Название | Deus Blue |
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Автор произведения | Mario Degas |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847695301 |
Zoe. Ihr Name war Zoe.
Hinter mir vernahm ich das Zischen der Flügeltüren. Jemand kam schweren Schrittes auf mich zugestapft.
»Partner.« Diese Stimme. »Sean.« Viggo. »Alles okay bei dir?«
Ich erkannte aus dem Augenwinkel die 2 – für Second Detective –, die in seine Uniform eingestickt war.
»Mir scheint, der Zug ist bereits abgefahren.« Eine andere Stimme, etwas weiter weg noch, die ich nicht zuordnen konnte.
Ich erhob mich langsam und drehte mich halb zu beiden um. Viggo legte dabei seine Hand auf meine Schulter.
»Was ist hier passiert, Sean?«
Ich sah den Leichnam an – Sids Leichnam. »Er hatte eine Waffe«, antwortete ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
»So wie du!?« Er musterte meine Pistole, die ich im Anfangsstadium einer Paralyse, so schien mir, immer noch umklammert hielt.
Ein junger Kerl, Typ Streifenpolizist in Ausbildung, stampfte an uns vorbei und ging vor dem Leichnam in die Hocke.
»Nicht anfassen«, gebot ich ihm, hörte mich dabei aber alles andere als überzeugend an, weil Schwäche und Müdigkeit die Worte umrahmten.
Eine Erschütterung bemächtigte sich plötzlich meiner linken Hand. Ich dachte erst, es wäre der Aufregung geschuldet, sah aber dann, dass es von meiner Armbanduhr ausging. Die Vibration war spürbar, das gleichzeitige Piepsen ging jedoch an mir vorbei.
Viggo sah, dass die Stunde für mich bereits geschlagen hatte: »Geh nach Hause und ruh dich aus. Es muss ein anstrengender Tag für dich gewesen sein. Anderson ...« – er zeigte nach vorne – »... und ich kümmern ums um alles Weitere.« Er lenkte mich behutsam vom Geschehen weg.
Ich kannte Viggo gut und wusste, wie ernst es ihm damit war. Da war er wieder: der Bruder. Er achtete so gut es ging auf mich und meinen Seelenfrieden. Man behauptete es nicht bloß, wenn man sagte, dass wir füreinander da waren, wenn es drauf ankam. Und doch musste man akzeptieren, wie er war – voller Ironie, aber immer mit einem Zwinkern – wollte man mit ihm auskommen. Eines war sicher: Ich würde ihm heute nicht mehr widersprechen. Ich ging, ohne noch ein Wort zu sagen.
Ich war gerade am Ende der Gleise angekommen, als Viggo mir hinterher rief: »Sean.«
Ich blieb stehen.
»Der Punkt geht an dich.«
Das war alles.
Nur kurz dachte ich darüber nach, ging dann aber einfach weiter. Ohne weitere Zwischenrufe erreichte ich meinen Cloud.
3
Als ich endlich im Cloud saß, hatte ich meinen Frieden mit mir selbst gemacht. Es war mir wie eine Ewigkeit vorgekommen, da draußen, umgeben vom Verfall, den marodierenden Zügen, der heruntergewirtschafteten Technik – und, was mir am schmerzhaftesten bewusst wurde, der Leiche auf dem Gleisbett.
Durch die Scheibe sah ich, was außerhalb vor sich ging. Wie Viggo und Anderson mit vollem Elan um Sid herumtänzelten, als wären sie die Hauptdarsteller in einer Theateraufführung. Doch dieser Tote würde nach der Vorstellung nicht wieder aufstehen, schnurstracks in seine Umkleide rennen und den Tag im Beisein seiner Freunde und Familie ausklingen lassen. Für ihn gab es keine Tage mehr, sondern nur noch pechschwarze Nächte, in denen die Trauer die Hauptrolle spielte, glaubte man nicht an ein Leben nach dem Tod.
Sid hatte eine Entscheidung getroffen; ob zum Positiven oder Negativen für sich und seine Tochter konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehen. Der Selbstmord war geplant, doch ich fragte mich, ob es nicht eine andere Möglichkeit gegeben hätte. Er war verzweifelt und auf einer Suche, die ihn forderte. Dennoch war es erschreckend, mit anzusehen, wie weit ein Mann gehen konnte, um eine Schusswaffe gegen sich selbst zu erheben, wo doch noch Hoffnung bestand. Es war die geplante Tragödie – und ich war unfähig sie zu verhindern. Ich hatte Sids Leichnam nicht angerührt und dennoch spürte ich das Blut an meinen Händen kleben.
Einen Ausweg hatte ich für mich gefunden: Ich musste dringend von hier weg.
