Mordsschock!. Gaby Hoffmann

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Название Mordsschock!
Автор произведения Gaby Hoffmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656647



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      Herbie nickte. „Er ist zugedröhnt mit seinem Wagen in die Kieskuhle gefahren und hat irgendwie die Kontrolle verloren. Jedenfalls stürzte er mit dem Auto den Abhang runter. Der Wagen landete in der Böschung. Er wurde herausgeschleudert und hat sich das Genick gebrochen. Vermutlich nicht angeschnallt. Der Leichnam trieb am Ufer des Sees.“

      „Was hatte er intus?“ Jelzicks Neugierde war geweckt.

      „1,8 Promille Alkohol und Ecstasy. Ich habe in deinem Revier gewildert und mit der Polizei gesprochen.“

      „Dieser Cocktail reicht, um einen ausgewachsenen Mann kirre zu machen“, bestätigte Jelzick.

      „Wissen die schon, was dahinter steckt?“ Wagner trommelte ungeduldig mit einem Filzstift auf die leeren Layoutbögen.

      „Keine Hinweise auf Fremdeinwirkung. Die Polizei vermutet Selbstmord unter Drogeneinfluss. Anscheinend hat er alleine im stillen Kämmerchen getrunken. Jedenfalls existieren keine weiteren Zeugen.“

      „An der gleichen Stelle ist vor einigen Monaten schon mal einer von diesen Nachwuchspolitikern tödlich verunglückt. Ich glaube, er wickelte sich samt Auto um einen Baum“, bemerkte Jelzick.

      „Ja genau, im Herbst. Auch einer von den Konservativen“, stimmte Gundula ihm zu.

      „Soll ich nun eine Meldung schreiben?“, bohrte Herbie nach.

      „Na gut, machen Sie einen Nachruf! Fünfzig Zeilen inklusive Foto auf der Zwei, links oben!“, befahl der Chef.

      Herbie würde es mit einem ‚tragischen Unglücksfall‘ umschreiben. Für Selbstmörder gab es keinen Platz in der Presse.

      Ich betrachtete das Foto, das wenig später auf Herbies Schreibtisch lag. Peter Heimanns große Augen schauten ernst und fragend. Ich wusste nicht, warum, aber irgendetwas schienen sie mir sagen zu wollen. Ob er zum Zeitpunkt der Aufnahme schon mit dem Gedanken gespielt hatte, sein Leben zu beenden? In den dunklen Pupillen entdeckte ich jeweils einen hellen Fleck, der darin wie ein Hoffnungsschimmer aufzuflackern schien. Und doch war für ihn nun alles verloren!

      Eine halbe Stunde später steuerte ich Tante Carlottas Polo in ein Kaff außerhalb von Rosenhagen, wo mich irgendein Nachbarschaftsstreit erwartete. ‚Rumpel‘ – schon der Name ließ mich an vermüllte Dachspeicher denken. Hätte ich geahnt, auf welchen gefährlichen Job ich mich einließ, wäre ich sofort nach Hamburg zurückgedüst!

      Ich kurvte an Äckern und Kuhwiesen vorbei durch eine Siedlung von kleinen, spitzen Einfamilienhäusern aus den 50er-Jahren. In den herausgeputzten Vorgärten standen Stiefmütterchen, Tulpen und Narzissen in exakten Winkeln und Kurven um die Rasenflächen gruppiert. Blau, gelb, rot – immer hübsch abwechselnd. Beim Pflanzen hatten sich die Bewohner viel Mühe gegeben, als ob die Blumenrabatten signalisieren sollten: Seht ihr, bei uns ist alles in Ordnung!

      Ein Mädchen in Vics Alter rannte unbekümmert knapp vor meinem Auto über die Straße.

      In Gedanken sah ich plötzlich die braunen Augen meiner Schwester vor mir, aus denen sonst die Frechheit nur so sprühte, und die Erinnerung holte mich ein. Groß und traurig wie zwei dunkle Sterne hatten sie mich zum Abschied angeblickt. „Denkst du manchmal an Mutter und unsere kleine Wohnung in der Hasselbrookstraße“, fragte sie leise.

      „Natürlich!“ Ich wollte ihr über den Kopf streichen, aber sie drehte ihn so energisch weg, dass ihre Baseballkappe leichte Schieflage bekam.

      Vic krauste die Nase und zog sie geräuschvoll hoch. Ihr rechtes Augenlid zuckte ein wenig. Sie presste ihre Lippen fest aufeinander, als könnte sie auf diese Weise das verräterische Beben unterdrücken. Vic hasste Heulsusen – eher biss sie sich die Zunge ab, als eine Träne zu verlieren. Aus ihrem Kindergesicht war alle mutwillige Dreistigkeit, die ihr normalerweise den coolen Anstrich einer rotznäsigen Erwachsenen verlieh, weggewischt. Zurück blieb der verwundete Ausdruck eines elfjährigen Mädchens, das nicht verstand, warum die Menschen, die sie am meisten liebte, sie alleine ließen.

