Название | Anele - Der Winter ist kalt in Afrika |
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Автор произведения | Marian Liebknecht |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847634409 |
Das Statement von Babsi war für Philipp einigermaßen überraschend. Eigentlich hatte er erwartet, bedauert oder bemitleidet zu werden. Wenn es auch auf eine gewisse Weise tröstlich war, dass jemand die ganze Sache so positiv sah, sträubte sich sein Innerstes doch mit aller Macht gegen eine solche Sicht der Dinge.
„Das sagst du so leicht, weil es dich nicht betrifft. Aber du würdest genauso reagieren wie ich, wenn du mir nichts dir nichts erfahren würdest, dass die Firma, in der du seit 20 Jahren gearbeitet hast, dich wegwirft wie einen alten Waschlappen, wenn sie dich nicht mehr braucht“, erwiderte er mit vorwurfsvollem Ton.
„Jetzt bleib‘ aber am Boden.“ Babsi ließ sich in ihrer Einstellung zu seinem „Problem“ nicht beirren. „Sie haben deine Abteilung verkleinert, das kommt vor. Du bist einer von denen, die nicht mehr gebraucht werden, auch gut. Was willst du jetzt? Trübsal blasen? Dich im Selbstmitleid baden und einreden, dass die ganze Welt furchtbar gemein zu dir ist und alle gegen dich sind? Merkst du nicht, wie krank das in Wirklichkeit ist? Diese übertriebene Loyalität, verbunden mit falschen Erwartungen nach Wertschätzung, Anerkennung und Dankbarkeit für die geleistete Arbeit ist der Grund dafür, dass die mit den meisten machen können, was sie wollen“, bemerkte sie mit Nachdruck.
„Also, ich bin total gerührt, wie mitfühlend du bist. Es ist doch wohl selbstverständlich, dass man die Nerven wegschmeißt, wenn man merkt, dass es den, für den man sich täglich den Arsch aufreißt, einen Scheißdreck interessiert, was man eigentlich tut. Wenn es nach mir ginge, würde ich gleich morgen alles hinschmeißen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du wirklich so denkst.“ Philipps Reaktion überraschte ihn selbst. Normalerweise vermied er jede Auseinandersetzung mit Babsi, weil er wusste, dass sie bei solchen Gelegenheiten sehr verletzend werden konnte. Aber diesmal ließ ihn seine sonstige Selbstbeherrschung im Stich. Als er geendet hatte, hatte er kurz das Gefühl, er müsste sich ducken, um aus der Schusslinie von Babsis gerade vorbereiteter Retoursalve zu kommen.
„Wen willst du mit dieser Kriecher-Scheiße beeindrucken? ‚Die Arbeit muss einem Sinn geben! Man muss merken, dass man dadurch etwas bewirkt!’ Soll ich dir wirklich meine Meinung dazu sagen? Diesen Mist kannst du dir in den Arsch stecken. Solche Sprüche zeigen nur, dass du überhaupt nichts kapiert hast. Du bist einer von denen, die sich voll pinkeln lassen und dann auch noch Danke sagen. Siehst du nicht, dass es keinen in deiner Bank auch nur einen Deut schert, wie’s dir geht oder was mit dir passiert? Wenn's nach denen geht, kannst du unter irgend einer Brücke verrecken.“
Philipp unterbrach sie todesmutig: „Das stimmt so nicht. Es gibt Leute in der Bank, für die es sich zu arbeiten lohnt. Erich, mein unmittelbarer Chef, zum Beispiel, leidet genau so unter der jetzigen Situation wie wir alle und hat versucht, die Kreditabteilung aus allem raus zu halten, so gut es ging. Natürlich ist es ihm nicht gelungen. Man sagt in der Firma, er braucht psychische Betreuung, weil er es nicht auf die Reihe kriegt, dass seine ganze Arbeit den Bach runter geht.“
Babsi ließ sich nicht beeindrucken. „Na Bravo, du kommst mir genau mit dem Richtigen. Für den lohnt es sich wirklich zu arbeiten. Und was hat er getan, als sie deine Abteilung zusammen geschnitten haben? Nichts, auf seinem fetten Hintern ist er gesessen, aber dafür geht er jetzt zum Psychiater! Soll ich dir erzählen, wie es bei uns zugeht?“
Jeder Versuch, sie daran zu hindern, wäre wohl aussichtslos gewesen.
„Ob einer gute Arbeit leistet, ist in meinem Laden so ziemlich das letzte, was einen interessiert, vor allem, wenn es um Beförderungen geht. Das einzige, worauf es ankommt, ist, ob du dich gut verkaufst, ob du die anderen blenden kannst, ob es dir gelingt, deine Konkurrenten im Job überzeugend schlecht zu machen. Wenn du darin gut bist, dann hast du Chancen bis zum Geschäftsführer. Wenn ich mir nur Mike ansehe, dieses intrigante Arschloch, dabei kann er nicht einmal .…..“
Sie wurde vom Kellner unterbrochen, der den Tee und den Cappuccino brachte und bei dieser Gelegenheit die in der Mitte des Tisches stehende Kerze anzündete.
