Silber. Hans.Joachim Steigertahl

Читать онлайн.
Название Silber
Автор произведения Hans.Joachim Steigertahl
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738034127



Скачать книгу

Chaos und Unruhe herrschte, die den Gedanken an einen Kreuzzug eigentlich unmöglich machten. Nur Ludwig, der Neunte seines Namens, aus dem Königreich Franzreich sah die Chancen und Möglichkeiten, durch einen Kreuzzug seine weltliche und himmlische Lage zu verbessern. Als der päpstliche Legat Odo von Châteuroux in Pontoise anlässlich eines Hoftages erschien und in einer aufrüttelnden Predigt das irdische Leiden der Christen im Morgenland und die himmlischen Freuden der für die Befreiung des Heiligen Landes gefallenen Kreuzritter in der Ewigkeit beschrieb, brach ein Begeisterungssturm unter den französischen Adligen aus: Hunderte nahmen die bereitgehaltenen roten Stoffkreuze und hefteten sie sich an die Rüstung, um anschließend den Eid zu schwören. Heinrich von Thüringen, der mit dem Sohn seines mütterlichen Onkels den Sommer mit den üblichen ritterlichen Lustbarkeiten verbracht hatte, wollte nicht abseits stehen und nahm ebenfalls das Kreuz. Als er mit den anderen zurück zum Zeltlager in Pontoise kam, zwängten sie sich durch die engen Lagergassen, die zwischen den herrschaftlichen Zelten zwar genug Platz ließen, aber nachdem alle Knechte, Knappen und Diener den wenigen verbleibenden Wegesraum nutzten, war der jeweilige Weg durchaus sehr eng. Heinrichdachte jedes Mal mit Schrecken daran, wie sich diese Situation auswirken würde, wäre das Lager nicht als Vergnügungsstätte, sondern als eine einem Angriff ausgesetzte Stellung errichtet worden.

      Als sie zum Zelt Jean de Beaumonts kamen, schwang sich Heinrich von seinem Streitross, warf dem herbeieilenden Diener die Zügel zu und befahl ihm, Wein zu holen. Gernot, der Sohn eines unfreien Bauern aus dem kleinen Ort Steigerthal in Thüringen, führte das Ross in das Zelt, das als Stall diente, wischte es mit einem Bündel Stroh trocken, gab ihm Hafer und Wasser und beeilte sich dann, seinem Herren Wein und einen passenden Pokal aus dem Speisezelt des Prinzen von Lothringen zu besorgen.

      „Wo bleibst du denn?“ war der Satz, mit dem er begrüßt wurde, als er endlich alles beisammen hatte. Oft genug hatte er sich gefragt, warum der Graf ihn noch in seinen Diensten behielt, obwohl er so oft seine Unzufriedenheit mit ihm äußerte. Die Knechte und Diener anderer Herren, mit denen er sich unterhielt, wenn die Herren abwesend waren, konnten ihm keine Antwort geben: Sie kannten alle Formen von Auspeitschen bis Missachtung, womit die Herren die Knechte zu behandeln pflegten. Er wurde sich immer sicherer, dass sein Verbleib im Dienste Heinrichs mit einem Eid zusammen hing, den er vor wenigen Jahren in voller Überzeugung vor dem Inquisitionsgericht abgegeben hatte:

      Heinrich war bei einem Jagdausflug im Süden des Harzes in der Nähe von Nordhausen eine Nacht auf Hof Steigerthal geblieben, keine Burg, nur ein befestigter Hof. Aber das Mädchen, das ihm und Heinrichs Begleitern Essen und Getränke brachte, machte auf Heinrich einen so großen Eindruck, dass er sie, ohne den damaligen Herren des Dorfes mit einzubeziehen, fragte, ob sie nach dem Festmahl Zeit für ihn habe. Ohne zu zögern stimmte sie zu, und die „Zeit“, die sie verbrachten, war erst eine Nacht, dann kam sie mit ihm nach Erfurt und die verbrachte Zeit war viele Nächte lang. Als nach Wochen des nächtlichen Glücks und der täglichen Jagd- und Turnierausflüge mit abendlichem Kartenspiel Graf Guido von Schwarzburg-Arnstadt, ein Rivale Heinrichs nicht nur um die Gunst des Mädchens sondern auch um die zukünftige Herrschaft über Thüringen, die Anschuldigung erhob, Heinrich von Wettin sei nicht nur ein Betrüger, sondern auch ein Hexer, der von der Inquisition zur Rechenschaft gezogen werden müsse, änderten sich die Verhältnisse. Guido hatte nicht nur sein ganzes Geld verspielt, sondern auch in jedem Turnier eine Niederlage eingesteckt, sei es gegen Heinrich oder andere. Er hatte auch trotz oder wegen seines herrischen Wesens keine der anwesenden Damen beglücken dürfen, und immer, wenn er versucht hatte, das sich Heinrich zugehörig fühlende Mädchen, Hedda, die schöne Leibeigene aus dem Dorf Steigerthal auf seine Seite zu ziehen, war er grandios gescheitert.

      Der Erfolg der Anklage vor dem Inquisitionsgericht hätte für Heinrich den Verlust des Anspruchs auf Thüringen und im schlimmsten Fall den Tod bedeutet. Aber da kam ein von dem Mädchen benannter Zeuge ins Spiel, ihr Bruder Gernot. Dem hatte sie schon am ersten Tag, noch während des Abendgelages, gestanden, dass sie sich in Heinrich verliebt hatte und wie sie in den folgenden Wochen Guido von Schwarzburg-Arnstadt immer wieder in die Irre und ins Verderben geführt hatte.