Zehn Minuten später lenkte ich den Cloud in die freie Parklücke vor meinem Apartment. Hier war ich im B-Sektor und hier war mein Zuhause. Es lag in einer abgelegenen Seitenstraße, die den Lärm, der von der Hauptstraße herüberschallte, auf Distanz hielt. Meine Wohnung lag in einem der typischen Mehrfamilienhäuser des Viertels. Annehmlichkeiten suchte man hier vergebens. Es gab weder einen Fahrstuhl noch wurde auf die Mülltrennung wertgelegt. Für die Mieter sollte es schlicht und damit günstig sein. Ich trat durch die breite Doppeltür und befand mich sogleich vor der Treppe in die oberen Stockwerke. In der Ecke standen einige Regenschirme in einem Ständer, von denen vereinzelt Wasser tropfte, aus dem sich wiederum kleine Pfützen auf dem Boden bildeten. Darüber hing eine Aufforderung zur Bezahlung der Miete, die sich, mit Maschine geschrieben, an alle Parteien gleichermaßen richtete.
Meine Wohnung lag auf der 2. Etage. Beim Aufstieg kramte ich hastig die Schlüsselkarte aus meiner Tasche, wobei ich an meine Pistole stieß, die ich unvorsichtigerweise beim Verlassen des Depots in meine Jackentasche gesteckt hatte, anstatt wie üblich in das Holster.
Ich war fix und fertig, hauptsächlich mit den Nerven, als ich die Schwelle zu meinem Heim überschritt – und unvorbereitet im Dunkeln stand. Das Licht im Flur hatte wieder einmal den Betrieb verweigert. Ich drückte den einzigen vorhandenen Knopf neben der Tür – der für die Wartung vorherbestimmt war –, um dem Hausmeister zu verstehen zu geben, dass er sich darum kümmern musste. Die moderne Technik machte es möglich: Jede Zelleinheit und die gesamte Stromzufuhr konnten von der Wohnung des Hausmeisters aus gesteuert werden. Kaputte Dinge wie eine Lampe ließen sich per Fernsteuerung so schnell und unkompliziert wieder in Gang bringen, sofern kein Totalschaden vorlag.
Ich schloss die Tür hinter mir und stapfte in den Wohnbereich. Immerhin hier brannte Licht, welches mich auch sogleich strahlend begrüßte. Ich warf meine Jacke auf die Arbeitsplatte, welche das Wohnzimmer von der Küche abtrennte. Die Schuhe landeten in der Ecke. Ein Blick aus dem Fenster bedeutete Wehmut. Ich konnte den Regen beobachten, der nach einer kurzen Pause wieder an Fahrt aufnahm. Ansonsten bot sich mir nicht viel. Am Tage würde ich auf die Fassade eines Hauses blicken, auf der die Risse im Fundament auch schon das einzig Interessante waren. Für eine schöne Aussicht fehlte der Platz.
Hier drinnen bot sich mir ein anderes Bild. Ich hatte den mir zur Verfügung stehenden Platz angemessen zu nutzen gewusst. Die Wände starrten von Bildern mit oder ohne Rahmen. Hauptsächlich zeigten sie die Natur und mein früheres Zuhause, verewigt auf gepresstem Kunststoff. Sie mahnten mich daran, nicht zu vergessen, so wie es Sid an diesem Abend auch getan hatte. Ich übte mich in Geduld, ließ die Eindrücke auf mich wirken und kam zu meinem persönlichen Highlight: eine Aufnahme von Räuber, ganz die Französische Bulldogge, die er war, wie er neben dem alten Gartenteich mit einem Stock spielte. Quentin hatte es mir geschenkt, als ich meinen dreizehnten Geburtstag feierte – ein Tag, den wir schätzten, weil ich nicht genau wusste, wann ich geboren war. Daneben hing ein Personenporträt: Jill, Loonie und Viggo in Nahaufnahme. Sie lachten verschmitzt in die Kamera. Ich fragte mich: War mir nach lachen zumute?
Ich trat an den Couchtisch. Wie auf ein Kommando schaltete sich das Tablet, welches seit den Morgenstunden darauf lag, vom Stand-by in den Wachzustand. Ich war gerade noch rechtzeitig für einen Klassiker eingetroffen: Steamboat Willie – über hundertfünfzig Jahre alt, obgleich immer noch zeitlos. Als ich mich vom Tisch weg bewegte, verfolgte mich die Melodie. Stumm wie die Figuren im Cartoon ging ich weiter.
Auf dem Weg ins Badezimmer streifte ich mir das Shirt vom Leib und schmiss es in die Wäschetonne, Hose und Socken folgten sogleich.
Im Bad gab es kein Fenster, noch war es besonders groß. Ich legte den Hahn des Waschbeckens um und prüfte den Wärmeregler. Von warmen 30 °C drehte ich runter auf kühle 10 °C. Danach pulte ich den Stopfen auf den Abfluss, damit das Wasser langsam höher steigen konnte.
Der