Название | Lost in Privilege |
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Автор произведения | Markus Gammersbach |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754132159 |
Die Selbstoptimierung
Getrieben von der schier unendlichen Auswahl an Möglichkeiten beginnen immer mehr Millennials damit, das eigene Handeln zu hinterfragen und sich mit der Selbstverwirklichung bzw. Selbstoptimierung auseinanderzusetzen. Durch das intensive Hinterfragen verdichten sich erste Existenzgedanken. Während in der Generation unserer Eltern im Sinne von Maslows Bedürfnispyramide größtenteils das Sicherheitsbedürfnis an erster Stelle stand, befinden sich Millennials in diesem Schaubild deutlich weiter oben. Grund-, Sicherheits- und Sozialbedürfnisse sind für uns in Deutschland gegeben, sodass wir uns mit Mitte 20 zu großen Teilen bereits in der Stufe der Anerkennung & Wertschätzung oder sogar der Selbstverwirklichung befinden. Wir suchen nach unserer Rolle auf dieser Welt und möchten persönliche Erfüllung erlangen. Die Frage ist nur, wo genau wir eigentlich danach suchen müssen. Wo wartet diese Zufriedenheit auf uns? In einem bestimmten Job? In der Selbstständigkeit? In der eigenen Familie mit Kindern oder im eigenen Freundeskreis? Auf dem Bankkonto oder vielleicht wo ganz anders? Genau das gilt es herauszufinden.
Es lässt sich bereits erkennen, dass beruflicher Aufstieg verglichen mit der Generation X nicht mehr so oft die zentrale Maxime ist. Vielmehr steht eine gesunde Work-Life-Balance im Mittelpunkt und die Möglichkeit, ausreichend Zeit für andere Dinge zu haben. Das Gap Year lässt grüßen. Darüber hinaus wird aber auch der Ansatz der Work-Life-Integration immer populärer, um die beiden Bereiche nicht getrennt voneinander, sondern als integrative Verbindung zu sehen.
Der Job rückt dabei in einer neuen Betrachtung in den Fokus und ist mehr mit der Fragestellung verbunden, wie er die eigene Selbstverwirklichung vorantreiben kann und gleichzeitig finanzielle Absicherung schafft. Aus diesem Grund sind auch die Anforderungen an Arbeitgeber deutlich gestiegen. Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice, Benefits und gemeinsame Events werden vorausgesetzt, damit der Job eine vielversprechende und gesunde Work-Life-Balance bzw. -Integration ermöglicht. Unternehmen, die diese Erwartungen nicht bedienen, werden zunehmend Probleme mit qualifiziertem Nachwuchs bekommen.
Um die Selbstverwirklichung auch außerhalb der Arbeit erlangen zu können, nehmen sich immer mehr Millennials eine bewusste Auszeit. Freunde von mir sind beispielsweise allein nach Norwegen gereist, den Jakobsweg gegangen oder haben anderweitig eine Möglichkeit der Selbstfindung gesucht. Auch das Interesse an einem Sabbatical ist innerhalb der Millennials so hoch wie in keiner anderen Generation. Besonders interessant ist dabei, dass dies nicht erst nach 25 Jahren Berufsleben in Angriff genommen wird, sondern bereits in den Zwanzigern. Es wird sich auch hier zeigen, wie sich dieser Trend durch die Pandemie entwickelt und ob ein solches Angebot vielleicht noch häufiger gesucht wird.
Die Zwanziger
Um zu verstehen, warum die Sinnkrise oftmals in den Zwanzigern ausbricht, lohnt sich ein Blick auf diesen Lebensabschnitt, in dem sich Millennials in einem wichtigen Wandel befinden.
Nach einer meist sorglosen und behüteten Kindheit und dem Abschluss der Schule treffen wir nun zum ersten Mal auf die reale Welt, in der wir die volle Verantwortung für unser Leben tragen. Zwar kann ein Großteil weiterhin auf die Unterstützung der Eltern bauen, doch müssen Ziele von nun an von uns selbst realisiert werden. Es tauchen Fragen auf, die wir ganz allein beantworten müssen. Sind ein paar Jahre durch ein Studium oder eine Ausbildung grob vorgeplant, folgen direkt neue Fragen, auf die es neue Antworten zu finden gilt. Wie soll es denn danach weitergehen? Wo will ich mal hin? Damit verbunden entwickelt sich ein Bewusstsein dafür, dass die Entscheidungen mit Mitte 20 unter Umständen das komplette Berufsleben beeinflussen werden. Es entsteht großer Druck, in dieser Zeit keine falschen Entscheidungen treffen zu wollen. Wir erkennen auf einmal die Tragweite unseres Handelns und die Vielzahl an Möglichkeiten lässt uns zweifeln, ob wir wirklich die richtige Wahl treffen.
