Название | Mordsschock! |
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Автор произведения | Gaby Hoffmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847656647 |
Lila reichte mir einen Spiegel. „Guck mal!“
Ein rot-blau-schwarz-gestreiftes Antlitz mit geschwollenen Augenlidern starrte mich an. Reif für eine komische Zirkusnummer.
„Klasse, oder? Als ob dir einer mit einem Pinsel die Farbe exakt im Gittermuster aufgetragen hat.“
„Du witterst nicht etwa einen Trend“, fragte ich entsetzt und wischte eilig die traurigen Überreste meiner Schminke weg. „Nie mehr höre ich auf dich!“ Ich tobte wie ein dickköpfiges Kind und trampelte zur Bestätigung mit den Füßen auf ihre Kuhfellimitate, die als letzter Schrei überall in der Wohnung auslagen. Sie konkurrierten mit den gleichgemusterten Sesseln, an deren Lehnen Hörner baumelten.
Lila strich sich durch die raspelkurzen, blau getönten Haare und blies den schwarzen Lack ihrer Fingernägel trocken. „Ich kann nichts dafür, wenn dein Chef so out ist. Ich dachte, du arbeitest für ein Szene-Magazin?“
Ich drehte mein Glas zwischen den Fingern und ärgerte mich, dass ich Lila im Grunde nicht mal zum Sündenbock machen konnte. Wie ich es auch wendete – schuldig blieb ich! Mein Selbstmitleid verwandelte sich langsam in Selbstkritik. Und das ist das Schlimmste, was einem passieren kann!
„Ich weiß nicht, was ich machen soll! Ich brauche das Geld! Und Vic schmort weiter bei Sophie. Dabei fetzen die sich gegenseitig die Haare vom Kopf! Immer dreht sich alles nur um die Scheißkohle!“
Lila tat das einzige Vernünftige in dieser Situation: Sie schleifte mich ins Tabaluga, eine unserer Stammkneipen, wo wir mit Jenny, Julian und Hendrik mein Fiasko begossen.
Beim vierten Bier bekam Julian eine Erleuchtung, was bei ihm so gut wie nie passierte. Bedächtig legte er mir einen Arm um die Schulter und rückte minutenlang näher, räusperte sich, öffnete den Mund zum Sprechen, ließ die Zähne zur Probe ein paar Mal kreisen, rollte die Zunge dazwischen und hüstelte. „Also, weißte, hm … Ich glaube, ich hätte da eine Idee. Hm ...“
„Unfassbar!“, unterbrach ihn Lila ungeduldig.
Julian wandte sich Hendrik zu. „Du hast mir doch von deinem Cousin erzählt ...“
Jetzt mischte sich unser schicker Vorzeigeyuppie Hendrik ein: „Ja, das könnte was sein! Mein Cousin ist auch Redakteur. Er hat gerade gekündigt, weil er ins Ausland gehen will. Ruf mal in dem Verlag an, ob die Position frei ist!“
Ich zog einen Flunsch und zickte. „Das war sicher nicht gestern, sondern vor drei Wochen, und die Stelle ist längst wieder besetzt. Mit Papis Töchterlein oder so ähnlich!“
Lila kniff mich in den Arm. „Nun sei nicht so eklig! Du musst jede Chance nutzen!“
Damit hatte sie ohne Zweifel recht, wenn ich die Arbeitsmarktlage realistisch analysierte und an meine langjährige Praktikantenkarriere zurückdachte. „So ’ne abgelegte Secondhandstelle will ich nicht.“ Ich zündete mir eine neue Zigarette an, blies Julian den Rauch ins Gesicht, sodass sich seine spärlichen Blondhärchen weiter lüfteten und die süße Nickelbrille beschlug.
Hendrik beugte sich forsch in meine Richtung, verlor aber seine Spontaneität, da er Opfer meiner Rauchsäule wurde. „Ruf an! Lokalzeitung in Rosenhagen!“, bellte er hustend und fächelte meinen Qualm weg.
Ich fuhr von meinem Hocker hoch und hätte dabei um ein Haar den armen Julian mitgerissen. „Was? Rosenhagen? Was? Lokalzeitung? Lieber schlafe ich unter Brücken!“
Kapitel 3
Einen Monat später stand ich in der Kleinstadt Rosenhagen vor einem winzigen Stadthaus, das so um 1900 erbaut sein mochte. Schmal und weiß mit leichten Stuckornamenten verziert, bot es dem heftigen Wind, der heute herrschte, trotzig die Stirn. Geschwungene Bögen über den grün-weiß gestrichenen Rahmen der Sprossenfenster im Giebel unterstrichen den zähen Charakter des Gebäudes.
