Deus Blue. Mario Degas

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Название Deus Blue
Автор произведения Mario Degas
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847695301



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nicht verändert. Er wippte auf dem Stuhl vor und zurück: »Als ich Sie in mein Büro habe kommen lassen, bin ich davon ausgegangen, dass dieser Fall bereits abgeschlossen ist. Aber etwas sagt mir, dass Sie keine Ruhe geben werden. Ich kenne Sie einfach schon zu lange, Leto.«

      »13 Jahre«, warf ich ihm wie einen angenagten Knochen entgegen.

      »Sie sind lange dabei. Länger als ich es selbst bin. Wissen am besten, wann Flut und wann Ebbe ist. Sie arbeiten nicht nach dem Credo: erst der Tod, dann das Vergnügen. Und das imponiert mir. Ich werde Ihnen alle Freiheiten geben, die Sie ja sowieso schon so entschieden einfordern. Halten Sie mich nur auf dem Laufenden. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie die Tochter dieses Mannes gefunden haben.« Er zog das Tochter in die Länge.

      Ich stand von meinem Platz auf, wollte ich doch nicht länger in diesem Raum bleiben. Ich rückte meine Jacke zurecht und wollte gerade gehen, als er mich noch einmal zurückhielt: »Sean.« Es kam selten vor, dass er mich mit meinem Vornamen ansprach. »Nach all dem haben Sie sich eine Auszeit verdient.« Er sagte nach all dem, meinte aber, wenn das alles vorbei ist.

      Ich konnte die Tür nicht schnell genug hinter mir schließen. Ich fühlte mich frei und doch nicht. Was auch immer ich von dem Gespräch mit Barklis erwartet hatte, ich war mir nicht sicher, was auf der Ergebnistafel am Ende wirklich stand. Ich hatte Zeit gewonnen, so viel stand fest, aber um welchen Preis?

      Kaum war ich auf den Flur herausgetreten, als sich mein Pocket X mit einer Nachricht aus der Leichenhalle meldete. Doch ich vermisste den Text. Statt Buchstaben befand sich nur ein Bild im Anhang, welches auf dem kleinen Display kaum richtig zu erkennen war. Ich drehte das Mobile in die Horizontale. Was ich sah, erstaunte mich:

      Es war ein Gemälde. In Grautönen gehalten, zeigte es eine idyllische Impression aus der Natur. Das Bild zeigte Flora und Fauna. Ein Dutzend Tiere, paarweise oder alleine, verteilte sich gleichmäßig im Vordergrund. Im Hintergrund zog ein Fluss dahin, hoch zu den Bergen, die sich schwach im Nebel abzeichneten. Dazu zählte ich drei Personen – zwei Erwachsene, Mann und Frau, und ein Kind. Sie trugen nichts außer einem Lendenschurz und die Frau, so viel konnte ich erkennen, nicht einmal den.

      Das Bild kam mir bekannt vor. Ich war mir sicher, es schon einmal gesehen zu haben. In meinem Inneren öffnete ich Türen und schloss Truhen auf, nahm der Zeit Sekunde um Sekunde, bis ich gefunden hatte, wonach ich gesucht hatte.

      Ich wusste nicht, ob ich das Gemälde noch immer dort finden würde. Was ich aber wusste, glich einer Erkenntnis, die das Feuer in mir neuerdings entfachte: Als ich das erste Mal dort war, war ich nicht allein: Sid war bei mir.

      Dort, das war meine Natur.

      5

      Dass sich ausgerechnet dieses Bild in Sids DNA versteckte, konnte kein Zufall sein. Er wollte, dass ich es dort fand. Auch wenn es nur ein flüchtiger Gedanke war, so stellte sich die Annahme, dass etwas in seinen Genen verborgen lag, doch als goldrichtig heraus. Zweifel, dass ich einer falschen Fährte folgte, hatte ich nun keine mehr, wollte Sid doch, dass ich mich meiner Vergangenheit stellte; und wo gab es mehr von meiner Vergangenheit zu finden, als da draußen weit abseits im Herzen der Natur!?

      Das Gemälde war wie ein Rätsel – unscheinbar für Fremde war es für Eingeweihte jedoch so vielsagend -, welches nur derjenige lösen konnte, der wusste, wo die Verbindung zwischen Träger und Empfänger bestand. Noch lag der Weg, wie die Lösung am Ende selbigem, im Dunkel verborgen. Es war meine Aufgabe, den Brotkrumen zu folgen, tief geduckt, sodass ich sie auch sah, mit allem ausgestattet, was mir in dieser so heiklen Stunde an Möglichkeiten und Hoffnungen zur Verfügung standen.

      Ich saß in meinem Cloud, die Lichter der Stadt im Rückspiegel betrachtend. Unter mir nichts als Leere. Man konnte das Wasser unter dem Nebel erahnen; konnte, wenn man die Augen eines Falken besaß, das Meer wogen sehen. Doch weder wollte ich nur eine Ahnung haben, noch hatte ich die Augen eines Falken.

