Название | Der Nagel |
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Автор произведения | Rainer Homburger |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738043747 |
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein Diplomatenfahrzeug war. Die deutsche Gesandtschaft in Stockholm besitzt zwar einen, aber wenn die Deutschen davon gewusst hätten, dann hätten sie Carl doch bereits in Berlin verhaftet. Dann hätten sie sich einen Dreck darum geschert, ob Carl einen Diplomatenpass besitzt oder nicht. Davon können wir ausgehen.«
»Und was ist mit den Russen?«, warf Frank ein.
David blieb unvermittelt stehen und drehte sich zu ihm um. »Denen würde ich das zutrauen. Die würden wahrscheinlich alles daransetzen, dass wir die Unterlagen nicht in die Finger bekommen. Damit wären wir ihnen nämlich auf einen Schlag um viele Jahre voraus. Und das würde Stalin gewiss nicht gefallen. Allerdings wundert es mich dann, dass sie die Papiere nicht selbst an sich genommen haben.«
»Soweit ich von den Schweden erfahren habe«, fuhr Frank fort, »müssen unmittelbar nach dem Unfall die ersten Helfer zur Stelle gewesen sein, sodass sie vermutlich deshalb keine Chance hatten, die Koffer an sich zu nehmen. Die mussten sich verdrücken, damit sie nicht erkannt werden. Sonst hätte Stalin einige unangenehme Fragen beantworten müssen. Durch die Nähe zum Flughafen war auch die Flughafenfeuerwehr schnell zur Stelle. Dem Fahrer allerdings konnte niemand mehr helfen, der muss sofort tot gewesen sein.«
»Wie geht es Carl?«, wollte David wissen.
»Er ist schwer verletzt und wird wohl lange brauchen, bis er wieder halbwegs auf dem Damm ist.«
»Guten Morgen.« Ohne anzuklopfen betrat Patrick den Raum. Er war ein lockerer Typ, der sich nur begrenzt um Rücksichtnahme und Anstand kümmerte. Klopfen gehörte auf jeden Fall nicht zu seiner Art. Federnden Schrittes ging er auf die beiden zu und legte David einen Stapel Unterlagen mitten auf den Tisch.
»Da habt ihr den ersten Teil. Hat mich zwei Tage und Nächte gekostet, aus dem Altpapier noch was rauszuholen. Ich hab‘s kopieren lassen, sodass ihr mit den Kopien arbeiten könnt, ohne sie mit Samthandschuhen anfassen zu müssen.«
David griff sich einen Teil vom Stapel und sah ihn flüchtig durch. »Wie sieht‘s aus? Kann man die Informationen noch verwerten?«
»Also, was ihr hier seht, sind Kopien von dem, was noch halbwegs lesbar war. Da sind viele Textdokumente, also Berichte und Ähnliches dabei, einige Zeichnungen und Pläne von Raketen und eine Handvoll Briefe. Ich habe mir die Kopien mal ein bisschen genauer angeschaut, allerdings ist mein Deutsch dann doch nicht so gut. Ob was Brauchbares dabei ist, kann ich nicht beurteilen. Ich habe einen Teil bereits zur Übersetzung gegeben, aber die wird auch ihre Zeit brauchen, da Fachbegriffe zur Raketentechnologie nicht gerade jedem bekannt sind.« Er begann, die restlichen Unterlagen auf dem Schreibtisch auseinanderzuschieben. »Eins ist mir aber aufgefallen. Das wollte ich euch noch zeigen«, sagte er, während er die Papiere durchsah. Das gesuchte Dokument fand er aber nicht. Dann blickte er zu David, der noch einige Kopien in der Hand hielt. Ohne zu fragen, nahm er sie ihm ab und blätterte darin herum. »Da ist es. Schaut euch das mal an.«
David und Frank drängten sich um Patrick, der das Dokument vor Ihnen auf den Schreibtisch legte.
»Das ist die Skizze einer Rakete und die sieht ähnlich aus, wie wir sie in jedem Buch über Raketen wiederfinden. Interessant ist aber das, was hier oben steht.« Er zeigt mit dem Finger auf die obere linke Ecke der Zeichnung. Dort stand der Begriff A10, gefolgt von dem Wort Amerika. »America schreibt man im Deutschen mit k statt mit c«, fuhr Patrick belehrend fort, »der Rest ist gleich, ist also einfach zu verstehen. Ob das nun der Name der Rakete darstellt oder das Ziel, zu dem diese fliegen soll, das herauszufinden wird jetzt eure Aufgabe sein.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf das Wort, dann wandte er sich um und wollte zur Tür. »Ach übrigens.« Er blieb kurz stehen. »Ich habe noch einige Dokumente im Labor, die - sagen wir mal - etwas mehr Aufmerksamkeit verlangen. Das wird noch ein bisschen dauern, aber ich denke, da kriegen wir noch was raus. Allerdings bleibt auch ein riesiger Berg mit Asche zurück. Sobald es was Neues gibt, lass ich wieder von mir hören.«
Damit ging er und ließ die Tür offen stehen.
