Название | Der Nagel |
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Автор произведения | Rainer Homburger |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738043747 |
»Ach du, Fritz.«
Hans zögerte. Eigentlich wollte er auf sein Zimmer und packen. Und davor noch bei Elisabeth anrufen.
»Na, komm schon«, forderte ihn Fritz auf. »Wer weiß, ob wir uns je wiedersehen. Unser Auslaufen wurde um eine Stunde vorverlegt. Zeit für einen kleinen Drink bleibt aber noch.« Er hob seine Schultern, legte den Kopf schief und sah Hans fordernd an.
»Du hast Recht, wer weiß schon, wie die Zukunft aussieht. Vielleicht werfen sie dich ja auch über Bord, wenn sie erst einmal festgestellt haben, wie du wirklich bist.« Hans grinste.
»Wann musst du auf dem Boot sein?«, wollte Dieter wissen.
»Spätestens um neun müssen alle an Bord sein, um elf geht‘s dann los. Man vermutet, dass die Engländer von unserem Auslaufen erfahren haben, daher starten wir eine Stunde früher.«
Hans beneidete Fritz absolut nicht. Fritz ging mit drei weiteren Ingenieuren ebenfalls an Bord des U-Boots und war dafür verantwortlich, dass bei diesem wichtigen Einsatz alles reibungslos über die Bühne ging. Zumindest was die Rakete betraf.
Packen und daheim anrufen kann ich morgen früh auch noch, dachte er, wir fliegen ja erst um elf zurück.
Fritz legte Hans den Arm um die Schulter und drehte sich dann mit ihm zusammen zu den anderen Ingenieuren um.
»Wer geht noch mit?«, fragte er in die Runde. »Einen kleinen zum Abschied?« Das vielfältige Gemurmel unter den Kollegen klang nach allgemeiner Zustimmung.
»Na, dann los«, gab Fritz das Kommando und die Gruppe der Wissenschaftler zog durch den Gang, den vorhin noch Großadmiral Dönitz durchschritten hatte, dem Ausgang entgegen. Außer ihnen war mittlerweile niemand mehr im Raum.
Hans nahm im Augenwinkel wahr, dass zwei dunkle Gestalten aus dem Schatten der Tür traten und stehen blieben. Die Männer trugen beide einen langen Mantel und graue Hüte.
Als sich die Ingenieure der Tür näherten, machte Fritz drei schnelle Schritte und setzte sich so vor die Gruppe, um als Erster durch die Tür zu gehen. Kaum war er durch, trat von der anderen Seite ein großer Mann in den Türrahmen, sodass Hans abrupt stehen bleiben musste und ihn überrascht anstarrte.
Er wurde von hinten angerempelt, fing sich aber schnell wieder und konnte noch verhindern, dass er nicht das Gleichgewicht verlor. Stimmen hinter ihm riefen etwas. Sein Magen drehte sich urplötzlich und nach einem Moment, der ihm ewig lang vorkam, fragte ihn der Mann: »Hans Friedel?«
Eine weitere Windung des Magens ließ einen üblen Geschmack in seinem Mund aufkommen. Er schluckte, um ihn loszuwerden, dann nickte er.
»Sie sind verhaftet!«
London, Freitag, 2. Juni 1944, 19:11 Uhr
»Das gibt‘s doch nicht!«
David knallte den Hörer auf die Gabel. Seit zwei Tagen versuchte er nun, Informationen aus Stockholm zu bekommen. Entweder kam er erst gar nicht zur britischen Gesandtschaft durch oder diese hatten immer noch nichts Neues für ihn. Das Einzige, was man ihm bisher mitteilen konnte, war, dass das Flugzeug mit Carl planmäßig in der schwedischen Hauptstadt gelandet war. Mehr auch nicht. Er ließ sich in seinen Stuhl fallen, nahm einen Bleistift in die Hand und klopfte damit auf den Tisch.
Tock, Tock, Tock.
Was kann da passiert sein?
Tock, Tock, Tock.
Er ging noch einmal alles durch. Carl war planmäßig in Stockholm gelandet. Die Deutschen konnten nichts bemerkt haben, sonst hätten sie ihn nicht ausreisen lassen. Irgendetwas musste schiefgelaufen sein. Die Regierung in Stockholm hatte ihm zugesichert, dass er die Papiere umgehend erhalten würde, sobald sie diese im Außenministerium kopiert hatten. Es gab also nur zwei Möglichkeiten. Carl war ohne die Unterlagen gekommen oder die Informationen waren bei den Schweden und die rückten sie nicht raus. Warum auch immer.
Tock, Tock, Tock.
Sein Blick fiel auf das Foto auf dem Schreibtisch und er betrachtete es einige Sekunden lang.