Ebenso alt wie die Zeitung, die da drinnen modert, dachte ich grimmig und stapfte mit meinen superhohen Buffalo-Stiefeln die schmalen Stufen hoch. Ich stieß die grüne Holztür auf. Wie rostige Schneeflocken rieselten abblätternde Farbteilchen herunter und hinterließen eine grüne Spur.
Zum Vorstellungsgespräch war ich nach Feierabend da gewesen und hatte nur den hageren Chefredakteur angetroffen. Im Dämmerlicht hatte das Gebäude wie ein Spukhaus gewirkt. Trostlos, verwittert und vergessen. Kein Wunder, dass ich den Job ergattert hatte, die waren sicher froh, jemanden gefunden zu haben. Ich schickte ein Stoßgebet an Hendriks Cousin, der sich nun wer weiß wo aalte.
Jetzt, bei Tageslicht, war der Spuk weggewischt. Zweibeiniges Inventar des Hauses kroch mir lebendig entgegen. Eine rundliche, grau-brünette Frau im strassbesetzten Pullover, der über dem üppigen Busen spannte, lächelte mich an. Ihr Unterkörper blieb verdeckt, weil sie hinter einem wuchtigen Holztresen lehnte.
Frauen mit viel Oberweite animieren mich dazu, heimlich auf dem Klo zu verschwinden und eine Packung Kleenex in meinem dürftigen Ausschnitt zu versenken. Aber als Neue kann man ja wegen mangelnder Ortskenntnis keinen Schritt alleine tun. Also dümpelte mein Dekolleté weiter auf Bügelbrettniveau.
Der Vorraum verbreitete mit seiner braunen Rautentapete und den grünlichen Linoleumfliesen als beißendem Kontrast zu der Hausfassade ein gewisses 70er-Jahre-Flair. Vermutlich die Epoche der letzten Renovierungsphase.
Aus den Augenwinkeln musterte die Frau meinen Rock, der zugegebenermaßen gerade so eben den winzigen Slip bedeckte, aber ich fand ihn cool.
Ich strich mir einige vorwitzige Haarsträhnen, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst hatten, hinter die Ohren. „Tag, ich möchte zu ...“
Weiter kam ich nicht, denn die Dicke unterbrach meinen höflichen Satz und erklärte schnell: „Ja, ich weiß Bescheid. Sie werden erwartet. Ich bringe Sie hoch!“ Während sie sprach, entschlüpften ihr kleine Schmatzer, weil sie ein Bonbon lutschte, das sie ständig von einer Wange in die andere Wange schob. Sie winkte mir, ihr zu folgen, und kletterte trotz ihrer Fülle behände eine morsche Holztreppe hoch. Ihr imposantes Hinterteil schwankte vor mir wie ein Schleppkahn, der mich in den Hafen zog.
Ich hatte Mühe, mit meinen Plateausohlen die zierlichen Stufen zu treffen. Unter jedem meiner Schritte ächzten sie dazu so erbärmlich, dass ich alle Augenblicke befürchtete, die Treppe würde zusammenkrachen.
Oben angekommen, riss meine Begleiterin eine Bürotür auf, aus der eine blaue Qualmsäule entwich, und rief in den Dunst: „Sie ist da! Ich bringe sie in den Konferenzraum!“
Dieses ‚sie‘ fand ich nicht besonders höflich, aber das war wohl der übliche Umgangston in der Provinz.
Ich nahm auf einem durchgesessenen Regiestuhl in einem nüchternen Raum Platz. Weiß getünchte Wände, acht weitere Regiestühle und ein grauer, länglicher Tisch – das war alles. Karger als der Wartesaal eines Krankenhauses.
Ein zartgliedriger Mann huschte wie ein Elf durch die Tür, in der Hand einen Stenoblock und Kuli. „Guten Tag, schön, dass Sie gekommen sind!“, begrüßte er mich nervös blinzelnd. Hastig ergriff er meine dargebotene Hand und ließ sie sofort wieder fallen, als handle es sich um einen ekligen alten Lappen.
Meine Fingerspitzen schimmerten grünlich – ein Souvenir der Holztür! Vermutlich glaubte mein Gegenüber, ich hätte eine ansteckende Krankheit oder bereits mangels ausreichender Körperpflege Grünspan angesetzt.
Anstatt seinen Namen zu nennen, zückte er den Kuli. „Wenn es Ihnen recht ist, fangen wir gleich an.“ Seine Stimme war überraschend tief und männlich.
Ich nickte gnädig. Schließlich erwartete ich, jetzt den Vertrag zu unterzeichnen und dann an die Arbeit zu gehen. Sektfrühstück oder Champagnerempfang hatte ich mir schon vor Jahren abgeschminkt.
Fahrig rutschte das Männchen vor mir auf dem Stuhl herum und räusperte sich. „Wie sind denn so Ihre Arbeitszeiten?“
Ach, das war ja mal ganz was anderes!