      Ich folgte der Spur zu meinem alten Zuhause, dem ich so lange keinen Besuch mehr abgestattet hatte. Aber was hätte mich auch nach dort treiben sollen? Quentin und ich verließen die Natur kurz nach Räubers Tod. Räuber war auch der Grund gewesen, warum ich nur noch selten in den Wald fuhr. Bis jetzt war es mir unmöglich erschienen, sein Grab zu besuchen, vermied ich es doch so gut es ging, alte Wunden aufzureißen. Seit Langem schon besuchte ich die Bäume nur in meinen Träumen und rannte dabei durch das tiefe wie hohe Gras; seit Langem hing ich einer Freiheit nach, in der ich doch nicht wirklich frei sein konnte.

      Ich wusste noch ganz genau, wo sich die Stelle befand. Die Natur hatte eine natürliche Lichtung erschaffen, die sich gut als Landeplatz gebrauchen ließ. Sie lag nur einen Steinwurf vom alten Haus entfährt.

      Als ich auf das Gras trat, prasselten die Erinnerungen wie Wespen auf mich ein. Viele Male stachen sie mich und ließen mich in der Bewegung innehalten. Die Zeit meiner Jugend war auf einmal wieder so nah. Ich spürte und sah, was ich als verloren glaubte. Kein Traum mochte die Intensität ausstrahlen, die ich in diesem Moment verspürte. Es war wahrhaftig, um nur ein Wort zu gebrauchen: real.

      Behutsam folgte ich dem Trampelpfad zum Haus hoch. Die Mauer um das Anwesen war teilweise in sich zusammengefallen, sodass ich einen ungehinderten Blick auf das Haupthaus werfen konnte. Es hatte sich stark verändert. Sträucher und Wurzeln wanden sich um die Fassade, verdeckten Stein und Glas. Der Teich war nicht da, wo er sein sollte und Blumen wuchsen hier seit einer Ewigkeit keine mehr. Die einzigen Geräusche kamen vom Wind, der mich sanft umschloss und vorwärtstrieb.

      Auf der Türschwelle erwartete mich ein erstes Begrüßungsgeschenk: eine einzelne Rose. Sie war halb unter einem Stein eingeklemmt. Winzig und kaum größer als meine Hand strahlte sie dennoch immer noch dieselbe Farbe aus, die man früher im Garten zuhauf sah: ein sattes und kräftiges Rot. Ihre Blüten, vollzählig vorhanden, so schien es mir, verharrten erst regungslos, bis ich den Stein, der den Stängel belastete, versetzte und sie damit aus ihrer Gefangenschaft befreite. Kaum dass ich sie in der Hand hielt, brauste eine Böe durch den Garten und nahm sie mit sich. Ich drehte mich nach hinten um und sah ihr kurzzeitig nach, wie sie über den Boden sauste, die Steine auf ihrem Weg anstupsend und dann in Richtung Wildnis davontrieb, meinem Blick entfliehend.

      Ich ließ sie ziehen und machte mich stattdessen an der Eingangstür zu schaffen, von der nicht mehr viel übrig war. Ich sah, dass es im Inneren des Hauses heller war, als ich angenommen hatte. Durch die Decke fiel genügend Licht, um den ganzen Raum zu erhellen.

      Kaum war ich im Inneren, lauschte ich auch schon auf alle möglichen Geräusche. Ich hörte Hundegebell aus der Ferne, wusste aber, dass es nur meine Erinnerung war, die mir einen Streich spielte. Das Gebell war nicht wirklich, jedoch wusste ich nicht, was Quentin mit Räubers Leichnam gemacht hatte. Als mein Freund starb, rannte ich so weit weg, wie ich nur konnte, zu tief saßen die Trauer und der Schmerz. Die Trauer ließ nur langsam nach – erst nach einer Woche kehrte ich ins Haus zurück -, während der Schmerz noch immer anhielt. Es war eine plötzlicher Impuls, der mich zurückkehren ließ. Und gerade noch rechtzeitig: Die Exekutive war bereits dort. Sie drangen in das Haus ein und stellten alles auf den Kopf, was nicht niet- und nagelfest war. Wäre Quentin nicht wie aus dem Nichts aus dem Schatten aufgetaucht und hätte mich zurückgehalten, ich hätte unseren Besitz verteidigt oder es zumindest versucht.

      Nun war es dafür zu spät.

      Ich erwartete ein Chaos, fand das Haus stattdessen jedoch in einem annehmbaren Zustand wieder. Hätte es die zerbrochenen Fensterscheiben und die sich ins innere ausbreitenden Schlingpflanzen nicht gegeben, ich hätte die Szenerie als ein Abziehbild meiner Jugend verstanden. Die wenigen Möbel, die noch vorhanden waren, befanden sich an den ihnen zugedachten Plätzen, und säuberlich ausgebreitete Decken verbargen das, was auf den Tischen lag und sich jetzt gegen den Stoff abzeichnete.

      Ich ging in den hinteren Bereich, wo ich das Gemälde vermutete – und sollte nicht enttäuscht werden. Es hing immer noch an der Wand, einwandfrei im Rahmen liegend, als hätte es sich keinen Zentimeter bewegt. Die Leinwand hatte zwar etwas an Spannkraft