kam Ahlgrimm herein und legte eine Hand auf Annas Schulter. „Ihr müsst nach dem Essen euren Arrest antreten. Ein Büttel wird euch hier abholen, bitte macht keine Schwierigkeiten. Der Großherzog ist geneigt, die Affäre unter den Teppich zu kehren. Das wird auch für euch von Vorteil sein.“ Er beugte sich vor und sah Gwyn prüfend an. „Ihr solltet euch nun nach oben begeben, ihr seht müde aus.“ Gwyn sah ihn an und fragte müde: „Hat mein Vater schon gesagt, wie lange der Stubenarrest dauert?“ Ahlgrimm schüttelte den Kopf. „Nein, bedaure.“ „Dann solltet ihr jetzt lieber gehen, es ist bestimmt äußerst ungünstig, wenn man euch mit mir sieht.“ Ahlgrimm schmunzelte. „Ihr könnt immer noch scherzen, Prinzessin, charmant wie immer. Nehmt das alles nicht so schwer, euer Vater verzeiht euch schon wieder. Jedes Kind macht mal Dummheiten.“ Dann ging er. Hermine tätschelte Gwyns Rücken und versuchte noch einmal mit sanften Worten, die Prinzessin dazu zu bewegen, auf ihr Zimmer zu gehen und sich hinzulegen. Endlich hatte sich Gwyn so weit gefangen, dass sie nachgab und nach oben ging. Anna saß noch eine Weile am Feuer. Sie versuchte zu verstehen, was gerade vorgefallen war. Nach und nach füllte sich der Speisesaal und die ersten Schlossbewohner fanden sich zum Essen ein. Sie beobachtete das Kommen und Gehen eine Weile, aber Hunger hatte sie keinen. Bald wurde sie schläfrig. Sie schrak hoch, als sich jemand in den gegenüberliegenden Sessel fallen ließ. Tristan hatte sie beim Reinkommen gesehen und war zielstrebig auf den benachbarten Sessel zugegangen. Sein Hunger war einem Kitzeln in der Magengrube gewichen. Er musste herausfinden, ob er mit seiner vorwitzigen Tat vorhin seine Chancen vernichtet hatte. „Störe ich?“ lächelnd beugte er sich zu ihr hinüber. Sie schüttelte den Kopf. Nervös zupfte sie an einer Ecke ihrer Schürze herum, bis sie sich schließlich lächerlich vorkam und es sein ließ. „Geht es dir gut?“ Anna schüttelte wieder den Kopf. „Wir haben uns beim Großherzog beschwert, aber sie hat ihn von sich überzeugen können. Wir haben Arrest gekriegt, stell dir vor! Ich fürchte, jetzt wird alles noch viel schlimmer.“ Flüsterte sie ergeben. Was konnten sie noch tun? „In zehn Monaten kann ich wieder nach Hause und bis dahin halt ich das schon durch.“ Meinte sie zuversichtlich, aber sie schien nicht sehr überzeugend zu sein. Tristan schaute sie mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an. Seine Frage hatte sich eigentlich auf den Kuss bezogen, aber ihrer Antwort konnte er entnehmen, dass sie mit ganz anderen Dingen beschäftigt war. Anscheinend war sie ihm nicht böse. Ihr fiel eine Spur Blut in seinem Mundwinkel auf und mehrere blaue Flecken im Gesicht. Sie runzelte die Stirn. Dann bemerkte sie, dass seine Kleider vor Schmutz starrten. „Was ist mit dir passiert? Hast du dich geprügelt?“ Er lachte, aber es klang verbissen. „Nicht wirklich. Bloß eine Übung, die ein bisschen ruppiger war als sonst.“ Sein Lächeln wirkte verwegen. Anna zog müde eine Augenbraue hoch. Sollte sie sich davon beeindrucken lassen, dass er sich mit seinen Freunden prügelte? Das hatte auf sie noch nie Eindruck gemacht. Er erkannte wohl, dass sie jedwede Angeberei missbilligte, denn sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er schien sie jetzt fast ratlos anzusehen und Anna musste leise lachen. „Wie lief der Wettbewerb für dich? Bei den Vorausscheidungen warst du ziemlich gut.“ Er lachte wieder auf diese eigentümliche Weise, irgendwie spöttisch. „Es war großartig. Könnte nicht besser sein.“ Eine Weile schwiegen sie und Anna konnte spüren, wie er sie verstohlen musterte. Das war ihr peinlich und schließlich erwiderte sie seinen Blick ganz offen. „Dann wirst du also Mitglied der Ehrengarde? Mein Vater hat mir viel darüber erzählt. Es ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe.“ Er zuckte die Schultern und rutschte unbehaglich ein Stück vor. „In meiner Familie ist jeder Mann seit Generationen ein Mitglied gewesen. Ich kann gar nichts anderes tun.“ Er wirkte aufrichtig. „Woher weiß dein Vater so viel über die Ehrengarde?