      Bei Sophie und Thilo ist sie in besten Händen – versuchte ich, mein aufgewühltes Gewissen zu beruhigen. Ich kann ständig nach Hamburg fahren und sie besuchen. Ist ja nicht weit! Es misslang! Ich hatte in ihrem Alter ein richtiges Zuhause gehabt. Wenn auch beengt und bescheiden, so wusste ich doch, wo ich hingehörte. Vic fühlte sich bei Sophie oft nur geduldet. Sie sprach es zwar nie aus, trotzdem ahnte ich, dass in Sophies Musterhaushalt eine vorlaute Elfjährige voller verrückter Einfälle ein störendes Element war. Meine kleine Schwester baute auf mich, und ich enttäuschte sie. Ich war eine Versagerin!

      „He, Partner!“ Ich knuffte sie scherzhaft, wie es die Akteure eines von ihr geliebten Actionfilms taten.

      Normalerweise knuffte sie dreimal so grob zurück. Damals drehte sie sich um und ging wortlos davon.

      Ein Stich fuhr mir mitten durchs Herz und zerteilte es in zwei Hälften. Niemals würde ich das vergessen. Vic, du sollst nicht mehr traurig sein!, schwor ich mir in diesem Moment. Ich werde alles tun, damit du bald zu mir ziehen kannst!

      Ich kurbelte die Scheibe ein Stückchen herunter und sog gierig den zarten Blütenduft als Vorboten wärmerer Tage ein. Je weiter ich mich der Dorfmitte näherte, umso älter wurden die Häuser. Ursprünglich hatte es hier offensichtlich nur einige Bauernhöfe gegeben, von denen nur noch die wenigsten landwirtschaftlich genutzt wurden. Stattdessen schienen die Städter den Reiz der roten Backsteinhäuser für sich entdeckt zu haben, um auf dem Lande Nester für junge Familien zu schaffen. Ich holperte über Kopfsteinpflaster. Der Polo hopste, als hätte er Känguruhbenzin gefrühstückt.

      Nach viertelstündiger Suche – ich war inzwischen drei Mal am romantischen Dorfweiher vorbeigekommen, hatte drei Mal den Gestank eines riesigen Misthaufens eingeatmet und war drei Mal eine beeindruckende Allee mit Silberpappeln rauf- und runtergefahren – stoppte ich neben einem Mann im dreckigen Overall, der eine Schubkarre voll Stroh über den Bürgersteig bugsierte. „Können Sie mir sagen, wo die Hausnummer 17 ist?“

      „Jo!“

      „Äh, wo ist sie denn?“

      Mit kargen Worten, aber fuchtelnden Handbewegungen beschrieb er mir den Weg. Stirnrunzelnd beäugte er zum Abschied mein Hamburger Nummernschild, als wolle er ausdrücken, dass die Dorfbewohner von all den großkotzigen Städtern, die hier eindrangen, die Nase voll hatten.

      Die Hausnummer 17 klebte verschämt am verwitterten Briefkasten einer morschen Gartenpforte. Letzte Farbspuren ließen darauf schließen, dass sie einst tannengrün gestrichen war. Dahinter verbarg sich ein verwilderter Vorgarten, in dem feuchte Laubhaufen vom Herbst lagen. Der Wind spielte mit den Blättern und verteilte sie ungeniert auf den Gehweg. Keine Stiefmütterchen, Tulpen oder Narzissen, dafür rankten Efeu und Wilder Wein an der Fassade des alten Hauses hoch. Sie bedeckten den roten Backstein und reichten bis zum bemoosten Dach. Misstrauisch zog ich den Kopf ein aus Furcht, gleich einige der lose wirkenden Dachpfannen auf mein eigenes Dach zu bekommen. Stattdessen stolperte ich über einen herumliegenden leeren Blumentopf. Scheppernd hüpfte er zur Seite. Ein Sonnenstrahl brach sich auf der blinden Glasscheibe der Fensterfront. An einer Stelle war das Glas gesprungen und notdürftig mit Zeitungspapier geflickt.

      Erschrocken zuckte ich zusammen, als sich quietschend neben mir die Eingangstür öffnete.

      Im Rahmen stand eine Frau, deren Kopf fast auf der Brust lag, da ein großer Buckel ihren Rücken wie einen Flitzebogen spannte. Sie spreizte ihren knochigen Zeigefinger zum Zeichen, dass ich eintreten sollte. Einen Moment lang zögerte ich, weil mir Hänsel und Gretel einfielen.

      Ich folgte ihr in einen dunklen Flur, dem ein muffiger Geruch nach ungewaschenen Körpern, Staub und verwesenden Lebensmitteln entströmte. Die Duftquelle konnte ich wegen der mangelnden Beleuchtung nicht ausmachen. Eine einzelne Glühbirne baumelte an einem losen Draht von der Decke.

      Im angrenzenden Raum bot meine greise Gastgeberin mir einen zerschlissenen roten Samtstuhl zwischen gammeligen Möbeln an, die über und über mit halbfertigen Kleidungsstücken und bunten Stoffen bedeckt waren. Vorsichtig entfernte ich ein Stecknadelkissen, das an der