Von alten und neuen Bürowelten. Maik Marten

Читать онлайн.
Название Von alten und neuen Bürowelten
Автор произведения Maik Marten
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783752926736



Скачать книгу

hinweg bestand Amerikas Wirtschaft größtenteils aus Kleinbetrieben und Selbständigen. Die USA waren das Land der Entrepreneure. Wer sein Glück finden wollte, baute sich eine selbständige Existenz auf. Auch wenn damit mehr Risiko und Unsicherheit verbunden war: Auf den eigenen Beinen zu stehen, galt als der amerikanische Traum schlechthin. Mit dem Wachstum der Unternehmen schien sich dieses Idealbild zu wandeln. Nun strömten die Menschen an die neu geschaffenen Arbeitsplätze in den Fabriken, Verwaltungen und Geschäfte. Dabei war die neue Arbeitswelt alles andere als perfekt. Zwar versprach sie mehr Sicherheit, steigende Einkommen und Teilhabe am wachsenden Wohlstand, aber die Industrialisierung sorgte mit ihrer gnadenlosen Spezialisierung und Rationalisierung von Arbeitsvorgängen auch für ein bisher unbekanntes Ausmaß an Eintönigkeit, Ermüdung und Abstumpfung. Man begann sich zu fragen, ob der Mensch das auf lange Sicht aushalte. Waren wir dazu geschaffen, die Mühen der fremdbestimmten Lohnarbeit auf uns zu nehmen? Führte uns die Rationalisierung nicht in eine zunehmende Entfremdung von der Arbeit? Machte sie uns nicht auf Dauer zu willenlosen Wesen?

      Unter den Eindrücken einer im Jahr 1904 durchgeführten Reise durch Amerika, hatte der deutsche Soziologe Max Weber in seinem berühmten Werk Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus die These formuliert, dass die Wesenszüge des Kapitalismus eng mit der protestantischen Ethik verknüpft seien.1 Der Protestantismus, im Besonderen der Puritanismus, war seit dem 17. Jahrhundert die bestimmende Religion in den USA. Die Puritaner waren fromme, gottesfürchtige Menschen, deren Leben von Fleiß und Arbeit geprägt war. Für sie stellte Arbeit ein Mittel dar, Gott zu dienen und sich allem Weltlichen, Ausschweifenden und Müßigen zu entziehen. Wenn die Rationalisierung der Arbeit bedeutete, produktiver und sinnvoller als bisher mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umzugehen, sollte dies ganz im Sinne ihrer Religion sein. Folglich hatte man auch die mit ihr verbundenen Entbehrungen und Erschöpfungszustände zu erdulden.2 Technologie und Maschinisierung waren die Werkzeuge, um die moderne, bürgerliche Gesellschaft weiter voranzutreiben. Arbeit, auch wenn sie noch so langweilig war, wurde zur Pflicht eines rechtschaffenen Menschen.

      Im Laufe der Zeit lösten sich Religion und Pflichtgefühl voneinander ab. Die puritanische Religiosität verschwand aus dem alltäglichen Leben der Amerikaner. Übrig blieb das Erbe einer „nüchternen Berufstugend“3, die die Menschen anhielt, die Bürden der Arbeit hinzunehmen. Der Charakter der Arbeit hatte sich für den Großteil der Erwerbstätigen geändert. Zwar waren viele Tätigkeiten monotoner und ermüdender als zuvor, aber die Rationalisierung der Wirtschaft sorgte gleichzeitig auch für steigende Gehälter, kürzere Arbeitszeiten und deutlich mehr Kaufkraft. So konnte man sich über die Langeweile am Arbeitsplatz und den Verlust von Autonomie durch zahlreiche neue Möglichkeiten des Konsums und der Freizeitgestaltung hinwegtrösten. Es begann sich ein veränderter Wertekanon unter den Menschen herauszubilden, der auf Technikglauben, Instrumentalismus, dem Segen der Rationalisierung und des Konsums beruhte.4

      White-Collar Factories

       Die Zeit der großen Männer geht zu Ende; die Epoche des Ameisenhaufens, des vielfachen Lebens fängt an. Das Jahrhundert des Individualismus läuft Gefahr, falls die abstrakte Gleichheit überhandnimmt, wahrhaftige Individuen aus dem Blick zu verlieren. Durch die ständige Nivellierung und die Aufteilung der Arbeit wird die Gesellschaft zu allem werden und der Mensch zu nichts.

       (Henri-Frédéric Amiel, 1851) 1

      Zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert stieg der Bedarf an Büroraum sprunghaft an. Riesige Bürogebäude wuchsen in den Himmel, in denen hunderte, oft tausende Angestellte arbeiteten. Architekten, Bauherren und Manager setzten sich gemeinsam an den Tisch und erschufen systematische Grundrisse für die im Rahmen des Scientific Managements entwickelten Arbeitsvorgänge. Die Prämisse war die gleiche wie auch heute: Diejenigen Mitarbeiter, die viel miteinander kommunizierten, sollten möglichst dicht beieinander sitzen.2

      Den Vorzug bekamen daher auch offene Grundrisse ohne störende Barrieren. Wände, Treppen und Etagen wurden, wenn möglich, vermieden. Zur optimalen Flächenausnutzung plante man lange, orthogonal ausgerichtete Tischreihen. An deren Enden gab es erhöhte Plätze für die Vorgesetzten und Kontrolleure. Von dort aus konnten sie die Arbeit ihrer Untergebenen leichter beobachten.

