Anele - Der Winter ist kalt in Afrika. Marian Liebknecht

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Название Anele - Der Winter ist kalt in Afrika
Автор произведения Marian Liebknecht
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847634409



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das Gymnasium besucht hatte. Er war der Einzige von damals, mit dem er noch regelmäßigen Kontakt pflegte. Der aktive Teil von beiden war meist Bernhard. Üblicherweise meldete er sich, worauf eine Zeit lang über alte Zeiten geredet und schließlich ein Treffen vereinbart wurde, bei dem es einmal ins Kino, dann wieder ins Kaffeehaus, oft auch ins Theater oder eben sonst wohin ging, wo gerade etwas Interessantes los war.

      Diesmal hatte Bernhard sich etwas Besonderes ausgedacht. Er hatte seit Kurzem ein Kind in Afrika. Nicht sein eigenes, sondern eine dieser Patenschaften, bei denen man regelmäßig einen bestimmten Betrag - im Grunde lächerlich wenig - einzahlt. Sozusagen als Gegenleistung nimmt man Anteil an der Entwicklung des Kindes, bekommt Briefe, zunächst von einem Projektarbeiter und später vom Kind selbst. Wenn man will, kann man seinem Schützling irgendwann auch einen Besuch abstatten, allerdings nur einmal – es soll keine persönliche Bindung entstehen, das ist nicht Sinn der Sache.

      Insgesamt gesehen erfüllten diese Patenschaften ihren Zweck recht gut. Sie brachten regelmäßiges Geld für jene, die es dringend benötigten, und der Pate hatte ein Gesicht, dem er seine Spenden zuordnen konnte. Das Geld verlor sich nicht in einem anonymen Topf, der einem das Gefühl gab, das meiste versickere irgendwo in der Verwaltung. Wer möchte schon die Beschaffung von Klopapier für die Büros irgend einer riesigen Organisation finanzieren. Nein, jeder möchte sehen, wie aus dem Geld, das er sich Monat für Monat abspart und überweist, das Pflänzchen eines kleinen, aber beständigen Glücks heranwächst, für das man sich zumindest mitverantwortlich fühlen kann. Diese Sehnsucht ist es, die mit einer solchen Patenschaft gestillt wird.

      Heute fand eine Veranstaltung jener Organisation statt, über die Bernhard zu seiner Patenschaft gekommen war. Sie hieß „D.C.“. Es sollte über die Verwendung der Spendengelder berichtet werden. Daneben gehörte es immer auch zum Zweck dieser Veranstaltungen, neue Paten für Kinder zu werben. Das vor allem war auch das Ziel, das Bernhard mit dem Vorschlag, dorthin zu gehen, verfolgte. Er wollte Philipp ebenfalls als Paten für D.C. gewinnen, da er von der Idee, die den Patenschaften zu Grunde lag, begeistert war. Philipp hatte sich zunächst nicht besonders angetan gezeigt, willigte dann aber ein, mitzugehen, da er ein gewisses Interesse an diesen Dingen nicht ganz verleugnen konnte. Von Babsi hatte er seit dem Treffen in der Pizzeria nichts mehr gehört und auch er selbst hatte kein Bedürfnis gespürt, sie anzurufen. Solche Phasen einer ungeklärten kurzzeitigen Entzweiung hatte er mit ihr schon zwei- oder dreimal mitgemacht. Die letzten paar Male hatte es sich dann immer wieder dadurch eingerenkt, dass Babsi wegen irgend etwas Nebensächlichem angerufen hatte, mit dem unvermeidlichen Ergebnis einer bald darauf folgenden Verabredung. Diesmal dauerte diese Situation allerdings schon recht lange. Was Philipp dabei am meisten zu denken gab, war, dass ihm das Ganze vollkommen gleichgültig war. Erst vor Kurzem war ihm zu Bewusstsein gekommen, dass er volle zwei Tage so gut wie gar nicht an Babsi gedacht hatte. Sonst hatte er sich während solcher Phasen der Trennung immer irgendwie schuldig gefühlt und hin- und herüberlegt, ob er nicht etwas Falsches gesagt oder getan hatte. Diesmal fehlten solche Selbstzweifel gänzlich.

      Sie waren inzwischen am Schottentor angekommen und gingen noch ein paar hundert Meter bis zur Universität, wo das Treffen stattfinden sollte. Am Haupteingang leuchtete ihnen ein Schild entgegen, das den Weg zum Veranstaltungssaal wies. Beim Betreten des Gebäudes aus dem späten neunzehnten Jahrhundert trat Philipp ein Geruch nach Holztüren und alten Büchern in die Nase. Er fühlte sich unwillkürlich in seine Schulzeit zurückversetzt und dachte an Hefte, frisch gespitzte Bleistifte und seine Lehrer von damals, die ihm das Leben schwer gemacht hatten.

      Nach ein paar weiteren Hinweisen erreichten sie schließlich den Saal. Obwohl sie eine Viertelstunde zu früh eingetroffen waren, war schon alles vorbereitet. An der hinteren Wand hingen mehrere Bilder, die das Leben in einem afrikanischen Land zeigten, Menschen bei der Arbeit, Schulkinder, Vieh, Getreidefelder und weitere sehr beredte Motive. Ebenfalls an der Wand, gleich neben dem Eingang, stand ein Tischchen mit Salzgebäck, einem Krug Wasser und irgendwelchen ziemlich exotisch aussehenden Süßspeisen.