»Meine Kate«, sagte er leise, beugte sich schwerfällig vor und nahm das Bild in die Hand. Eine hübsche Frau in der zweiten Hälfte der Dreißiger mit langen blonden Haaren lächelte ihn an. Sie saß auf einer Bank am Ufer der Themse und hatte ihren Arm um ein Mädchen gelegt. Er fuhr mit dem Zeigefinger langsam über den Kopf von Kate und dann weiter zu seiner Tochter. »Linda.« Eine Träne rann ihm über die Wange. Wie lange ist es jetzt schon her? überlegte er und rechnete nach. Drei Jahre und drei Wochen. Er schloss die Augen und löste damit weitere Tränen aus, die ihm über das Gesicht liefen.
Es war am 10. Mai 1941 gewesen, beim letzten großen Luftangriff der Deutschen auf die britische Hauptstadt vor deren Angriff im Osten. David war auf dem Heimweg, als sie von den Sirenen überrascht wurden. Das Geheule war noch nicht verstummt, als bereits die ersten Bomben fielen. Gerade als sie in ihr Viertel einbogen, erwischte eine Bombenserie die gesamte Straße. Davids Wagen wurde von der Druckwelle in die Luft gehoben und blieb völlig zerstört auf der Seite liegen. Es gelang ihm, sich aus dem Wrack zu befreien. Er hatte neben mehreren Prellungen nur leichte Schnittwunden abbekommen. Sein Fahrer war halb aus dem Fenster geschleudert und von dem auf die Fahrerseite fallenden Wagen zerquetscht worden. Er musste auf der Stelle tot gewesen sein. David starrte entsetzt auf die Reste eines menschlichen Körpers, die unter dem Auto hervorschauten und in einer riesigen Blutlache lagen.
Dann drehte er, noch ganz benommen, den Kopf in Richtung der Straße, in der er bis vorhin mit seiner Familie gewohnt hatte. Soweit er zwischen dem Rauch und den auf beiden Seiten lodernden Flammen erkennen konnte, stand kein Haus mehr.
Den Mund halb offen, die Augen vor Entsetzen weit geöffnet, durchfuhr es ihn wie ein Blitz.
»Kate«, kam es ihm aus der Kehle. »Kaaaate«, schrie er und rannte los. Er stolperte über die Steine, stürzte, rappelte sich mühsam wieder auf und kämpfte sich weiter durch den beißenden Rauch auf ihr Haus zu. Er stürzte erneut und schlug mit dem Gesicht hart auf der Straße auf. Ihm wurde schwarz vor Augen, der Schmerz in seinem Kopf war grauenvoll, dann verlor er das Bewusstsein.
Er wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte, bis ihm ein stechender Schmerz das Bewusstsein zurückbrachte. Er blieb noch einen Moment regungslos liegen, bevor er langsam die Augen öffnete. Neben ihm lag jemand und sah ihn an. Das Weiß um die Pupille war klar und rein. Das Auge fixierte ihn aus einem ansonsten völlig verkohlten Kopf heraus. Die Haut hatte sich vom Fleisch gelöst und hing in Fetzen herab. An manchen Stellen waren noch die gekräuselten Reste der Haare erkennbar und kleine Rauchfahnen stiegen von dem verbrannten Fleisch auf. Ein entsetzlicher Gestank fuhr ihm in die Nase.
Entsetzt rappelte er sich auf und stolperte hinkend auf den Block zu, indem sie ihre Wohnung hatten. Das Haus stand in Flammen, die obere Hälfte war eingestürzt. Davor entdeckte er zwei Leichen. Er sah sich suchend um, sein Blick glitt über die beiden toten Körper, suchten etwas Vertrautes, etwas, das er kannte und er war erleichtert, als er nichts dergleichen finden konnte. Dunkler Rauch blies ihm ins Gesicht. Seine Augen brannten wie Feuer. Er kniff sie zusammen und fuhr sich mit beiden Händen über sein rußverschmiertes Gesicht, in der Hoffnung, dadurch die Schmerzen etwas zu lindern. Er ging ein paar Schritte weiter, dann sah er zwischen den Rauchschwaden einen alten Mann, der auf dem Boden saß. Der Mann hatte einen großen Sack vor sich liegen. Vermutlich waren darin einige persönliche Dinge, die er retten konnte. David ging auf ihn zu. Beide Augen tränten und er versuchte zu erkennen, ob es der Mann war, der neben ihnen gewohnt hatte. Einer, der immer nett und hilfsbereit gewesen und Kate geholfen hatte, wann immer es notwendig war.
Das Stechen in seinem Oberschenkel wurde stärker. Er zog das Bein nach, als er schlurfend auf den Mann zuging.
Der Alte sah ihn aus einem geschwärzten Gesicht an. Dann ließ er seinen Kopf langsam wieder sinken.
David hatte ihn erkannt, es war William. Sein