Название | Anele - Der Winter ist kalt in Afrika |
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Автор произведения | Marian Liebknecht |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847634409 |
Nach der sehr blumigen Einleitung, in der einiges an Pathos mitschwang, kam ein etwas sachlicherer Teil, in dem Moses genauer auf die Projekte einging und auch von seinen Verbindungen zur Regierung des Landes erzählte, das eine konstitutionelle Monarchie mit einem weitgehend uneingeschränkt herrschenden König war. Dem entsprechend gestalteten sich sehr viele Vorhaben schwierig, da sie letztendlich immer vom guten Willen des Monarchen abhängig waren. Der Data-Projektor war zur Unterstützung der Worte bereitgestellt. Es wurden vor allem Statistiken gezeigt, aus denen man die positiven Wirkungen des Projektes ablesen konnte. Eine Statistik gab Philipp zu denken: die durchschnittliche Lebenserwartung betrug dort unten weniger als 36 Jahre. ‚Bei uns war das vielleicht irgendwann im Mittelalter so, wenn die Pest durchs Land zog’, ging ihm durch den Kopf.
Nach Moses erzählte die Afrikanerin – sie hieß Dafina – von ihrer Arbeit. Was sie sagte, war interessant, teilweise aber – gelinde gesagt – erschütternd. Sie erzählte über die Verwendung von Patenschaftsgeldern, für viele Kinder die Grundlage ihrer Entwicklung, über den Bau von Schulen, aber auch über die Betreuung junger Aidskranker, die wissen, dass sie nicht mehr lange zu leben haben und nur noch kurz für ihre Kinder, oft kaum dem Säuglingsalter entwachsen, sorgen können. Die Bilder zu ihrem Vortrag waren noch anschaulicher als bei Moses, da hier Menschen und nicht nur Statistiken zu sehen waren. Dementsprechend war auch die Reaktion des Publikums. Nachdem sie geendet hatte, herrschte eine Zeit lang Schweigen.
Nach einer kurzen Pause ergriff der österreichische Mitarbeiter, der Organisation, der eine Art Moderatorenfunktion wahrnahm, wieder das Wort und dankte für die Referate, worauf er sich an das Publikum wandte mit der Bitte, Fragen zu stellen.
Philipp war durch das Gehörte und Gesehene etwas verwirrt. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Veranstaltung hier wirklich Eindruck auf ihn machen würde. Er war aber seltsam betroffen, ja, mehr noch, das alles hatte ihn unmittelbar berührt. Deshalb war er bei den ersten Fragen aus dem Zuhörerkreis, die irgendwelche Details zu den Patenschaften betrafen, geistig abwesend. Erst als eine junge Frau fragte, ob auch Österreicher bei Projekten im Ausland vor Ort als Mitarbeiter der Organisation mitmachen könnten, wurde seine Aufmerksamkeit wieder geweckt. Die Antwort war sehr ausführlich. Demnach war die Organisation interessiert an neuen Mitarbeitern, da man ohnehin unterbesetzt sei. Es sei allerdings eine Arbeit, die sehr viel Idealismus verlange. Der Verdienst sei angemessen, reich werden könne man damit aber nicht. Als die Information beendet schien, war das Interesse von Philipp noch nicht gestillt.
„Welche Anforderungen müssen Ihre Mitarbeiter erfüllen?“ fragte er.
„Nun, idealer Weise sollte Erfahrung in bestimmten Spezialbereichen vorhanden sein, zum Beispiel Medizin, Wirtschaft, Kranken- und Altenpflege oder Bodenkultur. Wenn jemand mit einer derartigen Ausbildung oder Berufspraxis zu uns kommt und wir uns dafür entscheiden, ihn aufzunehmen, wird er ausführlich über das Land, in das er entsandt werden soll, und über das Projekt geschult. Wie sie sich denken können, ist der Anreiz, den wir bieten können, nicht unbedingt dazu angetan, allzu viele erfahrene Leute zu uns ins Boot zu holen. Deshalb kommen auch viele unserer Mitarbeiter vor Ort aus dem Land selbst. Aber wie ich schon gesagt habe, es ist eine Frage des Idealismus. Wenn jemand sich für die Arbeit in einem unserer Projekte entscheidet, tut er es, weil er es aus innerer Überzeugung möchte und nicht wegen finanzieller oder sonstiger Anreize. Wir freuen uns über jeden, der für uns arbeiten will. Sollten Sie Interesse haben oder jemanden kennen, der sich so etwas vorstellen kann, ersuche ich Sie, uns telefonisch zu kontaktieren. Die Telefonnummer ist im Prospekt abgedruckt.“
Philipp war mit dieser Antwort sehr zufrieden, auch wenn ihm selbst noch nicht wirklich bewusst war, warum er das alles eigentlich wissen wollte. Er nahm auch an der weiteren Diskussion regen Anteil. Bernhard zeigte sich ganz überrascht, da Philipp vorher gar nicht den Eindruck gemacht hatte, sich für das Ganze besonders zu interessieren.