      Sie brauchten nicht lange zu warten und ein freundlich lächelnder Schwarzafrikaner kam federnden Schrittes auf sie zu. Er mochte ungefähr 45 Jahre alt sein, hatte ausgesprochen ebenmäßig geschnittene Gesichtszüge und einen gepflegten Bart. Er erinnerte Philipp an den ehemaligen UNO-Generalsekretär. Der Afrikaner begrüßte die beiden sehr freundlich in stark akzentbehaftetem, aber sonst einwandfreiem Englisch und stellte sich ausführlich vor. Er hieß Moses und kam aus Swasiland. Ungefragt begann er zu erzählen, dass er dort zehn Jahre als Lehrer gearbeitet hatte. Als ein groß angelegtes Projekt der Organisation in Swasiland gestartet wurde, hatte er den Lehrerberuf aufgegeben und begonnen, in diesem Projekt mitzuarbeiten. Jetzt stellte er sozusagen den Kontaktmann von D.C. in Swasiland dar, der die Projekte auch mit der Regierung abzustimmen hatte, was, wie er sagte, nicht immer leicht war.

      Danach wandte er sich direkt an Philipp, fragte, woher er komme und aus welchen Beweggründen er hier sei. Philipp, dadurch etwas überrumpelt, wusste im ersten Moment nicht, was er sagen sollte, da er im Grunde ja nur als Begleiter von Bernhard da war. Aber er musste schließlich antworten.

      „I am from Vienna and I am very interested about your project.“

      Noch während er sprach, kam ihm sein Englisch wesentlich schlechter als jenes des Afrikaners vor und der Satz, den er von sich gegeben hatte, schien ihm so banal, dass er am liebsten in den Boden versunken wäre. Sein Gegenüber zeigte sich dennoch sehr erfreut über die Aussage und gab seiner Freude darüber Ausdruck, dass es hier in Österreich so viele wohlgesinnte Leute gebe, die an den Problemen der afrikanischen Staaten Anteil nahmen und die Bemühungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen unterstützten.

      Während die Worte an sein Ohr drangen, dachte Philipp an etwas ganz anderes. Ihn wunderte die Diskrepanz zwischen Aussprache und Wortschatz, die gerade bei Afrikanern bestand, wenn sie Englisch sprachen. Oft hörte sich die Aussprache so schlecht an, dass man an einen Sprachanfänger dachte, während sich beim Zuhören herausstellte, dass der Sprecher die Regeln des Englischen ziemlich perfekt beherrschte.

      „Have you already heard anything about our project?“, fragte der Afrikaner mit unverändert starkem Akzent schließlich weiter.

      Durch seine abgeschweiften Gedanken war Philipp etwas verwirrt.

      „No, I don’t know your country, but I hope to hear something today.“

      Wieder kam er sich etwas einfältig vor, aber Moses war außerordentlich erfreut über sein Interesse. Er wandte sich daraufhin an Bernhard, der kaum erwarten konnte, ihm über seine vor kurzem übernommene Patenschaft zu erzählen und zu betonen, wie sehr er die Arbeit von D.C. bewunderte und schätzte. Aus Sicht von Philipp trug er etwas zu dick auf.

      Schließlich entschuldigte sich Moses, da er weiter musste, um auch mit den anderen, mittlerweile hinzu gekommenen Gästen ein paar Worte zu wechseln.

      In den zehn Minuten, seit Bernhard und Philipp herein gekommen waren, hatte sich der Saal zusehends gefüllt. Die Leute standen in kleinen Gruppen umher und unterhielten sich, betrachteten die an den Wänden befestigten Bilder oder lasen die Prospekte, die sie in die Hand gedrückt bekamen.

      Ein paar Minuten nach der geplanten Beginnzeit stellte sich einer der österreichischen D.C.-Mitarbeiter auf das Podium und bat die Anwesenden, sich hinzusetzen. Er begann sehr blumig über die große Freude, dass eine Abordnung aus dem Projektgebiet in Swasiland nach Österreich gekommen sei, um hier aus erster Hand über die Fortschritte und Probleme des Projektes zu berichten. Er stellte die beiden Referenten des Abends kurz vor: Der eine war Moses, der Leiter von D.C. in Swasiland, der über die Mittelverwendung und den Fortschritt des Projektes berichten sollte. Die zweite, eine schlanke, sehnige Afrikanerin in einem farbenfrohen Kleid, die aussah, als könnte sie, wenn notwendig, auch kräftig zupacken, sollte die konkrete Arbeit im Projekt erläutern.

      Moses ging ans Pult und malte in seinem akzentbehafteten, perfekten Englisch, das von einem österreichischen D.C.-Mitarbeiter summarisch übersetzt wurde, ein lebendiges Bild vom Land und seinen Problemen.

      „Swasiland ist im Vergleich zu den umliegenden Staaten sehr klein“, begann er auf Englisch, „unsere Hauptstadt, Mbabane, hat nur etwa sechzigtausend Einwohner, und wir haben vielfältige Probleme, allen