Magistrale. Robert Lang

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Название Magistrale
Автор произведения Robert Lang
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753182247



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Katja mit einem „Stolitschnaja“, zurückkam. Er trank ihn hastig aus.

      „Danke.“

      „Was ist los mit dir, Igor?“

      „Ich glaube, ich habe Mist gebaut. Ich weiß gar nicht, wo ich zu erzählen anfangen soll.“

      Dann begann er seine Geschichte mit der Nachricht ihres verstorbenen Großvaters, dem gestohlenen Nuklearmaterial, der möglichen Bedrohung Frankfurts, erzählte von seinen gescheiterten Versuchen bei deutschen und amerikanischen Behörden, sein Wissen zu versilbern, beschönigte nichts und ließ auch seine letzte tollkühne Idee nicht aus, die Russen - ein klein wenig, wie er es nannte - bluten zu lassen.

      „Eines kapiere ich nicht. Ich habe gestern Morgen in unserer Bonner konsularischen Vertretung angerufen und denen die Speicherkarte angeboten, zu einem fairen Preis von“ - er hüstelte verlegen – „dreieinhalb Millionen Euro. Verstehst du? Erst gestern Morgen. Aber ich werde schon seit mindestens zwei oder drei Tagen verfolgt, da bin ich mir so gut wie sicher.“

      Sein Gesicht verfinsterte sich. „Das würde heißen, dass sie schon seit Tagen wissen, wer diese Informationen hat. Und woher können sie das wissen?“

      Katja begriff schnell. Wahrscheinlich hatten sie ihren Opa mit diesen Informationen erwischt und ihn getötet, um ihn am Reden zu hindern. Es war ein schlimmer Gedanke, aber er ergab sich auf so einfach wie eins plus eins zwei ergab.

      Das war sie also, die ganze Geschichte, abgesehen von der winzigen Kleinigkeit, dass sich die besagte Speicherkarte jetzt nicht mehr in Igors Besitz befand, sondern in dem seiner ahnungslosen Schwester. Der kleine Glücksritter hatte einfach Angst, von diesen schrägen Typen, die ihm auf den Fersen waren, mit dem kostbaren Chip erwischt zu werden. In diesem Falle wäre nämlich das schöne Geld beim Teufel. Weiter dachte er nicht.

      *

       Frankfurt-Rödelheim

      Als er seine Schwester verließ, warteten sie schon vor dem Haus auf ihn, und weil sie zu viert waren und ihn von allen Seiten einkreisten, hatte er keine Chance zu fliehen. Sie geleiteten ihn zu einem Mietwagen, schoben ihn hinein und nahmen ihn auf der Rückbank zwischen sich.

      Die Fahrt dauerte keine zehn Minuten, dann hielten sie vor einer großen Backsteinhalle ohne Beleuchtung und mit eingeworfenen Fensterscheiben. Sie stiegen aus und gingen über Glasscherben, Müll und alte Zeitungen hinweg zu einer halb offenstehenden Seitentür, die windschief in den Angeln hing. Der Ältere – offenbar der Chef der Bande – knipste eine Taschenlampe an und leuchtete die Ecken der Halle aus, worauf ein paar fette Ratten sich gestört zeigten und in Löchern verschwanden, die dem Blick der Männer entzogen waren.

      In der Mitte der Halle stützte ein Stahlträger die hohe Decke, genau richtig für die Zwecke der Agenten, mit denen und mit deren Methoden sich niemand offiziell schmücken wollte. Sie stellten ihren Gefangenen mit dem Rücken gegen den Pfeiler und banden ihn mit einem Lederriemen um die Brust und einem zweiten um den Hals daran fest. Der konnte sich jetzt nur noch selbst wehtun, wenn er sich zu heftig bewegte.

      Während der ganzen Zeit wurde kein einziges Wort gesprochen, und Igor wagte nicht einmal zu fragen, was diese Männer von ihm wollten. Er wusste es nur zu gut.

      Jetzt übernahm der Älteste der vier das Wort, mit trügerisch sanfter Stimme. „Du kennst das sicher aus dem Kino, mein Sohn, und ich kann dir verraten, alles, was sie in diesen Filmen zeigen, ist die reine Wahrheit.“ Sein Gefangener antwortete nicht; aber was sollte er auch darauf schon erwidern.

      „Wir haben zwei Bitten an dich“, säuselte der Mann. „Wir wollen den Informationsspeicher haben, sofern noch vorhanden, und wir wollen wissen, mit wem du dein Wissen geteilt hast. Je nach der Qualität deiner Antworten werden wir dich am Ende freilassen oder umbringen, das kommt ganz allein auf dich an.“

      Die Beiläufigkeit, mit er dies aussprach, trieb Igor eine Gänsehaut über den Rücken, obwohl er vor Angst schwitzte.

