Название | Von alten und neuen Bürowelten |
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Автор произведения | Maik Marten |
Жанр | Зарубежная деловая литература |
Серия | |
Издательство | Зарубежная деловая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783752926736 |
Abb. 2: Kontor Anfang des 19. Jahrhunderts; Quelle: office museum
Da die Kommunikation hauptsächlich per Brief stattfand und Wochen, gar Monate dauern konnte, bot die Bande des eigenen Blutes mehr Sicherheit. Übervorteilung und Betrug ließen sich so wirkungsvoller eindämmen. Größere Partnerschaften besaßen Zweigstellen in verschiedenen Städten. Die familiären Verbindungen konnte man aus den Firmennamen entnehmen. So gab es beispielsweise in Liverpool die Brown Shipley & Company, in New York Brown Brothers & Company, in Philadelphia Browns and Bowen und in Baltimore Alexander Brown & Sons.1
Die Belegschaft blieb überschaubar. Neben den Partnern gab es in den Handelskontoren vielleicht zwei oder drei Schreiber, einen Buchhalter, einen Kassenwart und einen Vorsteher, der die Geschäfte führte, wenn die Partner gerade nicht im Büro waren. Oft war es nur ein einzelner Raum, in dem man dicht beinander saß. Wie erfolgreich das Kontor war, ließ sich schnell an der Beschaffenheit der Räumlichkeiten und deren Einrichtung ablesen. Einfache Kaufleute konnten sich oft nur bescheidene Zimmer leisten, die sich im Souterrain oder in schwer zugänglichen Etagen eines mehrstöckigen Hauses befanden. Manchmal drang nur wenig natürliches Licht durch die winzigen Fenster. Zur üblichen Einrichtung der Kontore gehörten schwere Schreibtische, Stühle, Pulte, Regale und Schubläden für die diversen Bücher, Papiere und Verträge. Dazu gab es Schreibgeräte und einige arithmetische Hilfsmittel; darunter Feder, Bleistift, Rot- und Blaustift, Lineal und Zinstabellen. Arbeitspensum und -geschwindigkeit waren in den meisten Kontoren nicht sonderlich hoch. Nichts hatte hier mit der Hektik späterer Jahre gemein. Selbst in New York, der Stadt, die um 1840 zu den wichtigsten kommerziellen Zentren der Welt aufgestiegen war, herrschte nur selten Zeitdruck. In den Chroniken des damals in New York lebenden Kontoristen J.A. Scoville fand sich die Aufzeichnung eines typischen Tages wieder:
To rise early in the morning, to get breakfast, to go down town to the counting house of the firm, to open and read letters - to go out and do some business, either at the Custom house, bank or elsewhere, until twelve, then to take a lunch and a glass of wine at Delmonico’s; or a few raw oysters at Downing’s to sign checks and attend to the finances until half past one; to go on change; to return to the counting house, and remain until time to go to dinner, and in the old time, when such things as „packet nights“ existed, to stay down town until ten or eleven at night, and then go home and go to bed.2
Vermutlich verbrachten die Geschäftsführer tagsüber nicht allzu viele Stunden in ihrem Kontor. Während sie sich bei Geschäftspartnern, Händlern oder Kunden aufhielten und Verträge aushandelten, kümmerten sich derweil die Buchhalter und Schreiber um die Bücher. Es war eine stille Arbeit. Nur ab und an kam ein Bote herein, um eine Nachricht, eine Order oder einen Vertrag zu überreichen. Wenn sich eine größere Lieferung ankündigte, weil vielleicht gerade ein Handelsschiff in den Hafen eingelaufen war oder eine reife Ernte ihre Abnehmer suchte, lebte das Kontor für ein paar Stunden auf. Dann übernahmen die Schreiber das Kopieren und Ablegen der Dokumente und die Buchhalter die Eintragung in das Tagesjournal. Genauigkeit und Akribie waren hier gefordert. Nur wer schreiben oder rechnen konnte und zudem über eine zuverlässige Natur verfügte, konnte sich im Kontor um eine Stelle bemühen. Fähigkeiten, die damals keine Selbstverständlichkeit waren, sondern nur auf eine kleine Minderheit zutrafen. Wenn man zu den Glücklichen zählte, konnte man sich über ein bescheidenes, aber regelmäßiges Einkommen freuen.
