Der Nagel. Rainer Homburger

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Название Der Nagel
Автор произведения Rainer Homburger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738043747



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die Kinder, das Haus in Berlin, in dem er aufgewachsen war, seine Mutter und in einer leichten Unschärfe auch sein Vater, der ihm lächelnd die Hand entgegenstreckte. Dann sah er sich als Jugendlicher, auf dem Friedhof stehend, vor einem mit Blumen geschmückten Grab. Es war das seines Vaters.

      »Achtung!«

      Auf einen Schlag verstummten die Gespräche. Für eine Sekunde waren lautes Poltern und das Rutschen von Stühlen auf dem Holzboden zu hören, dann war es still im Raum. Die U-Boot-Männer standen regungslos in wie mit dem Lineal gezogenen Reihen. Auch die Wissenschaftler waren von ihren Stühlen aufgesprungen, nur konnte bei Ihnen nicht von geraden Linien gesprochen werden.

      Zwei Marinesoldaten betraten den Raum und stellten sich zu beiden Seiten der Eingangstür auf. Es war totenstill. Durch den Eingang drang das Geräusch von sich nähernden Stiefelschritten. Dann erschien ein mittelgroßer Mann. Er blieb einen Moment im Schatten des Türbogens stehen und die Soldaten neben der Tür nahmen Haltung an. Sein dunkler Mantel schluckte die diesige Beleuchtung fast komplett, sodass die Person selbst kaum zu erkennen war. Doch das Licht reichte aus, um von den Abzeichen und Emblemen der Uniform in einer gespenstischen Weise reflektiert zu werden. Über allem thronte der goldfarbene Reichsadler, darunter das Eichenlaub und die doppelreihigen Lorbeerblätter. Rechts und links leuchteten die Schulterstücke. Der Reverskragen war gerade noch als dunkelblau auszumachen, zu beiden Seiten zierten jeweils vier goldene, übereinander angebrachte Knöpfe die Mantelvorderseite. Am unteren Ende der Ärmel zeugten, für jeden sichtbar, ein breiter und vier schmale Ärmelstreifen mit einem darüber liegenden Stern mit fünf Spitzen von dem hohen Rang, den der Besucher innehatte. Zu guter Letzt war noch ein Teil des goldenen Griffs des Marschallstabs zu erkennen, den er in der rechten Hand trug.

      Dönitz ging durch den Saal, der jeden einzelnen seiner Schritte zu verstärken schien. Als er auf Höhe der ersten Reihe angekommen war, trat der Kapitänleutnant vor und legte den rechten Arm an die Mütze.

      »Herr Großadmiral. Ich melde die Mannschaft von U-2500 vollzählig angetreten.«

      »Danke, Herr Kapitänleutnant«, erwiderte Dönitz und gab ihm die Hand. Dann ging er zum Rednerpult. Die Marineoffiziere, die ihm gefolgt waren, stellten sich versetzt hinter ihn. Sein Mantel war mit kleinen Wassertropfen übersät. Wie es aussah, hatte es draußen zu regnen begonnen.

      Dönitz legte die Mütze auf das Pult, dann ließ er seinen Blick über die im Raum versammelten Männer wandern. Hans erschien es, als würde er jeden Einzelnen mustern. Er nahm sich Zeit, dann nickte er und die Männer setzten sich auf ihre Stühle.

      Hans war gespannt, aufgeregt und stolz zugleich. Ein Gefühl, das sich immer bei ihm einstellte, wenn er hochgestellte Persönlichkeiten des Reichs traf.

      Dönitz hatte das Amt des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine 1943 von Großadmiral Raeder übernommen. Er hatte auf einer kleinen Insel, ganz in der Nähe der KEROMAN Bunker, eines seiner Hauptquartiere mit dem Codenamen Berlin, das er gelegentlich nutzte.

      »Männer der deutschen U-Boot-Waffe, deutsche Wissenschaftler und Ingenieure«, begann er. »Als wir im Jahre 1939 den Kampf gegen die Westmächte aufgenommen haben, sind wir mit einer kleinen und beschaulichen U-Boot-Flotte in den Krieg gezogen. Und trotzdem hatte sie damals schon beachtliche Erfolge aufzuweisen. Der Ausbau der U-Boot-Waffe führte dazu, dass wir im letzten Jahr die höchsten Versenkungsziffern innerhalb eines Monats erreicht haben.« Er machte eine kurze Pause, um die Wirkung seiner Worte zu unterstreichen. »Aus dem Krieg, der gegen England und Frankreich begann und mit einem glorreichen Sieg über Frankreich fortgesetzt wurde, ist ein globaler Kampf geworden. Unsere Flotte, allen voran die U-Boote, kämpft heute auf vielen Ozeanen gegen Gegner, die versuchen, Deutschland niederzuringen. Doch dazu wird es nicht kommen. Man muss aber zugeben, auch unsere Feinde haben dazugelernt und neue Abwehrmaßnahmen entwickelt.«

      Damit spielt er sicher auf die vielen Misserfolge und Verluste der letzten zwölf Monate an, ging es Hans durch den Kopf.

