Magistrale. Robert Lang

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Название Magistrale
Автор произведения Robert Lang
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753182247



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geringfügige Diskrepanzen zwischen den erwarteten und ermittelten Mengen aufgetaucht sind. Dies ist aber völlig normal in diesem Stadium und bedeutet nicht, dass etwas fehlt.“

      Der Präsident schaute in die Runde, um die Wirkung seiner Worte in den Gesichtern seiner Untergebenen abzuschätzen.

      „Zweitens, was werden Sie mit dem Jungen in Deutschland anstellen, wenn Sie ihn erwischt haben?“

      „Das wollen Sie nicht wissen, Herr Präsident.“

      *

       Fort Meade, Maryland, NSA-Zentrale

      „Ich habe da etwas auf dem Schirm“, sagte Bernie Noakes zu seinem Nachbarn, der im Augenblick Pause hatte und die Zeit mit einem Computerspiel totschlug.

      Bill hatte diesen Job nach 9/11 ergattern können, weil er fließend Hocharabisch, Persisch (Farsi und Dari, das war neben dem Iran essentiell für Afghanistan, wo US-Streitkräfte engagiert waren) nicht nur sprach, sondern auch lesen konnte, sowie eine rudimentäre Kenntnis einiger weiterer mittelasiatischer Dialekte besaß.

      Man hatte aus den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon gelernt - Anschläge, die möglicherweise nicht hätten stattfinden können, wenn NSA, CIA und FBI damals die Sprache der Terroristen beherrscht und besser zusammengearbeitet hätten.

      Heute hatte man zwar immer noch zu wenige Mitarbeiter mit mittelöstlichen Sprachkenntnissen, aber man hatte aufgeholt, was die Überwachung von Telefonaten, E-Mails und Bankkonten verdächtiger Personen anging.

      „Dieser Danilow, von dem ich dir erzählt habe“, sagte Noakes, „der mit den knapp zwölf Millionen in der Karibik. Der ist vor drei Tagen von St. Petersburg – nein, nicht das in Florida – über London auf Cayman Islands geflogen. Er hatte drei Mann vom SWR im Schlepptau, es gab jedenfalls eine gemeinsame Buchung für vier Personen. Wir kennen diese Brüder, die sind ziemlich unappetitlich. Wir wissen von mindestens sechs Hinrichtungen, die sie im europäischen Ausland durchgeführt haben, die spektakulärste vor drei Jahren in Paris, wo…“

      „Komm zur Sache, Brüderchen.“ Bernie konnte einem auf die Nerven gehen, weil er immer endlos weit ausholte.

      „Tja, drei von den vier Typen sind heute Nachmittag zurückgeflogen. Nur Danilow ist dort geblieben.“

      „Na, und? Vielleicht macht er noch ein bisschen länger Urlaub. Leisten kann er sich’s ja jetzt, nicht wahr?“

      „Eben nicht.“ Noakes sah ihn triumphierend an. „Der Junge ist so gut wie pleite. Er hat vor drei Tagen fast den kompletten Betrag an eine uns seit langem bekannte Scheinfirma in Genf überwiesen. Den Rest hat er in bar abgehoben, aber das waren nur noch etwas über fünfzigtausend. Davon lässt es sich im Ausland nicht allzu lange leben.“

      „Die Frage ist doch eher, warum die drei Agenten ihn nicht wieder mit nach Hause genommen haben, sobald die Kohle überwiesen war. Glaubst du ernsthaft, die lassen den laufen?“

      „Hm…eher nicht, also ist zu vermuten, dass er das Zeitliche gesegnet hat; aber was das Ganze überhaupt soll, ist mir schleierhaft. Das Geld kam doch ursprünglich aus Saudi-Arabien, oder?“

      „Du sagst es, Brüderchen.“

      „Wenn ich dein Brüderchen wäre, hätte ich mir längst die Kugel gegeben. Aber bleiben wir dran an dieser Sache, interessant ist sie allemal. Was kann ein saudischer Prinz, dessen Land seine Waffen zu Sonderkonditionen von uns geliefert kriegt, von einem Russen wollen, das zwölf Millionen wert ist.“

      „Gute Frage. Meinst du, wir sollten das nach oben melden?“

      „Lass uns noch zwei oder drei Tage warten, vielleicht kriegen wir noch etwas Handfesteres rein.“

      *

       Naro-Fominsk, 75 km südwestlich von Moskau

      Die Fahrer hatten nichts zu tun, und das bekam ihnen nicht. Sie begannen Karten zu spielen und zu würfeln, zuerst, um die Langeweile zu vertreiben, später um Geld, und das schaffte in Verbindung mit viel und billigem Wodka alsbald Verdruss und Streit. Aber es kam nicht zum Ärgsten, weil beide wussten, dass sie aufeinander angewiesen waren.