Order Entry Department bei Sears, Roebuck & Co., Chicago, IL, ca. 1913, die Arbeiterinnen benutzen Schreibmaschinen von Oliver

      Abb. 6: Order Entry Department bei Sears, Roebuck & Co., Chicago, IL, ca. 1913, die Arbeiterinnen benutzen Schreibmaschinen von Oliver; Quelle: office museum

      Der Schriftsteller Martin Walser, der als junger Mann selbst als Commis in einer Bank gearbeitet hatte, porträtierte in seinen Romanen, Erzählungen und Gedichten immer wieder Angestellte und deren Habitate um die Jahrhundertwende:

      Da sind in so einem Saal an die zehn bis fünfzehn Pultreihen mit Gängen zum Revuepassieren, an jedem Doppelpult arbeitet ein Paar Menschen, ….zuoberst im Saal steht das Pult des Vorstehers, …der Abteilungschef ist ein sackdicker Mann mit ungeheuerlichem Gesicht auf dem Rücken. Das Gesicht stemmt sich unmittelbar, ohne des Halsansatzes zu bedürfen, an den Rücken, und es ist brandrot und scheint immer zu schwimmen. Es ist zehn Minuten nach acht, Chef Hasler überfliegt mit ein paar gutgezielten Blicken den Raum, um zu überprüfen, ob alle da sind. Zwei fehlen, und das ist natürlich wieder der Helbling und der Senn.3

      Das Mobiliar war schlicht, funktional und unpersönlich. Hochwertige Materialien, oder gar Luxus, suchte man vergeblich. Alles war auf das Zweckmäßige reduziert. Informelle Kommunikation sollte, zumindest direkt am Arbeitsplatz, vermieden werden. Mit prüfenden Blicken oder Rügen der Vorgesetzten war zu rechnen: „Der unaufhörliche Takt der Arbeit, das erbarmungslose Tempo der Produktion, zwang die Angestellten dazu, sich für jede Minute, die sie für etwas anderes als für ihre eigentliche Arbeit aufbrachten, zu rechtfertigen.“4 In den allermeisten Büros herrschte ein strenger Dresscode: Die Männer trugen dunkle Anzüge mit weißen Hemden und Krawatten, Frauen Röcke und weiße Blusen. Und da die Büroarbeit genauso erbarmungslos getaktet war, wie die Arbeit an den Maschinen in den Fabriken, nannte man die Arbeitsstätten der Angestellten auch white-collar factories.

      Frank Lloyd Wrights Larkin Building

      Exemplarisch für eine damalige white-collar factory und doch seiner Zeit weit voraus, war das 1906 in Buffalo errichtete Larkin Building der Larkin Soap Company. Kompromisslos in der Befolgung der Prinzipien des Scientific Managements waren die Auftraggeber und Planer gleichzeitig außerordentlich bemüht, optimale Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter herzustellen. Hier war alles hell, sauber, und lichtdurchflutet. Hier war alles geordnet, sortiert und an seinem rechten Platz. Und hier war auch jeder Handgriff bis ins Detail streng geplant und geregelt. Alles lief wie in einem präzisen Schweizer Uhrwerk ab.

      Architekt war der damals noch junge, aber schon zu einer gewissen Bekanntheit gekommene, Frank Lloyd Wright. Zu dem Zeitpunkt, als er die ersten Entwürfe für das Gebäude entwickelte, blickte die Larkin Company auf eine fast dreißigjährige Erfolgsgeschichte zurück. Gegründet 1875 in Buffalo im Staate New York, USA, unter der vollständigen Firmenbezeichnung J. D. Larkin, Manufacturer of Plain and Fancy Soaps, startete das Unternehmen zunächst mit einer kleinen Fabrik, die Seifenartikel für den privaten Gebrauch herstellte. Der Firmengründer John D. Larkin und sein Vertriebschef Elbert Hubbard erkannten allerdings bald das geschäftliche Potential, das sich aus der besseren und schnelleren Erschließung des Landes durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes und des Post- und Fernmeldewesens ergab. Die Transportzeit von Waren und Informationen schrumpfte in jenen Jahren auf einen Bruchteil der ursprünglichen Zeit zusammen und der wachsende Wohlstand des Landes weckte in den Amerikanern bisher ungekannte Konsumwünsche. Artikel des täglichen Bedarfs standen schon immer weit oben auf den Einkaufslisten der amerikanischen Haushalte. Mit dem wachsenden Einkommen wurde der Markt nun von Tag zu Tag lukrativer. Larkin und Hubbard witterten ihre Chance. Sie beschlossen ihr Sortiment um weitere Haushaltsartikel auszudehnen und ein eigenes, nationales Vertriebsnetz aufzubauen.