der sich aus der steinzeitlichen Aufgabe herleitete, Tierspuren im Boden zu erkennen und diese in eine Vorstellung über das reale Tier zu übertragen. Zeichen in Bilder zu verwandeln, Bilder in Buchstaben, und sich so als Gruppe zu organisieren und zu entwickeln, das war echter menschlicher Fortschritt. Dies einfach den Maschinen zu überlassen, nur weil es so praktisch war, hielt sie für einen Fehler. Dennoch versuchte sie tapfer weiter, nicht auf das Papier zu tropfen, und las aufmerksam das Protokoll, bis es ihr zu bunt wurde.

      „Wann lernt Ihr endlich, ordentlich zu schreiben!“, brüllte sie, als sie fertig war, durch das Fenster in die Wachstube, genervt von ‚Kurfe‘ und ‚Waser‘. „Das wird ja immer schlimmer“. „Geben Sie uns ein ordentliches Gerät, dann wird alles gut“, raunzte Storm. „Schreiben ist eine Kulturkompetenz“ schimpfte Greta dagegen. „Nur wer schreiben kann, kann auch richtig denken.“

      „Ach was, in ein paar Jahren ist die Schrift abgeschafft. Mit Bildern geht das alles viel besser, dann haben wir auch endlich international keine Probleme mehr“, schaltete sich Drang dazwischen.

      Greta, schon auf dem Weg zurück in die Wachstube, klatschte den Bericht auf den Tisch der beiden. „Bilder, ich will nicht wissen, was für Bilder Ihr im Kopf habt, wenn Ihr irgendwo hinglotzt. Ich will einen sauberen Bericht“.

      Drang prustete los und Greta sah gerade noch, wie Storm mit hochrotem Kopf den Blick von ihrer Bluse abwandte.

      Nun gab Greta auf. Sie nahm sich den Bericht wieder, setzte sich an ihren eigenen Tisch und notierte sich die wichtigsten Fakten auf einem Zettel, um sie dann mit Pfeilen und Linien zu verknüpfen.

      Die Tropfen auf der Straße waren tatsächlich Bremsflüssigkeit und der Alfa hatte undichte Bremsleitungen. Korrodiert. Das konnte natürlich passieren, bei einem alten Auto. Die Stelle war auch nicht untypisch für Korrosion. Allerdings waren die restlichen Leitungen in einem astreinen Zustand, das machte sie stutzig. Sie wusste, dass in Zeiten, als Fahrzeuge noch nicht mit Sensoren komplettüberwacht waren, diese Art der Sabotage ein beliebtes Mittel war. Bei der Staatssicherheit der ostdeutschen Volksgenossen der DDR ebenso wie bei den Schergen der Mafia oder auch dem einen oder anderen weniger regeltreuen Mitbürger im eignen Land, zu anderen Zeiten.

      Der Alfa, den sie aus der Donau gezogen hatten, war in Tschechien zugelassen und das offenbar immer gewesen. Der Halter war noch nicht ermittelt und das würde auch dauern. Aber sie hatte bereits Fotos, frisch geliefert aus der Verkehrsüberwachung. Immer derselbe Fahrer, meist in Begleitung eines weiblichen Bonbons, doch die entscheidenden Körperteile waren, im Gegensatz zu anderen Einblicken, entweder mit Kopftuch