Zum Abschluss der Veranstaltung gab die afrikanische Sängergruppe noch ein Lied zum Besten, dazu wurde die Trommel geschlagen. Es stellte sich als die Wiederholung immer derselben Tonfolge dar, auf- und abschwellend, mit monotonem Rhythmus. Der Reiz des Vortrags lag in der Hingabe der afrikanischen Musiker, die mitklatschten, während sie ihren ganzen Körper im Rhythmus bewegten, und vor allem in der stetigen Steigerung der Spannung und Intensität des Gesangs, der die Zuhörer immer stärker mitriss. Es hielt sie nicht mehr auf ihren Stühlen, mehr und mehr standen auf und begannen mitzuklatschen und das, was sie hörten, mitzusingen, auch wenn sie kein Wort davon verstanden. Auch Philipp stand auf, sah aber dem Geschehen nur ruhig zu. Als er in die schwarzen Augen der Menschen blickte, die ihre Körper immer ekstatischer bewegten und zum monotonen Rhythmus sangen, spürte er ihre überwältigende Freude und Begeisterung. Im selben Moment fühlte er aber auch Hoffnungslosigkeit, Leid und Verzweiflung aus ihnen strömen. Es waren zwei Seiten einer Medaille, eine Form der Hingabe an das Leben, die uns Europäern fremd geworden ist. Ohne dass er etwas dagegen tun konnte, fühlte er plötzlich, wie Tränen seine Wangen hinunter liefen.
Bernhard und Philipp gingen nach der Veranstaltung noch ein Bier trinken. Es war zwar erst halb sieben, aber die Dämmerung war schon hereingebrochen und auf dem Weg in die Stadt war es dem entsprechend kalt. Der Übergangsmantel, den Philipp trug, war zu dünn, um ihn ausreichend zu wärmen und er zog ihn deshalb so fest zusammen, dass ihm fast die Luft wegblieb. Bernhard wollte unbedingt in ein ganz bestimmtes kleines Bierlokal in der Innenstadt, das ihm offenbar ein Bekannter wärmstens empfohlen hatte, es sollte so eine Art Geheimtipp sein. Als sie eintraten, war es – wohl wegen der frühen Stunde – noch so leer, dass man sich unwillkürlich fragte, warum die nicht eine Stunde später aufsperren. Es war eine Art Kellerlokal, eher karg mit alten Holztischen und –stühlen ausgestattet. An den Wänden hingen Poster mit alter Bierwerbung und darüber verlief ein durchgehendes Regal, auf dem alle Arten von Bierflaschen verschiedenster Länder standen, die sich samt und sonders in der Karte wiederfanden. Dem Angebot der Lokalität entsprechend roch es nach abgestandenem Bier und zusätzlich nach Frittierfett, ein Dampf, der auch durch noch so gründliches Lüften wohl nicht hinauszubekommen war.
Philipp war bei der Kälte zwar eher auf einen Tee eingestellt gewesen, ließ sich dann aber vom Ambiente anregen und entschied sich für ein irisches Kilkenny.
Es entspann sich das gleiche Gesprächsthema, wie schon auf dem Weg hierher.
„Der Afrikaner vom Projekt in Swasiland war wirklich charismatisch“, sagte Bernhard, “das ist mir schon am Anfang aufgefallen, als er mit uns gesprochen hat. Na, wirst du jetzt auch eine Patenschaft übernehmen oder willst du vielleicht gleich nach Afrika gehen? Wenn ich denke, was du alles gefragt hast, scheint das ja gar nicht so unmöglich.“
„Ehrlich gesagt, sind in letzter Zeit einige Dinge passiert, die mich ernsthaft darüber nachdenken lassen, ob ich nicht eine vollkommen neue Richtung einschlagen sollte. Ich hab? dir ja schon erzählt, dass bei uns in der Bank derzeit alles auf den Kopf gestellt wird. Seit zwei Wochen ist unsere Abteilung dran.“ Philipp berichtete Bernhard von seinem Gespräch mit Erich, seinem Chef und die Zukunft, die ihn in der Bank erwartete.
„Ich habe gehört, Kollegen aus anderen Abteilungen wurden bei einer einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses das doppelte der gesetzlichen Abfertigung angeboten. Das wären bei mir eineinhalb Jahresgehälter. Kündigen können sie uns ja Gott sei Dank nicht so ohne Weiteres. Falls sie mir so ein Angebot machen, würde ich wahrscheinlich nicht lange nachdenken. Nach der Veranstaltung heute frage ich mich wirklich, ob ich nicht die Chance ergreifen sollte, einmal etwas ganz anderes zu machen. Vielleicht war das heute ein Fingerzeig.“ Philipp machte eine Pause, als müsste er über das nachdenken, was er gerade gesagt hatte.
„Und, glaubst du, Babsi würde dabei mitmachen?“, fragte Bernhard.
„Ist das dein Ernst? Ich bin mir hundertprozentig sicher, Babsi würde nicht mitmachen. Um Babsi