Hinzu kommt, dass in wahrscheinlich keiner anderen Lebensphase die Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen Entwicklungen so groß ist wie mit Mitte 20. Lagen die einzigen Unterschiede bis dahin größtenteils im Studienfach oder der Art des Ausbildungsberufs, beginnen die Entwicklungen nun deutlich weiter auseinanderzudriften.
Während ein Teil in einer kleinen WG in der Stadt wohnt und jedes Wochenende unterwegs ist, haben andere bereits geheiratet, ein Haus gekauft und sprechen über Familienplanung. Wieder andere haben diverse Stufen auf der Karriereleiter erklommen, verdienen viel Geld oder haben sogar ihr eigenes Unternehmen gegründet. Ich habe teilweise den Eindruck, dass viele Millennials mit dieser Phase überfordert sind und dadurch ein wenig den Bezug zu sich selbst verlieren. Viel zu groß ist der Aufwand, sich täglich neu in der Gesellschaft oder bei Instagram entsprechend einzuordnen und zu beweisen. Als Mittzwanziger herrschen somit gute Bedingungen, um sich in eine Sinnkrise zu stürzen.
Auslöser der Krise
Nun ist die Übernahme der Verantwortung für das eigene Leben mit Mitte 20 allerdings keine Herausforderung, die wir Millennials als erste Generation zu bewältigen haben. Auch alle vorherigen Generationen mussten sich aus der Komfortzone ihrer Eltern entfernen und waren dabei sogar meist noch jünger. Was hat sich also geändert, dass sich Millennials so schwer tun mit diesem Schritt?
Jeder Mensch bringt persönliche Erfahrungen und Gedanken mit in diese Thematik, die letztlich der Auslöser für eine Krise sein können. Doch allgemein lässt es sich auf zwei externe Faktoren herunterbrechen: Der durch die Vielzahl an Möglichkeiten gestiegene Druck und die ständigen Vergleiche mit den Mitmenschen.
Je mehr Möglichkeiten offenstehen, umso größer sind die Erwartungen, diese entsprechend auszuschöpfen. Schließlich sollte man mit dem Masterabschluss ja auch einen repräsentativen Job aufweisen können. Das klingt in der Theorie meist deutlich leichter, als es ist. Da Millennials einen hohen Anteil akademischer Abschlüsse aufweisen, ist man bei der Suche nach einem solchen Job daher nicht allein. Erhöht wird der Druck dadurch, dass Millennials bereits im Studium nahegelegt wird, mit den eigenen Qualifikationen schnell die Karriereleiter aufzusteigen und sich in vielversprechende Positionen zu bringen. Somit sehen sich Millennials direkt nach dem Abschluss in der Pflicht, diesen Ansprüchen gerecht zu werden.
Der Druck allein ist jedoch nicht der Hauptauslöser für eine Sinnkrise. Vor allem in Kombination mit Vergleichen zu anderen nährt er eigene Zweifel. Dabei sorgen Erfolge des Umfeldes für Unsicherheit, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Vor 50 Jahren war das Leben der anderen deutlich weniger transparent, sodass man die Erfolge des Umfeldes gar nicht so sehr mitbekommen hat. Heute genügen uns zehn Minuten bei Instagram, um das Gefühl vermittelt zu bekommen, alle anderen haben ihr Leben besser im Griff oder sind weiter mit ihrer Karriere.
Verstärkt durch die ohnehin geschönte Welt in Social Media erfolgt der Blick auf das Umfeld mit einer selektiven Wahrnehmung, da ausschließlich Menschen als Referenz genommen werden, die etwas zu präsentieren haben. Der beste Freund ist jetzt nicht mehr Single, der Kommilitone fährt einen edlen Dienstwagen und die Schwester zieht in eine teure Wohnung. Sind wir mit den eigenen Lebensumständen nicht zufrieden, werden wir sofort wieder damit konfrontiert, dass wir es noch nicht dahin geschafft haben, und die eigenen Zweifel verstärken sich.
Nicht zu unterschätzen ist auch das fortschreitende Alter. All diese Erfolge des Umfeldes werden uns in einer Zeit präsentiert, in der die »magische 30« näher rückt. Der 30. Geburtstag kann gewaltigen Druck erzeugen, bis zu diesem Zeitpunkt bereits nennenswerte persönliche Erfolge erzielt zu haben. Je näher der Tag rückt und je weniger die Realität dem Ideal von Karriere, Hochzeit, Haus und Kind entspricht, umso größer wird die Panik. An sich kann ich diesem traditionellen Modell nicht mehr viel abgewinnen, weil es meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß ist. Aber wer kann sich schon wirklich frei davon machen, wenn man von allen Seiten auf den bald anstehenden 30. Geburtstag angesprochen wird?
Externer Druck und Vergleiche führen