Paulo am Ende der Seidenstraße (8). HaMuJu

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Название Paulo am Ende der Seidenstraße (8)
Автор произведения HaMuJu
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847655411



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Wasser stammte sicher vom Huang He und wurde durch versteckte Kanäle in die Stadt geleitet. Um 16.00 h waren wir wieder am Bahnhof und gaben die Räder ab, wir winkten der Frau im Tourist Office zu und gingen zur Bushaltestellle.

      Wir kamen um 17.00 h in Nanfang an und gingen zum Boot, der Restaurantbesitzer hatte gut aufgepasst und wir bedankten uns bei ihm. Wir nahmen auf der Terrasse ein Bier und entschlossen uns, an dem Abend wieder in dem Restaurant zu essen. Das Fahrradfahren hatte uns alle ein wenig ermüdet und wir hatten mächtig Hunger bekommen, wir bestellten das Chop Suey mit Rindfleisch vom Vorabend und tranken jede Menge Bier dazu. Gut gesättigt liefen wir zum Boot zurück, schlossen die Tür nach unten auf, setzten uns an Deck und redeten bei Bier über das Erlebte. Ich schüttete Lan und mir einen Schnaps ein, jeder hatte den Ausflug in die Großstadt als Wohltat empfunden, schließlich waren wir seit zwei Wochen durch menschenleere Gebiete gefahren und hatten einfach das Bedürfnis, einmal wieder etwas zu erleben. Wir gingen vor Mitternacht unter Deck, jeder fiel hundemüde in seine Koje, Lo und ich küssten und drückten uns und wünschten uns eine gute Nacht.

      Am nächsten Morgen fuhren wir nach dem Frühstück an Yinchuan vorbei, wir brauchten eineinhalb Stunden, bis wir in Höhe der Stadt waren, wir passierten eine Fülle von kleinen Städten und Dörfern, bis wir in Wuduizi auf der Höhe von Shizuishan waren, einem Kohlerevier der übelsten Sorte, obwohl wir über zwanzig Kilometer von der Stadt entfernt waren, war in Ufernähe alles mit schwarzem Kohlenstaub überzogen, der von den LKWs hinabfiel, die unablässig die Kohlen die Strasse entlang transportierten. Um Shizuishan herum gab es auch ein dichtes Gleisnetz, auf dem die Kohlenzüge verkehrten. Auch die Bahntrasse war schwarz von Kohlenstaub, aber auf Umweltschutz zu achten, galt in China nicht viel, jedenfalls bis in jüngste Zeit nicht, erst allmählich besann man sich in China auf den Schutz der Umwelt. Wir hatten zu dem Zeitpunkt schon achtzig Kilometer hinter uns und suchten langsam eine Anlegestelle, die nach Möglichkeit nicht mit Kohlenstaub verdreckt war oder nach Schwefeldioxid stank. Wir fanden so einen Ort in Sanhe Village, einer Art Feriensiedlung auf dem Ostufer des Huang He, wobei man sich fragen musste, wer denn in dieser Gegend Ferien machte. Es stellte sich heraus, dass es Minen- und Stahlwerksarbeiter waren, denen ein sehr preiswerter Urlaub in den Ferienhäusern, die der Kohlenmine oder dem Stahlwerk gehörten, ermöglicht wurde. Es gab für uns sogar eine Anlegestelle, wo wir festmachen und von wo wir bequem ins Dorf laufen konnten, um einzukaufen. Das Umland war eigentlich recht schön, es gab viel Grün und die Luft war erstaunlich gut, Lo und ich liefen zum Supermarkt. Ich hatte meinen Rucksack mitgenommen, denn wir mussten unseren Biervorrat aufstocken. Auch fehlten einige Dinge in der Küche wie Öl und Spüli. Wir kamen in ein Dorf mit schönen sauberen Ferienhäusern, die alle belegt waren und vor denen die Kinder Fußball oder Fangen spielten und fragten nach dem Supermarkt. Wo wir denn herkämen, wollten die Leute von uns wissen und wir sagten, dass wir mit dem Boot den Huang He entlangführen. Ob das denn nicht sehr gefährlich wäre, fragten uns die Leute und wir antworteten, dass es manchmal Flussverengungen gäbe, wo sich die Fließgeschwindigkeit des Wassers erhöhte, das wäre dann nicht ungefährlich, aber wir wären immer aufmerksam. Und dann luden wir die Dorfbewohner ein, sich doch einmal unser Hausboot anzuschauen, wir sagten, dass wir zu Abend äßen und sie danach erwarteten. Einige sagten ihr Kommen zu und wir freuten uns, uns mit ihnen unterhalten zu können und einmal direkt mit dem Arbeitsleben konfrontiert zu werden. Lo und ich gingen in den Supermarkt und ich lud meinen Rucksack mit Bierflaschen voll, ich dachte auch an unseren Besuch und lud etwas mehr als gewöhnlich ein, auch eine Flasche Schnaps kam in den Rucksack. Wir aßen einmal wieder kalt, Mayleen und Lan fragten, wo wir denn so lange geblieben wären und wir sagten, dass wir uns mit einigen Dorfbewohnern unterhalten und sie am Abend auf unser Boot eingeladen hätten. Wir deckten schnell den Tisch und aßen und tranken. Wir räumten dann den Tisch ab und spülten die Sachen weg. Wir säuberten das Deck und stellten einige zusätzliche Sitzgelegenheiten auf, damit die Dorfbewohner einen Platz hätten. Wir legten einige Bierflaschen mehr in den Korb, den wir ins Wasser versenkten.