Durch die Unterbrechung kam Philipp wieder zu Wort. „Das stimmt doch so nicht, Babsi. Was du sagst, hat sicher etwas für sich, aber meiner Meinung nach führt der Erfolg immer über gute Arbeit. Wenn man dazu auch clever ist und Chancen zu nutzen weiß, dann ist das natürlich zusätzlich von Vorteil, aber das Gerede, dass die Dümmsten die besten Positionen haben, weil sie nur die richtige Ellbogentechnik haben, ist doch Schwachsinn, und zumindest genau so einseitig, wie du es gerade von meiner Einstellung behauptet hast.“
Seine letzte Äußerung trug nicht dazu bei, Babsi zu beruhigen.
„Ich habe deine Einstellung nicht als einseitig bezeichnet. Ich halte sie schlicht und einfach für naiv und hirnlos. Das ist genau die Einstellung, die sich jeder Chef von seinen Mitarbeitern wünscht, damit sie brav arbeiten und nur keine Ansprüche stellen. Philipp, ich will mich nicht mit dir streiten und dich auch nicht beleidigen, aber meiner Meinung nach gibt es zwei Arten von Menschen auf der Welt, die, die kapiert haben, nach welchen Regeln das Spiel, bei dem wir alle mitspielen, läuft, und die, die in ihrer eigenen Welt leben, von Sinn und so weiter faseln und in Wirklichkeit keine Ahnung haben, was wirklich passiert. Das Schöne für die erste Gruppe ist, dass sie mit der letzteren machen kann, was sie will, wenn sie es nur richtig anstellt. Ich weiß, dass ich zur ersten Gruppe gehöre, aber so, wie du redest, bist du der perfekte Vertreter der zweiten.“
„Na und wenn, dann gehöre ich eben dazu. Meine Arbeit bedeutet mir was, ja, ich gebe es zu. Für dich ist alles nur ein Machtspiel, bei dem die gewinnen, die am Wenigsten durch so unnötige Skrupel wie Moral oder Gewissen behindert sind. Wenn es das ist, was du anstrebst, dann viel Erfolg! Dann bist du eine von denen, die den Hals nie vollkriegen, um sich mit fünfzig zu fragen, wofür sie eigentlich gelebt haben.“ Philipp entwickelte bei dieser Diskussion einen Enthusiasmus, der sogar Babsi überraschte.
„Kannst du mir sagen, was du heute hast, kannst du plötzlich keine Kritik mehr vertragen? Wenn du die Wahrheit nicht erträgst, dann frag mich nicht, wie ich über etwas denke. Mir scheint, du möchtest deine Aggressionen gegen die Firma jetzt an mir auslassen. Aber da täuschst du dich. Ich bin sicher nicht dein Mülleimer“, entgegnete Babsi.
Philipp hätte nicht gedacht, Babsi einmal gekränkt zu sehen, aber heute hatte er es tatsächlich geschafft. Obwohl er sich vollständig im Recht fühlte, wollte er doch keinen offenen Streit mit ihr.
„Jetzt sei doch nicht gleich beleidigt, man wird doch wohl noch diskutieren dürfen“, sagte er, um die Situation zu entschärfen, „so kenne ich dich gar nicht.“
„Ich kenne dich auch nicht so, wie du dich heute gegeben hast. Du wolltest meine Meinung, und die hast du bekommen. Du weißt, dass ich dir immer offen die Wahrheit sage. Wenn du das nicht ertragen kannst, darfst du mich eben nicht fragen.“ erwiderte Babsi.
Noch immer sprach aus jedem Wort und auch aus Babsis Miene deutlich, dass sie sich verletzt fühlte. Sie war es bei Philipp nicht gewöhnt, einzustecken und merkte deshalb gar nicht mehr, wie viel sie austeilte. Er ging auf die letzte Bemerkung nicht mehr ein. Die Pizza kam und machte dem Dialog ein Ende. Philipp bestellte bei dieser Gelegenheit ein Glas Chianti. Nach der erzwungenen Unterbrechung hatte keiner von beiden Lust, das Gesprächsthema von vorher wieder aufzunehmen. Nach dem Essen blieben sie noch eine Weile sitzen, zahlten schließlich und gingen dann wieder die Kärntner Straße hinunter. Meistens kam Babsi nach solchen Abenden noch mit zu Philipp, aber heute hatten beide keine Lust dazu. Philipp begleitete sie noch zu ihrer Wohnung, was für ihn einen Umweg von ungefähr fünfundzwanzig Minuten bedeutete, aber er war froh, noch ein Stück allein in der kalten klaren Luft gehen zu können. Dabei konnte er über alles noch einmal nachdenken. Bei der Oper stieg er in die Straßenbahn, die ihn zurück in seine Straße brachte. Als er sich an diesem Abend ins Bett legte, fühlte er sich so allein wie schon lange nicht mehr.
3.