Название | Der Nagel |
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Автор произведения | Rainer Homburger |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738043747 |
Frank spürte sofort, wie es ihm die Kehle zuschnürte. »Man müsste die Trümmerteile mit denen der bei uns runtergegangenen Fluggeräte vergleichen«, gingen ihm Davids Worte noch einmal durch den Kopf. Ihm schwante Fürchterliches. David wird ihn doch nicht schon wieder nach Schweden schicken wollen. Er war gerade erst zurückgekommen und hatte niemandem anvertraut, mit wie viel Angst er diese beiden Flüge überstanden hatte. Wie viel Schweiß hatte ihn das alles gekostet, als er stundenlang in dem eiskalten Flugzeug gesessen hatte, nachdem der Pilot zum ersten Mal deutsche Flugzeuge am Himmel ausgemacht und dies durchgegeben hatte. Sie hatten Glück gehabt, dass sie in der tief hängenden Wolkendecke verschwinden konnten, bevor sie entdeckt wurden. Stockholm ist eine schöne Stadt, aber mit Sicherheit wäre ihm jede Stadt schön vorgekommen, die nicht durch die vielen Zerstörungen, Vorsichtsmaßnahmen und kriegsbedingten Einschränkungen ihren Reiz verloren hatte. Natürlich spürte man auch in Stockholm, dass sich fast die ganze Welt im Krieg befand. Aber hier konnte man abends in beleuchteten Gassen zu den überall geöffneten Kneipen und Restaurants gehen und wer wollte, konnte noch ein richtiges Nachtleben genießen, wie es vor dem Krieg auch in London möglich gewesen war. Er hatte die Tage in Stockholm genossen und versucht, den Krieg einfach zu vergessen. Leicht war es nicht gewesen, zumal er sich tagsüber in der britischen Gesandtschaft und verschiedenen schwedischen Ministerien aufgehalten hatte, bis die endgültige Übergabe der noch verbliebenen deutschen Dokumente ausgehandelt und durchgeführt war. Darüber hinaus hatte er jede Nacht einen harten Luftkampf mit Messerschmitt-Jägern zu bestehen gehabt, deren Niederlage er jedes Mal kurz vor dem Abschuss entging, indem er schweißgebadet aufwachte. Trotzdem erlebte er ein paar wunderschöne Stunden in einem kleinen, netten Lokal, in das ihn der britische Gesandte eingeladen hatte. Das Essen war köstlich gewesen. Wie lange schon hatte er nicht mehr ein so gutes Fleisch gegessen, dazu knackiges Gemüse und Nudeln. Wie lange war es schon her, seit er so schöne junge Frauen auf der Bühne gesehen hatte, die nur leicht bekleidet zu einer ihm bekannten Musik getanzt hatten. Der Abend war einfach wundervoll gewesen, auch wenn nachts wieder die Kugeln der deutschen Jäger durch das Cockpit pfiffen.
»Wenn wir feststellen könnten, dass dort ganz andere Trümmerteile herumliegen, wüssten wir zumindest, dass es sich hier um eine weitere Waffe der Deutschen handelt«, hörte Frank David sagen. Er schluckte kräftig und versuchte, den Kloß im Hals in seinen Magen zu befördern, auf dass ihm die Magensäfte den Gar ausmachen konnten.
Frank streckte sich. »Sollten wir nicht erst einmal versuchen, genauere Informationen von den Schweden zu bekommen? Wir wissen doch eigentlich noch gar nichts über die Explosion. Und wer sagt uns denn, dass die überhaupt von den Deutschen verursacht wurde?« Frank schöpfte etwas Hoffnung und seine Stimme gewann an Selbstsicherheit. »Vielleicht sind ja auch die Russen dafür verantwortlich?«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte David und sah Frank dabei an.
Frank war überzeugt, dass David genau wusste, was in seinem Kopf vorging. Es kam ihm vor, als ob seine große Angst vor einem erneuten Flug nach Schweden mit leuchtenden Buchstaben und für alle sichtbar auf seiner Stirn zu sehen war. Er spürte, wie er anfing zu schwitzen.
»Die Russen sind auf dem Gebiet noch lange nicht so weit«, erwiderte David. »Die hängen doch in der Raketenentwicklung noch viel weiter zurück, als wir.«
David stand auf, stieß den Stuhl zurück und ging in langsamen Schritten durch das Büro. Er hielt den rechten Ellenbogen in der linken Hand, während er mit dem Daumen und Zeigefinger über das Kinn strich.
»Vielleicht hast du Recht. Lass uns erst noch mehr Informationen einholen. Unsere Gesandtschaft in Stockholm soll alle Hebel in Bewegung setzen und alles durchgeben, was über die Explosion von den schwedischen Behörden zu bekommen ist. Ich will jedes Detail haben, und sei es noch so unscheinbar.«
Frank stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und damit David den nicht als solchen erkannte, stand er auf und warf das Papier auf den Schreibtisch. Er straffte seinen Körper und mit fast übertrieben zur Schau gestelltem Eifer antwortete er: »Ich werde das sofort veranlassen.« Dann machte er auf der Stelle kehrt und ging mit schnellen Schritten auf die Bürotür zu, bevor David es sich noch anders überlegen konnte.
