Am Rande. Eine Bemerkung. Anna Lohg

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Название Am Rande. Eine Bemerkung
Автор произведения Anna Lohg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742722935



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Fabrikant unterbrachten, hatten sie den einzigen schwarzen Mann der kleinen Einheit in einen Ziegenstall verbracht. Als sei er minderwertig durfte er zwar mit den Weißen im Schützengraben sterben, aber sich doch bitte in einer extra Unterbringung möglichst suhlen. Sowas wird vornehm Segregation genannt, nach dieser blöden Angewohnheit, Scheiße nicht beim Namen zu nennen. Mein Großvater konnte das Wort Segregation nicht einmal aussprechen und so verfiel er unbekümmert dem Rassismus, unbesehen alle Schwarzen extra klasse zu finden. Als wären alle so drauf wie dieser eine Soldat: ein guter Freund, der seine Ration schwarze, süße Schokolade mit einem kleinen Großvater teilt.

      Es war die erste Schokolade seines Lebens und nie wieder würde eine besser schmecken, von all den Unmengen, die er noch probieren sollte. Es blieb der unwiederbringliche Geschmack einer süßen Erinnerung an eine unbekümmerte Kindheit, in der die Welt lauter tolle Sachen für meinen Großvater bereit hielt. Und süß würde auch die Erinnerung an den Soldaten bleiben, mochte ihre Freundschaft nur ein paar Wochen angedauert haben, Großvaters Begeisterung sollte lange währen. Noch Jahre später sollte er amerikanischen Soladten unbedingt vertrauen, auf deren Großzügigkeit und auf deren amerikanischen Frohsinn. Vertrauen auf den schwarzen Mann, der seine weißen Zähne zeigt und breit lacht.

      "Okay!"

      Von Amerika hat mein Großvater dagegen nie geschwärmt, als würden ihn unbegrenzte Möglichkeiten nicht interessieren oder er glaubte einfach nicht daran. Reichte ihm die Welt zwischen den Hügeln und hinter den Wäldern vollkommen aus, dort sollte er stur einfach bleiben, sich nicht vom Fleck rühren, selbst dann nicht, als es angeraten gewesen wäre, mag rühmlich etwas anderes sein.

      

      Sein Vater, ein paar seiner Onkels, seine Brüder, etliche Nachbarn und abertausend Andere sind während jener vermeidbaren Episode umgekommen und ich, die Enkeltochter, weiß nicht einmal, um welche Wurst es bei diesem Großen Krieg eigentlich ging. Keine Ahnung, jedenfalls kurz danach sollte die Dorfschule meinen Großvater wieder ausspucken, neben Lektionen mit dem Rohrstock hatte er provisorisch lesen, schreiben und rechnen gelernt, viel mehr war nicht drin. Als hätte er ausgelernt, fragte mein Großvater auch nicht nach mehr. Auf die Idee, eine weitere Schule zu besuchen, sollte er nicht kommen, denn diese Möglichkeit lag nicht nur jenseits der Hügel, sondern vielmehr jenseits des Denkbaren und es gibt nichts, das noch weiter weg wäre. Da stand er dann also auf der Straße vor der Schule und hatte keine Vorstellung von irgendwas, aber vielleicht ist es übertrieben zu meinen, er hätte sich treiben lassen. Er ging erstmal nach Hause.

      Nach dem Großen Krieg war das kleine Haus geräumiger geworden und Erwin, der mittlere Bruder, erhob nun Anspruch darauf, hatte die Gunst des Krieges ihn zum ältesten Sohn gemacht. Dem Erwin sollte das reichlich zu Kopf steigen. Mit seiner Ehefrau bezog er umgehend das kleine Haus und machte es zu seinem Reich. Gut gelaunt verbannte Erwin seinen jüngsten Bruder und seine Mutter in die Kammern unter dem Dach, befruchtete unentwegt seine Ehefrau, auf das diese sodann putze, koche und den Garten bestelle. Der verbliebene Onkel nahm seine Ziege und ging zurück in den Wald, wo er alsbald wieder verzottelte. Beschwert hat sich keiner.

      Jetzt, so kurz nach der Schule immer noch ein halbes Kind, wähnte sich mein Großvater erwachsen. Kaum meinte er damit, nunmehr ein Mann zu sein und irgendwelche Mätzchen der vermeintlichen Stärke aufführen zu müssen. Stöpselig wie er war, hätte ihm ein solches Gehabe sowieso niemand abgenommen, er sich selbst auch nicht. Das Ende der Schulzeit bedeutete ihm lediglich reine Ausgelassenheit, endlich ungestört mit Freunden abhängen. So trat er schon bald der Dorfkapelle bei, denn das waren die Jungs, die immer mittendrin standen, wenn es irgendwo was zu feiern gab. Musikalische Talente dürften in der Kapelle nicht zu finden gewesen sein, mochte mein Großvater stets standfest anderes behaupten und seinen eigenen Part ganz besonders glamourös beschreiben. In der Kapelle stand er ganz hinten, letztlich nicht zu sehen, hatte er um seinen stöpseligen Körper eine enorme Pauke geschnallt. Bums Tätärä, galt es bei Marschmusik den Takt zu finden. Hin und wieder schlug er sanft auf die Triangel. Ein Heidenspaß, hätte sein ganzes Leben so weiter gehen können. Immerhin, er hat ziemlich lange auf die Pauke gehauen.

