Vater und Klon. Wolf Buchinger

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Название Vater und Klon
Автор произведения Wolf Buchinger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742780416



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für mich zu spät ist für eine Bindung, außerdem ist Raoul viel wichtiger. Ich wollte dir nur ein Denkmodell geben, ob du sie so liebst und ob sie unverzichtbar für dich ist. Nein, das ist sie nicht, also sage ihr - so brutal es klingen mag - adieu. Für immer. Klipp und klar. Und ohne französische Schlupflöcher, es etwa in zwei Monaten nochmals zu probieren.“

      „Danke. Merci. Ich glaube, dass es keinen größeren Beweis mehr für unsere Freundschaft gibt.“

      „Eine solche Freundschaft habe ich mir ein ganzes Leben lang gewünscht. Ich habe nicht mehr daran geglaubt, sie noch zu finden.“

      „Jetzt brauchen wir eine Flasche Madiran. Die wird es aber hier nicht geben, wir sind mitten im Burgund.

      „Probieren geht über Studieren. Halt an, da vorne ist ein wunderschönes Schloss mit Weindegustation.“

      „Santé! Auf unsere Freundschaft!“

      „Auf Marie-Laure!“

      „Auf Raoul!“

      „Also, eines dürfen wir ihm niemals beibringen! Schon vor dem Mittag mit dem Weintrinken zu beginnen.“

      „Öh, also Raoul hat einen französischen Paten … und der wird ihn à la française erziehen. Bei uns zählt Rotwein nicht zu den Genussmitteln, bei uns ist er einfach ein Lebensmittel. Oui, ein Mittel, das man zwingend zum Leben braucht. Täglich. Und zu jeder Tageszeit.“

      „… und vor allem abends. Ich glaube, diese Runde der zukünftigen Erziehung habe ich verloren …“

      „Oui, Raoul soll glücklich werden, und da ist Rotwein die beste Medizin. Und für logisch denkende Menschen wie dich noch dies: Mittlerweile ist wissenschaftlich gesichert, dass ein bis zwei Glas zu jeder Mahlzeit eine bessere Verdauung und eine flüssigere Durchblutung bewirken. Na, was sagst du jetzt?

      „Zum Wohl!“

      „Santé!“

      „Bäh, das soll Wein sein? Ich probiere mal den teuersten … bäh, der ist ja widerlich. Kein differenzierter Geschmack, alle schmecken sehr ähnlich, egal ob jung oder alt, ob billig oder teuer. Wie weit ist Madiran von hier?“

      „Nur 800 Kilometer.“

      „Wo ist der nächste Supermarkt mit Weinabteilung?“

      „Vor dem Dorf.

      „Nix wie hin!“

      Nach Paris folgt Avignon

      „Den Göttern des Weines wieder einen Tag geopfert! Lieber Edouard, langsam, aber sicher meldet sich mein schlechtes Gewissen. Wir sind von zuhause abgehauen, um ungestört über Raoul und seine Zukunft reden zu können und wir tun kaum etwas Anderes als zu genießen und Frankreichs Weinvorräte zu vernichten. Ich gebe zu, dass ich mich dabei sauwohl fühle, keine körperlichen Probleme mit der Masse von Alkohol habe und kein Kopfweh mehr am nächsten Morgen. Ich bin also inzwischen geeicht und auf dem besten Wege, ein gutes Stück französischer zu werden, auch wenn ich gestern im Restaurant einen Tisch mit Jüngeren beobachtet habe, die Bier und Whisky zum Essen getrunken haben. Nein, sie haben nicht englisch gesprochen, sie waren von hier. Hast du einen vernünftigen Plan für die nächsten Tage?“

      „Cher Paul. Eigentlich wollte ich dich überraschen, aber dein Wille sei mir Befehl: Wir schaukeln nach Avignon, dem Ziel unserer Reise. Und dort habe ich noch eine Überraschung für uns beide. Genügt das?“

      „Ja, ja. Und dort lassen wir uns viel Zeit auf der Brücke, das Lied haben mir meine Kindermädchen beigebracht.“

      „Bitte nicht singen!“

      „Doch, doch, es sind die einzigen kleinen Sätze, die ich auf Französisch kann.“

      „Okay, ich fahre hochtourig weiter, dann höre ich dich nicht so gut, leg los!“

      „Also denn: ‚Sür le pong d’Avignong‘…“

      „Mais non, ,le pont d’Avignon‘, nasal wie in ,Tampon

      Chanson, Lyon’ …“

      „Sür le pohn d’Avignohn…“

      „Ja, schon etwas besser, aber nasal wie im französischen ‘non’, das hast du ja schon tausend Mal von mir gehört.“