Dresden, Donnerstag, 27. Juli 1944, 22:30 Uhr
»Ist es nicht schön, wie sich die beiden freuen?«
Elisabeth lächelte, als er ins Schlafzimmer kam. Sie war froh, dass nur die kleine Lampe auf seiner Bettseite brannte, und er so ihr Gesicht nur schlecht erkennen konnte. Sie war sich sicher, dass er ansonsten ihr aufgesetztes Lächeln sofort durchschaut hätte.
Zum Glück waren sie den ganzen Nachmittag im Park gewesen. Hans hatte dort lange mit den Kindern gespielt, bevor sie dann im Schatten einer großen alten Eiche gegessen hatten. Die beiden hatten ihren Vater völlig in Beschlag genommen und ihm somit nie die Möglichkeit gegeben, sie zu fragen, was denn los sei.
Jetzt lag sie im Bett und sollte eigentlich froh sein, dass er da war. Aber sie konnte es nicht genießen. Jeder ihrer Muskeln schien unter Spannung zu stehen. Ihr Herz schlug deutlich schneller, während es ihr gleichzeitig die Atemwege verengte. Sie konnte sich nicht entspannen, die Angst war übermächtig. Sie wusste nicht, was sie erwartete. Was man von ihr wollte. Sie hatte schon viele Geschichten und Gerüchte gehört. Es war bekannt, dass die Nazis seit Jahren Menschen, die nicht in ihr Weltbild passten, einfach verschwinden ließen. Egal, ob sie einer fremden Religion angehörten, eine andere Hautfarbe oder politische Gesinnung hatten. Die Menschen wurden gedemütigt, ausgegrenzt, verloren ihre Arbeit, ihr Hab und Gut und viele auch ihr Leben. Und dann die Juden. Von Nachbarn und Freunden hatte sie schon einiges gehört darüber. Über das Schicksal, das ihnen offiziell zuteilwurde, genauso wie das, was in Wirklichkeit geschah. Sie wurden deportiert und nur ein Teil kam tatsächlich zum Arbeitseinsatz. Viele in Konzentrationslager, die sie nie wieder lebend verlassen würden. Einige der verbliebenen Juden aus ihrer Stadt hatten kürzlich einen Brief erhalten, der sie aufforderte, etwas Gepäck für eine kurze Reise herzurichten und sich zu einem bestimmten Termin an einem angegebenen Ort einzufinden. Ein Brief, der endgültig den Anfang vom Ende für sie darstellte.
Sie fing an zu zittern, als sie den Kopf in Hans Richtung drehte und ihm dabei zusah, wie er sich vor dem großen, braunen Schrank auszog, die Kleidungsstücke locker über den Stuhl warf und dann in seinen kurzen Schlafanzug schlüpfte.
Sie hatte heute auch einen Brief bekommen. Dass sie den Erhalt quittieren musste, fand sie schon ungewöhnlich. Sie war so aufgewühlt gewesen, dass sie nicht wusste, was sie tun sollte und hatte ihn einfach in den Küchenschrank gelegt. Ungeöffnet. Sie hatte Angst davor gehabt, etwas zu lesen, was sie nicht lesen wollte. Der Brief war an sie persönlich gerichtet. Der Absender auf der Rückseite hatte ihr das Blut in den Adern stocken lassen.
Gestapozentrale Dresden, Bismarckstr. 16 – 18.
Sie kannte die Bismarckstraße beim Dresdner Hauptbahnhof, das ehemalige Hotel Continental, in dem sich jetzt die Zentrale der Geheimen Staatspolizei befand. Jeder kannte es und sie war froh, das Gebäude noch nie von innen gesehen zu haben.
Zwei Stunden hatte es gedauert. Zwei Stunden, in denen sie nicht wusste, was mit ihr geschah. Dann hatte sie den Umschlag wieder aus dem Schrank geholt und mit zittrigen Fingern geöffnet. Der Brief enthielt nur wenige Zeilen, die sie aufforderten, sich am nächsten Tag, um vierzehn Uhr in der Gestapozentrale zur Klärung einer wichtigen Reichsangelegenheit einzufinden. Unterschrieben war er von Kriminalkommissar Henry Schmidt. Seine krakelige Unterschrift saß rechts unten neben dem Stempel mit dem Reichsadler, dem Hakenkreuz und einem allgegenwärtigen Heil Hitler. Aber die Aufforderung zum Packen fehlte ebenso wie ein Hinweis auf den Grund. Sie war so froh gewesen, als bald darauf die Kinder nach Hause kamen und sie gemeinsam Hans vom Flughafen abholten, sodass sie etwas Ablenkung fand.
Hans nahm einen kleinen Anlauf und sprang leichtfüßig über den hinteren Bettrand auf seine Seite. Im Raum stand noch die schwülwarme Luft des vergangenen Tages, der die Dresdner mit einer strahlenden Sonne unter einem blauen Himmel verwöhnt hatte. Obwohl sie lange Zeit die Fenster geöffnet hatten, krallte sich die Hitze unvermindert