      »So sahen wir uns wiederum gezwungen, neue, schlagkräftigere Boote zu entwickeln, die vor allem in ihren Antriebsmöglichkeiten und der Geschwindigkeit wesentliche Verbesserungen aufweisen. Und wieder haben die Ingenieure eine hervorragende Arbeit geleistet. Mit den neuen Booten werden wir unseren Gegnern zeigen, mit wem sie es hier und heute zu tun haben. Mit ihnen ist auch in getauchtem Zustand die Verfolgung eines Geleitzugs problemlos möglich. Darüber hinaus wurde die Tauchzeit deutlich erhöht. Diese Waffe wird uns die Schlagkraft und Überlegenheit zurückgeben, mit der wir endgültig die Engländer aushungern und den Nachschub über den Atlantik unterbinden können.« Damit legte er eine Pause ein.

      »Ihr, die ihr hier vor mir sitzt, werdet die Ersten sein. Ihr seid dazu bestimmt worden, mit einem solchen neuen Boot an die Front zu fahren.«

      Erneut machte er eine kurze Pause.

      »Doch es ist nicht eure Aufgabe, Schiffe aufzuspüren und zu versenken. Eure Aufgabe ist es, eine Waffe zum Einsatz zu bringen, die die Welt bisher noch nicht gesehen hat. Eine Waffe, die unseren Gegnern das Fürchten lehren und die diesen heldenhaften Kampf unseres Volkes endgültig zugunsten Deutschlands entscheiden wird.«

      Er ließ seinen Blick über die Männer schweifen, deren Begeisterung ihn förmlich anzuspringen schien.

      »Ihr seid ausgewählt worden, weil ihr zur Elite der deutschen Marinesoldaten gehört und aus tiefster Überzeugung bereit seid, für unseren Führer und unser Vaterland den höchsten Einsatz zu bringen, den ein deutscher Mann bringen kann.«

      Hans musste schlucken, als er die Worte hörte.

      »Ihr habt die ehrenvolle Aufgabe, heute zu einem besonderen und historischen Auftrag aufzubrechen. Ihr seid ausgewählt worden«, wiederholte Dönitz, »um in dieser Stunde unserem Gegner einen Schlag zu versetzen, der den Kriegsverlauf entscheidend verändern wird. Seit vielen Jahren arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure im ganzen Reich an der Entwicklung von Waffensystemen, die alles bekannte in den Schatten stellen und uns völlig neue Möglichkeiten der Kriegführung eröffnen. Ihnen ist es gelungen, eine Waffe herzustellen, mit der wir in der Lage sind, unsere Gegner so wirkungsvoll zu bekämpfen, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein wird, bis der Sieg in diesem großen Kampf der Sieg Deutschlands ist.«

      Dönitz sah jetzt die Wissenschaftler an.

      »Ich möchte hiermit meinen Dank und auch den Dank des Führers an diejenigen aussprechen, denen diese Leistung gelungen ist und von denen einige hier anwesend sind.« Er nickte den Ingenieuren zu, dann wandte er seinen Kopf wieder den Soldaten zu. »Die Zeit ist nun gekommen, den entscheidenden Schlag in diesem heldenhaften Ringen Deutschlands auszuführen. Die Augen unseres Führers Adolf Hitler und des ganzen deutschen Volks sind nun auf euch gerichtet. Ihr werdet heute Nacht zu einem Einsatz aufbrechen, auf den noch eure Enkel stolz sein werden. In eurer Hand liegt nun das Schicksal unseres Volkes.«

      Er beendete seine Rede mit einem dreifachen »Sieg Heil«, trat einen Schritt zurück und hob seinen Marschallstab kurz an. Dann setzte er seine Mütze auf, wandte sich um und ging auf die Soldaten zu.

      Wieder erschallte ein »Achtung« durch den Raum und erneut sprangen die Soldaten und die Wissenschaftler auf.

      Der Kapitänleutnant führte seine rechte Hand an die Mütze, als der Großadmiral auf ihn zukam. Dönitz streckte ihm die Hand entgegen.

      »Herr Kapitänleutnant, ich wünsche Ihnen und ihrer Mannschaft viel Glück.«

      »Danke, Herr Großadmiral.«

      Dönitz schüttelte ihm kurz die Hand, dann hob er erneut den Marschallstab, drehte sich um und ging zur Eingangstür zurück. Seine Schritte hallten von der Decke wieder. Die Soldaten neben dem Eingang präsentierten ihr Gewehr. Ohne die geringste Bewegung standen sie sich gegenüber, als der Großadmiral den Raum verließ.

      Hans atmete erleichtert aus. Er war wieder unter großer Anspannung gestanden und spürte nun, dass er die ganze Zeit seine Finger in die Handballen gedrückt hatte.

      Lautes Stühlerücken ertönte aus dem Hintergrund, als ihm jemand eine Hand auf die Schulter legte. »Na, wie sieht‘s aus. Wollen wir zum Abschied noch einen trinken