“ Anna zog verblüfft die Schultern nach oben. Dabei rutschte die Decke von ihren Schultern. Schnell wickelte sie sich wieder ganz fest ein. „Er war doch selber lange Zeit Mitglied. Bis er bei einem Einsatz an der Schulter verletzt wurde. Jetzt kann er kaum noch ein Schwert halten. Ich dachte, die Mitglieder der Ehrengarde kennen sich untereinander?“ Tristans Gedanken überschlugen sich. „Dein Vater müsste aber adelig sein, damit er sich um einen Platz in der Ehrengarde bewerben konnte.“ Meinte Sie, dass er ihr das abkaufte? Sie war ja letztlich nur eine Kammerzofe. „Sicher ist er das.“ Sie wirkte ganz arglos. Wie konnte sie nur so lügen? Es sei denn... „Ah, verstehe. Ich wollte dir nicht zu nahetreten.“ Anna war verwirrt. Was meinte er denn? Als sie ihn direkt darauf ansprach, wirkte er verlegen. „Na ja, ich dachte deine Herkunft sei vielleicht kein geeignetes Gesprächsthema.“ Druckste er herum. Sie schien ihn immer noch nicht zu verstehen, aber sie wurde sichtlich böse. „Was stimmt denn nicht mit meiner Herkunft? Ich weiß nicht, wieso alle hier zwischen Menschen derartige Unterschiede machen können und auch noch meinen im Recht zu sein! Was gibt euch das Recht zu glauben, dass ihr was Besseres wärt, nur weil eure Familie mehr Geld hat als meine?“ Jetzt waren sie also wieder förmlich. „Hör mal, ich will dich ja nicht beleidigen, aber es geht hier doch wohl weniger ums Geld. Es ist überhaupt schon merkwürdig, dass ein Vater sich zu seinem unehelichen Kind bekennt.“ Jetzt hatte er es gesagt. Zu seiner Überraschung blinzelte sie nur und fing dann an zu lachen. „Bei der Göttin, ich bin doch kein uneheliches Kind.“ Jetzt war Tristan derjenige, der verwirrt war. „Ach nein, aber ich dachte, wieso, aber warum bist du dann wie eine Kammerzofe angezogen?“ er bekam kaum einen vernünftigen Satz heraus. Sie lachte immer noch. Es war ihm so peinlich und er wusste nicht mal warum! Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, konnte sie schließlich antworten: „Ich muss hier als Kammerzofe ein Jahr lang feines höfisches Benehmen lernen und anschließend wird man dann auf einem großen Fest in die Gesellschaft eingeführt. Ihr versteht wohl nicht viel von höfischer Etikette.“ Erleichterung machte sich in ihm breit. Jetzt konnte er unbesorgt sagen was er dachte, ohne fürchten zu müssen, das eventuelle Standesunterschiede ihnen in die Quere kamen. „Das wusste ich nicht.“ Sein Lächeln wirkte erleichtert und ihm schien diese Verwechslung wirklich peinlich zu sein. „Ich wollte dir nichts unterstellen, ich hoffe, du bist nicht böse auf mich?“ Gerne hätte sie ihm gesagt, dass sie ihm auf keinen Fall böse sein konnte, aber sie hielt sich zurück und schüttelte nur den Kopf. Er nickte und lächelte, dann verzog er das Gesicht zu einer lustigen Grimasse und rieb sich das Kinn. „Wenn die Dame noch mal Ärger macht, dann sag mir Bescheid. Gegen eine Frau müsste ich noch gewinnen können.“ Anna sah den Büttel in der Tür des Speisesaals stehen. Nach allem was heute passiert war, hatte sie schon daran gezweifelt, ob sie überhaupt im Recht waren. „Ich muss jetzt gehen. Die Strafe habe ich verdient, das gebe ich zu.“ Tristan sah sie bestürzt an. „Wie kannst du nur so etwas behaupten?“ Sie antwortete: „Glaub mir, ich habe mich nicht gerade vorbildlich verhalten.“ Tristan schüttelte den Kopf und ergriff ihre Hand. „Dieser Ungerechtigkeit werde ich ein Ende setzen. Ich lass nicht zu, dass du im Arrest landest.“ Anna zog ihre Hand zurück und spürte, wie Erschöpfung sie übermannte. „Bitte tu nichts Unüberlegtes, lass diese Frau in Ruhe. Sie ist unheimlich, irgendetwas stimmt mit ihr nicht.“ Sie konnte ihm das jetzt nicht erklären. „Außerdem habe ich mit einem Buch nach ihr geworfen.“ Er zog erstaunt die Augenbrauen hoch, darum fuhr sie schnell fort: „Das war dumm von mir und das sehe ich ein, also lass mich.“ Der Büttel hatte sie entdeckt und kam auf sie zu. Der Göttin zum Dank erkannte sie einen Freund ihres Vaters in dem Mann. Wenigstens würde man sie nicht schlecht behandeln. „Entschuldigen Sie bitte, Fräulein von Kaltbach, aber ich muss Sie bitten mit mir zu kommen.“ Müde verabschiedete sie sich und folgte dem Büttel. Tristan sah ihr nach, als hätte er einen weiteren Schlag ins Gesicht bekommen. Er dachte an den Brief und die Wunde im Nacken schmerzte wütend. Und das würde kein noch so guter Branntwein kurieren.