      „Die Spielregeln sind folgende: Ich werde dich etwas fragen, und wenn deine Antwort mich zufrieden stellt, dann gehen wir zur nächsten Frage über. So kommen wir am schnellsten voran. Bin ich allerdings aus irgendeinem Grund unzufrieden, dann wird dir unser Sergej mit dieser Keule einen Knochen brechen. Er ist auf so etwas spezialisiert. Wir fangen mit den Schienbeinen an, erst das eine, dann das andere. Danach arbeiten wir uns langsam und systematisch von dort aus nach oben vor. Bis ganz zum Schluss dein Schädel dran ist, was das Gespräch endgültig beendet. Was meinst du, wollen wir es so weit kommen lassen?“

      „Bitte lassen Sie mich gehen. Ich habe die Karte weggeworfen, nachdem ich den Inhalt gesehen und gemerkt hatte, dass er mich nichts anging.“

      Ein wahnwitziger Schmerz durchflutete seinen ganzen Körper, als sein linkes Schienbein in der Mitte durchbrach. Er schrie auf und meinte, sich übergeben zu müssen.

      „Das war kein guter Anfang“, flüsterte sein Peiniger, der jetzt so dicht vor Igor stand, dass der seinen Atem spüren konnte. „Ich hatte dich gewarnt.“ In Wirklichkeit tat ihm der Bursche Leid, aber das konnte er vor seinen Untergebenen nicht zeigen.

      „Es ist eine Speicherkarte, ich habe sie nicht bei mir, sondern in einem Versteck. Ich kann Sie hinbringen“, brachte Igor hervor.

      „Wo hast du diese Karte versteckt?“

      „Bei einem Freund in Bad Homburg, aber der ist im Moment nicht zuhause. Morgen kann ich dort hinfahren und sie holen, Ehrenwort!“

      Der SWR-Mann lächelte freundlich. „Das würdest du mit deinem lädierten Schienbein gar nicht schaffen. Und überhaupt, wann warst du denn bei diesem Freund und hast ihm die Karte gegeben?“

      „Vorgestern um die Mittagszeit.“

      Der Folterer sah hinüber zu seinem Schläger und nickte. Sekunden später, als sein rechtes Schienbein explodierte, stieß Igor einen langgezogenen Schmerzensschrei aus, der nach und nach in ein Wimmern überging.

      „Wir wollen doch bei der Wahrheit bleiben, mein Junge. Du hast in den letzten beiden Tagen keinen Freund besucht, nicht in Bad Homburg und auch nicht in Honolulu oder auf einem Planeten von Beteigeuze; wir haben dich lückenlos überwacht, du hast niemanden getroffen außer deinem süßen Schwesterchen, das wir uns als nächstes vornehmen werden.“

      Das war ein Bluff, denn sie hatten natürlich nicht gewagt, das Studentenwohnheim zu betreten und sein Zimmer vom Flur aus zu beobachten. Das war zu plump und der Junge konnte deshalb innerhalb des Wohnheims durchaus unterwegs gewesen sein, ohne dass sie davon wussten.

      Aber Igor in seiner Agonie schluckte die Lüge.

      Sie brachen ihm noch beide Kniescheiben und einen Beckenknochen, dann fiel Igor in eine gnädige Ohnmacht, aus der er nicht mehr aufwachen sollte. Denn, als er die nächste Frage des Anführers nicht beantwortete, drehte dessen übereifriger Genosse durch und schlug mit dem Holzknüppel, der Ähnlichkeit mit einem Baseballschläger hatte, mit voller Wucht zu und brach dem Gefangenen damit nahezu sämtliche Rippen der linken Körperhälfte, was in diesem Fall das Verhör abrupt beendete, denn gleich mehrere Rippen bohrten sich in Igors Lungenflügel und er ertrank buchstäblich in seinem eigenen Blut, ohne die entscheidenden Aussagen gemacht zu haben.

      Der Vernehmer bekam ein en Wutanfall und warf sich schreiend auf den tumben Schläger, und wenn die zwei anderen Männer ihn nicht zurückgehalten hätten, hätte er diesen gottverfluchten Anfänger vielleicht sogar erdrosselt.

      Jetzt hatten sie nichts mehr in der Hand. Was noch blieb, war ein Einbruch in das Zimmer des Studenten, um seinen Computer zu untersuchen und – wenn das nichts einbrachte - ein Besuch bei seiner Schwester, die ihn als Letzte lebend gesehen hatte, und die vielleicht in diese Geschichte eingeweiht war.

      Als den Jägern bewusst wurde, wie wenige Optionen sie jetzt noch hatten, fluchten sie herzhaft über die vertane Chance. Aber der Fehler, den sie gemacht hatten, ließ sich auch durch Fluchen und Schimpfen nicht mehr rückgängig machen.