      Dann erschienen sechs Dorfbewohner und begrüßten uns, wir baten sie an Bord und gaben jedem von ihnen eine Flasche Bier, unsere Sitzgelegenheiten reichten nicht für alle, sodass wir uns auf die Decksplanken oder Aufbauten setzten, wir wussten uns zu behelfen. Wo wir denn herkämen, fragte jemand von den Dorfbewohnern und Lan antwortete, sie kämen aus Xincheng und ich wäre in Lanzhou zugestiegen, ich wäre Deutscher auf Reisen und sie Studenten der Politikwissenschaft aus Shanghai. Die Dörfler sagten, dass sie Arbeiter in der Kohlenmine von Shizuishan wären und ihren zweiwöchigen Jahresurlaub in Sanhe Village verbrächten, so gut wie wir hätten sie es auch gern einmal. Lan gestand zu, dass sein Leben vermutlich deutlich angenehmer verliefe, als das der Dorfbewohner, sagte aber, dass das der Lauf der Dinge wäre, wer studieren wollte, müsste zu einer Hochschule gehen und dort gäbe es im Sommer drei Monate Semesterferien. Es wäre ja nicht so, dass wir im Geld schwämmen, aber so über den Huang He zu schippern, wäre natürlich schon eine komfortable Angelegenheit. Lan bat die Männer, doch einmal etwas über die Kohhleförderung zu erzählen, man hörte fast wöchentlich von Unfällen auf Zechen, bei denen es zig Tote gäbe. Das stimmte durchaus, die Kohleförderung in China wäre mit der in Europa nicht zu vergleichen, Sicherheitsbestimmungen würden kaum eingehalten, alles wäre nur darauf aus, so viel Kohle wie möglich aus der Erde zu holen, ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Beschäftigten. Wenn man sich weigerte, unter den herrschenden Bedingungen unter Tage zu fahren, könnte man ja kündigen, es warteten genügend andere darauf, den gefährlichen Job zu erledigen, sie würden nicht nach Sicherheitsvorkehrungen fragen. Lo wollte wissen, wie denn ihre Bezahlung wäre und bekam zur Antwort, dass die Bezahlung so gerade zum Leben reichte, große Sprünge könnte man mit der Entlohnung sicher nicht machen. Dann gingen wir von Deck und setzten uns am Ufer ins Gras, Lan machte ein Feuer an und Lo und ich suchten Feuerholz. Ich hatte lange nicht an einem Lagerfeuer gesessen, das erinnerte mich an meine Jugendzeit, wo wir sehr oft Feuer gemacht hatten, wir starrten in die Flammen und beobachteten die unterschiedlichen Flammenverfärbungen, das Krachen des brennenden Holzes vermittelte etwas Gemütliches. Und dann begann Lo plötzlich am Feuer zu singen, sie sang so schön, wie ich noch nie jemanden habe singen hören. Das Lied schien bekannt zu sein, jedenfalls stimmten alle ein, alle sangen mit, auch Mayleen und Lan. Leider ging die engelhafte Stimme von Lo dabei unter, ich fragte sie, woher sie so schön singen könnte. Lo sagte, dass das Singen bei ihr zu Hause eine große Tradition hätte, dort wurde immer gesungen, besonders, wenn Besuch von Tanten und Onkeln kam, dann setzte man sich zusammen und sang, ihre Mutter hätte eine so helle Stimme gehabt, dass sie deswegen von allen bewundert wurde.

      Eines Tages hätte Lo Gesangsunterricht bekommen, den sie aber nach einem halben Jahr wieder abgebrochen hätte, ihre Lehrerin hätte gesagt, dass aus ihr einmal eine große Sängerin hätte werden können. Die Stimmung am Feuer hatte etwas Heimeliges, alle starrten in die Flammen, die Dörfler rauchten dabei, Lo und ich hatten einen großen Berg Feuerholz aufgeschichtet, ich warf in regelmäßigen Abständen große Äste in das Feuer. Dann spratzte es und Funken flogen zur Seite, bevor sich die Flammen der neuen Nahrung bemächtigten und größer wurden.

      Lan hatte Biernachschub geholt, die Männer bedankten sich, die Schnapsflasche kreiste. Stundenlang saßen wir so am Feuer, es hatte etwas Einigendes, es begrub Zwistigkeiten und lud ein, über das Leben nachzudenken, es vermittelte große Zufriedenheit. Dann kamen mit einem Mal vier Kinder angelaufen und forderten die Männer auf, im Namen ihrer Mütter sofort nach Hause zu kommen. Schade, sagte jemand, immer wenn es am schönsten wäre, dann erhoben sich alle Männer, bedankten sich und wünschten uns noch eine gute Fahrt. Wir kippten einen Eimer Wasser auf das Feuer, das dann erlosch und gingen an Deck, wo wir uns hinsetzten und noch Bier und Schnaps tranken. Die Zusammenkunft mit den Dorfbewohnern hatte uns gut gefallen, niemand von ihnen schien richtig traurig zu sein über das, was er machte, wenn man allerdings deren Lebensumstände mit den unseren verglich, dann waren wir doch privilegiert. Wir löschten die Petroleumlampe und gingen schlafen. Ich schob Lo in meine Kajüte und wir drückten und küssten uns fest, wir zogen uns aus und

      „Auf diese Art und Weise habe ich dann einmal die Möglichkeit erhalten, Chinesen aus der arbeitenden Bevölkerung kennenzulernen“, sagte ich zu Lo.

      „Ja, die Minenarbeiter waren durchaus repräsentativ“, antwortete sie.

      „Den Kohlenarbeitern in meiner Heimat geht es deutlich besser“, sagte ich.