      „Sür le po d’Avigno, l’o ieh donse, l’o ieh donse, tutt o ro.“

      „Superbe! Du bist spitze! Ich habe alle Wörter erraten, es muss eine vormittelalterliche Sprachvariante sein. Willst du das Lied nicht besser pfeifen, das wirkt fröhlicher?“

       „Ja, gerne. Aber was haben wir daraus für Raoul gelernt?“

      „Er muss im Land selbst, also hier in Frankreich, Französisch lernen.“

      „Dann suchen wir ihm schon eine gute Sprachschule in Avignon, die Höhe der Kosten spielt keine Rolle.“

      „Non, non, Avignon geht nicht, dort sprechen sie kein richtiges Französisch, sondern eine Dialektform, das Provenzalische, das klingt etwa so wie dein Französisch. Es muss Paris sein, am ehestens an der Sorbonne.“

      „Sorbonne klingt würdig, ja, das machen wir. Das Beste ist gerade gut genug, am liebsten mit einem Privatlehrer.“

      „Privatlehrerin, dann lernt er schneller die wichtigsten Dinge des Lebens.“

      „Okay, du hast mal wieder Recht. Er soll mehr vom Leben mitbekommen als ich, auch wenn ich jetzt Vieles nachholen darf.“

      „Und ständig leiden wie du darf er schon gar nicht, dann geht er dem Rest der Welt auf die Nerven und verbaut sich viele Chancen, vor allem bei den Frauen. Die heutige Generation baut auf Humor und gegenseitiges Verstehen und nicht auf antikes Eigenbrötlertum, in dem man ständig meckert und unzufrieden ist.“

      „Meinst du mich?“

      „Nein, den Paul …“

      „Ich habe also keinen Humor? Ich bin Eigenbrötler? Ich gehe der Welt ständig auf die Nerven? Ich meckere? Ich bin unzufrieden? Was bin ich denn noch alles Negatives? Komm, lass alles raus!“

      „Non, das genügt. Isch glaube, dass gut ist, dass du weißt jetzt alles.“

      „Du redest seit langem wieder ein schlechtes Deutsch.“

      „Ja, isch bin aufgeregt, weil ich dich etwas gesagt habe, was ich eigentlich nur denken wollte.“

      „Na, dann bist du ja total ehrlich.“

      „Haben wir jetzt die nächste Krise?“

      „Ich denke nach.“

      „Und was spürst du? Das ist wichtiger!“

      „Ich habe nie gelernt, meine Emotionen zu erkennen oder gar zu irgendetwas zu benutzen, schon gar nicht, um Entscheidungen zu treffen. Nur an der Börse habe ich meine Gefühle zu Zahlen und Vorgängen manchmal benutzt, dann allerdings mit Erfolg. Das weißt du. Aber in zwischenmenschlichen Beziehungen ist bei mir damit tote Hose. Also gehe ich über die Logik. Und diese Logik sagt mir: Dieser Edouard hat etwas getan, was noch nie jemand auch nur annähernd für mich getan hat. Er hat mir einen Spiegel vorgehalten und meinen Charakter geschildert. Schonungslos und ehrlich. Und jetzt kommt vielleicht die Überraschung für dich! Wenn ich ein emotionaler Typ, so wie du wäre, hätten wir jetzt Krach. Da ich aber ein Verstandesmensch bin wie er im Buche steht, kann ich dir gleich zwei Erkenntnisse präsentieren. Erstens danke ich dir für diese Offenheit. Ja, sie tut am Anfang weh, dann aber nach kurzem Nachdenken, habe ich erkannt, dass darin eine Chance für mich liegt, mich zu bessern und vielleicht sogar zu verändern. Und zweitens dürfen solche Charakterzüge gar nicht erst bei Raoul auftauchen. Daran müssen wir arbeiten.“

      „Paul, ich staune nur noch! Toll, wir sind auf dem richtigen Weg. Zuerst dachte ich, die Chinesen hätten dich schon infiltriert mit einer aufgesetzten Eigenkritik und den Wünschen, sich zu verändern. Du meinst es aber