      Gernot beschwor also vor der Inquisition, dass seine Schwester sich aus freiem Herzen Heinrich hingegeben habe und alle weiteren Probleme nur aus dem Neid des Schwarzburg-Arnstadter Grafen entstanden seien. Da sie keine Frau von Stand war, sprach das Gericht Heinrich frei, seine Mätresse wurde ihm wieder übergeben. Zum Dank für seine wahrheitsgetreue, aber mutige Aussage wurde Gernot aus der Leibeigenschaft entlassen, wofür Heinrich dem greisen Herrn von Steigerthal eine kleine Summe bezahlen musste, und stieg auf zum Leibdiener des – so hoffte zumindest Heinrich - zukünftigen Landgrafen von Thüringen. Zu seinem großen Leidwesen überlebte Hedda die Gefangennahme durch die Inquisition und auch ihre Befreiung nicht lange. Wenige Monate, nachdem sie in Heinrichs Arme zurückgekehrt war, starb sie unter großen Schmerzen als Folge einer Vergiftung: ihr ungeborenes Kind war wohl in der Gefangenschaft durch die Entbehrungen und Misshandlungen in ihrem Leib gestorben und hatte sie von innen her vergiftet. Heinrich war untröstlich und fand in seiner Trauer in Gernot einen Mittrauernden, auch wenn er nicht von Stand war. Er behielt den Bruder seiner Geliebten in seinem Hofstaat und hatte sich mit der Zeit so an ihn gewöhnt, dass er ihn auch mit auf den Zug nach Lothringen nahm.

      Kurze Zeit später kam auch Jean de Beaumont ins Zelt zurück, ganz aufgeregt von dem Geschehen: „Wir werden in wenigen Wochen Jerusalem befreien und am Ende unseres Lebens ins Paradies eingehen – ist das nicht wunderbar?“ Heinrich antwortete wesentlich nüchterner: “Nun, wir werden vielleicht in wenigen Wochen aufbrechen, aber alles Weitere sehe ich noch nicht so klar.“ „Bedenkenträger! Seit ich Dich kenne, bist Du immer voller Zweifel, voller schlechter Laune – außer bei der Jagd – und scheinst immer Angst vor der Zukunft zu haben.“

      Heinrich konnte dem nicht widersprechen, aber ihre Situation war einfach zu verschieden: Jean de Beaumont war der unumstrittene Erbe Lothringens, ein gutaussehender, in allen ritterlichen Künsten glänzender Mann in den frühen Zwanzigern, sein Königreich war wirklich reich, die Feinde schon vom Vater bezwungen und Vater und Sohn wurden von König Ludwig IX. von Franzreich umworben, weil er Lothringen als Bastion im Osten brauchte, um sich ohne Einmischung der deutschen Stauferkaiser mit seinen Vettern aus England um deren Besitztümern in der Bretagne zu schlagen. Um ihn an sich zu binden, hatte Ludwig ihn zu seinem Kämmerer gemacht, der die Finanzen des Königreichs Franzreich verwaltete – ein kluger Schachzug, da damit ein Edler betraut war, der in Franzreich keinen Besitz hatte und deshalb auch nicht Gelder in seinem Sinn veruntreuen konnte.

      Heinrich, Markgraf von Meißen, dagegen hatte als junger Ritter erst im Jahr zuvor, nachdem Heinrich Raspe aus dem Haus der Ludowinger ohne Erbe verstorben war, im Kampf mit den Luxemburgern den Sieg davon getragen und die Landgrafschaft Thüringen für das Haus Wettin gewonnen. Ohne die Hilfe seiner lothringischen Vettern wäre er sicher nicht erfolgreich gewesen, da deren Heer die luxemburgischen Stammlande in Schach hielt und er die nach Thüringen entsandten Truppen aufreiben konnte, ohne dass Nachschub an Kämpfern drohte. Noch immer gab es vereinzelte Adlige, die Widerstand zu leisten versuchten, aber sein getreuer Marschall, Graf von Hohnstein, hatte Ruhe in der ganzen Landgrafschaft erzwungen. Als dann die Einladung Jean de Beaumonts ihn erreichte, ihn zum Hoftag in Pontoise zu begleiten, war er froh, den Scharmützeln zu entkommen und sich unter die Fürsten des Abendlandes mischen zu können. Der Gedanke, an einem Kreuzzug teilzunehmen, hatte ihm fern gelegen – dazu war die Lage in Thüringen viel zu unsicher, aber die Begeisterung der tausenden von Rittern in Pontoise hatte ihn zu dem unüberlegten, und wie er jetzt schon ahnte, unguten Eid verleitet. Konnte er Hohnstein so lange alleinlassen? Würde er diesen Eid nicht schon bald bitter bereuen?

      Jean reichte „Henri“, wie er ihn nannte einen Becher und gemeinsam tranken sie auf die Abendteuer, die ihnen bevor standen. „Ist es nicht toll, wenn Du jetzt schon weißt, dass alle Sünden, die Du begangen hast und die Du noch begehen wirst, dadurch gesühnt sein werden, dass Du Dich in ein Abendteuer stürzt? Und das soll genauso verlaufen, wie die vielen andern, die wir bisher gemeinsam bestanden haben. Erinnerst Du Dich noch an die Herbstjagd, irgendwo nördlich Deiner Grafschaft? Wir hatten den ganzen Tag ein Rudel Hirsche verfolgt und kamen abends in irgendeinem Ort mit unaussprechlichem Namen an, wo wir im Haus eines Bergwerkbesitzers Unterschlupf fanden.“ „Oh, ja, ich weiß genau,“ entgegnete Heinrich nun grinsend. „Der Ort heißt Clausthal