David nahm die Skizze mit der Rakete in die Hand und betrachtete die Überschrift. »A10 Amerika«, sagte er in Gedanken versunken leise vor sich hin.
»Meinst du, die Deutschen haben bereits eine Rakete entwickelt, die bis nach Amerika fliegen kann?«
»Ich weiß es nicht.« David zog die Schultern hoch. »Aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass da was läuft. Wenn die Nazis dazu in der Lage sind, dann haben sie durchaus noch die Möglichkeit, diesen verdammten Krieg zu gewinnen, auch wenn wir mittlerweile einen großen Teil der von Ihnen besetzten Gebiete wieder befreit haben.«
David wurde still und Frank beobachtete ihn. In seinem Kopf arbeitete es, das konnte man ihm ansehen.
Im Büro herrschte absolute Stille, als David unvermittelt sagte: »Ich muss herausfinden, was sie vorhaben.« Und nach einer weiteren Pause ergänzte er: »Und ich werde das verhindern. Das bin ich Kate schuldig.«
Peenemünde, Freitag, 9. Juni 1944, 20:35 Uhr
Hans parkte den Wagen vor einem Haus, das sich nicht sonderlich von den anderen unterschied. Sein Blick streifte über die Häuserfronten in unmittelbarer Nachbarschaft.
Die Siedlung Karlshagen war in den dreißiger Jahren in kurzer Zeit von den Nationalsozialisten errichtet worden. Dabei ging es weniger um die Errichtung individueller Wohnhäuser, hierbei stand klar eine Mischung aus Zweckmäßigkeit, Kosten und Zeit im Vordergrund.
Hans stieg aus und zog den Reisverschluss seiner Jacke nach oben. Es war nicht kalt, durch den böigen Wind aber doch etwas ungemütlich. Dunkle Wolken zogen durch den Himmel und die Sonne nutzte jede Lücke zu einem beeindruckenden Schauspiel. Er ging die Stufen hinauf und blickte direkt in Augenhöhe auf die Hausnummer, deren schwarz lackierte Metallbuchstaben sich von dem braunen Holz der Eingangstür abhoben. Die Klingel befand sich rechts auf Höhe der Türklinke. Hans drückte sie, trat zurück und wartete. Die Vorhänge im Erdgeschoss waren zugezogen. Er vernahm Geräusche aus dem Inneren, kurz darauf wurde die Tür geöffnet.
»Schön, dass du da bist. Komm rein«, sagte die Frau in einer angenehm weichen und verführerischen Stimme.
»Hallo Ilse«, erwiderte Hans ihren Gruß.
Sie trat einen Schritt zurück. Im Flur nahm sie ihm die Jacke ab. »Ich hänge sie dir auf. Du kannst schon mal ins Wohnzimmer gehen.«
»Danke«, erwiderte Hans und ging nach rechts in den Wohnraum. Der Tisch war geschmückt mit drei brennenden Kerzen und einem Blumenstrauß, der vermutlich vor einer Stunde noch auf irgendeiner Wiese geblüht hatte, so frisch wirkte er. Die beiden, im rechten Winkel zueinanderstehenden, Sofas waren mit einem braunen Stoff bezogen, der an manchen Stellen schon etwas abgenutzt war. Dazwischen stand ein kleiner Ecktisch mit einer elektrischen Lampe. Hans sah zum Esstisch vor dem Fenster. Er war mit zwei Garnituren gedeckt, deren Teller verrieten, dass es vor dem Hauptgang noch eine Vorspeise geben musste. Die Gläser deuteten auf einen Rotwein hin. Auch hier brannte eine Kerze.
»Wenn du möchtest, kannst du dich schon mal setzen, ich bringe gleich die Suppe«, sagte die Frau, nahm die beiden Suppenteller vom Tisch und verschwand mit einem Lächeln im Gesicht in der Küche. Hans beobachtete, wie sie den Raum verließ. Ihre weiße Bluse kombiniert mit einem braunen Rock gefiel ihm, doch war ihm das vorwiegend in Braun gehaltene Wohnzimmer zu trist. Lediglich die frischen Blumen brachten etwas farbliche Abwechslung, konnten aber gegen die vielen Brauntöne nicht ankommen. Hans setzte sich an die rechte Tischseite. Auf den Platz, an dem er immer saß, wenn er hier war. Sein Blick führte ihn zum Regal an der Wand, das mit Büchern, Bilderrahmen und mehreren dekorativen Gegenständen gefüllt war.
»Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht.« Die Frau stellte die beiden Suppenteller ab und setzte sich. »Ich wünsche dir einen guten Appetit.«
»Ilse«, sagte Hans, nachdem sie eine Weile stillschweigend gegessen hatten. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh und glücklich