      Ob seiner ausgeprägten Sorglosigkeit ging er schließlich sogar arbeiten, weil er nur auf diese Weise weiter den ganzen Tag mit den Jungs abhängen konnte, von denen die meisten sich längst im Wald verdingt hatten. Also wurde mein Großvater Forstarbeiter. Tagsüber den Wald aufräumen, dringend benötigtes Holz für die Energieversorgung sammeln, abends an der Pauke, so definierte er den Ernst des Lebens. Die Welt meinte es gut mit ihm, selbst dann, als andere dachten, sie würde nun endgültig zu Grunde gehen. Während er lustig musizierte, vermeinten andere dem Untergang beizuwohnen. Eigentlich passierte gar nichts Schlimmes, es gab kein vernichtendes Erdbeben, kein Meteoriteneinschlag, keine anhaltende Dürre, bloß das Geld verlor seinen sowieso fragwürdigen Wert.

      Fern ab des Geschehens im Wald hatten die entfernten Herrschaften aus dem Hauptnest des stets glorreichen Reiches wundersam das Geld vermehrt, um den angerichteten Schaden zu begleichen, wurde der Große Krieg nun zum teuren Vergnügen. Deshalb ließen die entfernten Herrschaften Unmengen an Scheinen drucken, wäre auch mein Großvater nicht auf eine bessere Idee gekommen, denn vom Kopf her macht es keinen Unterschied, ob entfernte Herrschaft oder Forstarbeiter, unterm Strich bleibt alles immer höchst menschlich. Doch mit der Magie des Geldes verhält es sich so, dass Überfluss stets irgendwo zum Verlust führt, wie beim Humankapital gilt, je mehr es davon gibt desto weniger ist es wert. Nebenbei ging dann auch noch irgendwo in Amerika eine Bank pleite, aber das kümmerte kaum irgendwen, war es selbst kundigen Zeitungen, wenn überhaupt, nur eine Randnotiz wert, eine Nachricht ohne Belang. Schien es wie der reinste Okkultismus, als schließlich die unkontrollierten Ströme des Geldes weltweit alles mit sich rissen, folgte auf die große Überraschung ein noch größerer Ruin, vor allem weil so irre viele Scheine im Umlauf waren, zu viel reinste Fiktion auf Papier. Immerhin waren jetzt jene froh, die gar kein Vermögen hatten, wie mein Großvater, der ohne Geld mit ungetrübt heller Freude an dem beschleunigten Verfall Anteil nahm

      "Ein Pfund Kaffee hat mehr als eine Millarde gekostet, mal kurz weg geguckt und schon kostete es ein paar Millionen mehr.", erzählte er mir, als könne er den Aberwitz immer noch nicht glauben. "Kannst du dir das vorstellen?", fragte er höchst freudig. Humorlos konnte ich nicht mal bis Zehn zählen und dachte mein Opa spinnt.

      Ob nun eine Milliarde, zwei oder drei, Kaffee hatte sich mein Großvater sowieso nie leisten können, das ließ ihn die rasende Verteuerung ganz beruhigt urkomisch finden. Doch die raffinierte politische Maßnahme der Geldvermehrung gepaart mit der engen Weitsicht der herrschenden Herrschaften sollte ganz unkomisch bis tief hinein in das kleine Haus reichen, als sich Erwins mühsam zusammen geklaubte Ersparnisse unter seiner Matraze galoppierend in Luft auflösten. Für diesen Verlust musste natürlich irgendjemand die Verantwortung tragen und ein Schuldiger war schnell gefunden, war Erwin bald nicht mehr der einzige, der dem Juden von nebenan an allem die Schuld gab, beschleunigten sich damit lediglich die desaströsen Verhältnisse. Bloß mein Großvater hatte nichts verloren und dafür musste er niemandem die Schuld geben, nicht einmal den ganz entfernten Herrschaften aus dem Reichshauptnest.

      Und in genau dieser Zeit, in der viele gebannt den Atem anhielten, entsprechend das Denken flächendeckend aussetzte, passierte, was passieren musste, schienen die Dinge unbeirrt ihren Lauf zu nehmen, als sich mein ungetrübter Großvater unsterblich verliebte. Zwar verliebt sich nicht jeder Mann in eine Frau, aber jene die es tun, verlieben sich immer in die gleiche, also immer in die schönste von allen. Mein Großvater blieb da keine Ausnahme, auch er verliebte sich in die schönste Frau, versteht sich im ganzen Dorf, ach was, hügelweit gab es keine, die je hätte schöner sein können. Bei einem Fest, auf der Tanzfläche, da hatte er sie zum ersten Mal gesehen. Wie das allerdings passieren konnte, bleibt rätselhaft, weil er doch ganz hinten in der Kapelle stand, fast völlig von der Pauke verdeckt, lauter große Kerle vor sich, mit Tuba, Trompete und Posaune. Wenn es schon nicht Liebe auf den ersten Blick gewesen sein konnte, so doch eine Liebe, die ihn hat durch alle hindurch sehen lassen oder größer werden, sowas in der Art.

      Nun, und diese schönste aller Frauen, die tanzte leichtfüßig zum suchenden Takt der Kapelle, tanzte, als würde sie ihr Leben lang nur tanzen wollen, einen Hüftschwung vollführen,