Abb. 3: Wells Fargo Express Office, San Francisco, 1867; Quelle: office museum
Die doppelte Buchführung war seit dem 15. Jahrhundert Standard in den Kontoren. Drei unterschiedliche Bücher galt es zu führen und aufeinander abzugleichen: Die täglichen Geschäftsvorfälle wurden im Tagesjournal aufgenommen. Von dort aus gingen die Daten einmal im Monat in ein weiteres Kontobuch, in dem alle Kundendaten, ein- und ausgehende Waren, Forderungen und Verbindlichkeiten notiert wurden. Schließlich gab es das Hauptbuch, das am Ende jedes Geschäftsjahres ausgeglichen sein musste.3
Bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts blieben die Kontore überwiegend bescheidene Wirtschaftseinheiten. Zwar nahmen mit Wachstum und Ausdehnung der Bevölkerung auch ihre Geschäfte deutlich zu, aber bevor es zu einer Vergrößerung der Handelsbetriebe kam, reagierte der überwiegende Teil von ihnen zunächst mit einer Spezialisierung des Angebots. Anstatt wie bisher mit einer großen Palette an verschiedenen Waren zu handeln und viele enge Kontakte zu Händlern, Farmern, Fischern und Schiffseignern zu pflegen, begann man sich auf einzelne Waren und Branchen, deren Finanzierung, Transportwege und Verbreitung zu konzentrieren. Am Arbeitsalltag und dem Rhythmus der zu erledigenden Aufgaben und Arbeitsschritte änderte sich vorläufig nichts. Schwung in die Entwicklung brachte erst die zügige Ausbreitung des Eisenbahnnetzes und die modernen Kommunikationsmöglichkeiten der Telegraphie und später Telefonie. Erst mit der rasanten Zunahme der Geschwindigkeit des Warenverkehrs und der Kommunikation begannen sich die Kontore zu wandeln.4
Das Maschinenzeitalter
Mitte des 19. Jahrhunderts brach das Industriezeitalter heran. Neue technische Errungenschaften, die Ausdehnung der Produktion durch die moderne Massenfertigung, die Erschließung neuer Märkte und die Etablierung eines internationalen Finanzmarktes, der die aufstrebenden Unternehmen mit frischem Kapital versorgte, ließ die Nachfrage nach Arbeitskräften in der Administration binnen kürzester Zeit sprunghaft ansteigen.1 Der renommierte Wirtschaftsberater Peter Drucker sagte rückblickend über diese außerordentliche Ära: „In den 50 Jahren vor 1913 veränderte sich die Weltwirtschaftskarte so schnell und drastisch, wie sich die physische Karte der Erde im Zeitalter der Entdeckungen des 15. und 16. Jahrhunderts verändert hatte.“2 Binnen kürzester Zeit, zwischen 1860 und 1870 zogen die USA und Deutschland an der einstigen Kolonialmacht Großbritannien vorbei und waren plötzlich zu industriellen Großmächten aufgestiegen. Mit etwas Verzögerung gesellten sich weitere Nationen wie Russland, Japan, Österreich und Italien dazu. In Großbritannien hatte sich der Anteil der Angestellten an der gesamten Beschäftigtenzahl von 0,8 % im Jahr 1851 auf über 7,2 % im Jahr 1921 erhöht.3 In den USA waren 1870 von allen in der Industrie Beschäftigten etwa 4/5 direkt in der Produktion tätig. 1940 waren es nur noch 46 %. Gleichzeitig stieg der Anteil derjenigen, die im Service beschäftigt waren, von 13 auf 20 %, in der Distribution von 7 auf 23 % und im Bereich der Koordination von 3 auf 11 %.4
Was war der Grund für diesen plötzlichen Anstieg? Unternehmen, Manufakturen und Fabriken hatte es schon lange Zeit zuvor gegeben. Aber ihre Verwaltungen blieben im Verhältnis zur Produktion zunächst relativ klein. Erst im fortgeschrittenen Maschinenzeitalter wuchs der Bedarf an Administration und Management überproportional an.
Der amerikanische Wirtschaftshistoriker und Ökonom Alfred Chandler hatte sich in seinem Buch The Visible Hand - The Managerial Revolution in American Business mit dem Wandel der Unternehmenstypen vom Familienbetrieb zum Großkonzern in den USA im Zeitraum von etwa 1800 bis 1950 beschäftigt. Er brachte beste Voraussetzungen mit. Seine Familie gehörte zur wirtschaftlichen Elite Neu Englands. Man pflegte enge Kontakte zu vielen einflussreichen Familien, die in der damaligen Zeit Wirtschaftsunternehmen aufgebaut hatten, so etwa zu den Du Ponts, denen der gleichnamige Chemiekonzern gehörte. Auf diese Weise erhielt er leichten Zugang zu den Schaltzentralen bedeutender Konzerne. Das wichtigste Quellmaterial für seine spätere Forschungsarbeit über Organisationstheorie hatte er allerdings seinem Vater und Großvater zu verdanken. Sein Vater arbeitete für die amerikanische Eisenbahngesellschaft, und sein Großvater, Henry Varnum Poor, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein führender Geschäftsanalyst in der Eisenbahnbranche gewesen. Poor hatte sein ganzes Wissen akribisch dokumentiert und nach seinem Tod seinem Enkel zur Verfügung gestellt.
Chandler veranschaulichte am Beispiel der Ausdehnung der Eisenbahn in Amerika das organische Wachstum der Unternehmen. Die technischen Innovationen machten es möglich. Mit der Erfindung der Lokomotive konnte man ferne Teile des Landes schnell und effizient