      Sie hatten Glück im Unglück, denn als der Vermittler sie auf ihrem ersten von mehreren Handys erreichte (ein Handy, das gemäß der Anweisung des Arabers sofort nach dem Gespräch zerstört und entsorgt wurde, um seine Peilung unmöglich zu machen), befanden sie sich unweit des Städtchens Naro-Fominsk. Dort hatte ein Bekannter eines der Fahrer eine gemütliche kleine Datscha, auf der die beiden unterschlüpfen konnten. Und da der Besitzer und seine Frau vor Anfang Mai nicht dort aufkreuzen würden, weil erst dann die Zeit der Aussaat und der Auspflanzung begann, konnten sich die beiden Männer in dem Häuschen so lange verstecken, wie es nötig war.

      Von Nachteil war, dass die Datscha relativ weit außerhalb der Stadt lag, weshalb sie nicht zu Fuß einkaufen konnten. Sie mussten jedes Mal, wenn sie etwas brauchten, mit dem schweren Lastwagen zum nächstgelegenen Supermarkt fahren, was für allerlei Aufsehen sorgte, weil sie noch immer das Autokennzeichen des beinahe zweitausend Kilometer entfernten Tscheljabinsk an ihrem Truck führten.

      Einmal wurden sie von einem Milizionär angesprochen, als sie gerade das Geschäft verließen, und für eine Schrecksekunde sah es so aus, als wolle er sich ihr Fahrzeug genauer anschauen. Er hatte Glück, dass er es nicht tat, denn sie hatten vereinbart, jeden zu töten, der versuchen sollte, sie aufzuhalten. Sie wussten zwar nicht, was genau in den stets sehr warmen Röhren war, die sie schmuggelten, aber es war nicht schwer zu erraten, dass es etwas sehr Kostbares sein musste und dass sie für lange Zeit im Knast verschwinden würden, wenn man sie schnappte. Ihre Bezahlung sprach Bände, und für die jeweils fünfzehntausend amerikanischer Dollar, die sie bekamen, hätten sie auch diesen Polizisten erledigt. Kaum ein Menschenleben in Russland war so viel wert.

      *

       Bonn, Russisches Generalkonsulat

      Dimitrij A. Mejibowski war Diplomat mit Leib und Seele, doch manchmal wollte er am Leben verzweifeln, wenn er sah, was seine Landsleute an Unfug trieben.

      Wer konnte nur auf diese fürchterliche Idee verfallen sein, ihm dieses Pack, diese selbsternannte „Schwarze Brigade“ auf den Hals zu hetzen? Mehrmals schon hatte er beim Außenminister, seinem direkten Vorgesetzten, darum ersucht, ihn von diesen Kerlen zu verschonen; und jedes Mal hatte dieser ihm versprochen, sich beim FSB, beim SWR oder notfalls auch an allerhöchster Stelle dafür einzusetzen, solch tollwütige Hunde an der Kette zu behalten, wenn es um Auslandseinsätze ging.

      Es war bei den Versprechungen geblieben, und nun hatte er diese Kerle wieder am Hals und musste beten, dass sie ihn nicht auf deutschem Boden kompromittierten, wie das schon zweimal in den vergangenen drei Jahren geschehen war.

      Diesmal hatten sie ihm vier Mann geschickt, die in Deutschland nach einem russischen Landsmann fahnden sollten, und aus der gefaxten Ankündigung ihrer Ankunft hatte er zwischen den Zeilen herauslesen können, dass es sich um einen Auftrag handelte, bei dem es blutig zugehen konnte - nein, würde - wenn sie den Betreffenden erwischten und dieser nichts zu seiner Entlastung vorzubringen hätte - was in guter Tradition nie der Fall war, wenn man den Akten glaubte.

      Das war jedoch nicht das Schlimmste an der Sache, russische Geheimdienste hatten über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte immer wieder im Ausland gemordet, und sie würden es auch bis in alle Ewigkeit tun, Entspannung hin oder her; der altgediente Diplomat machte sich diesbezüglich kaum Illusionen.

      Was ihn so entrüstete war, dass er - ein kompromissloser Mann des Friedens – diesen Totschlägern Hilfestellung leisten musste. Sie brauchten Waffen, Fahrzeuge, Hotelzimmer, Computerkapazität, all diese Dinge musste er sie für sie auf höchste Anweisung hin beschaffen.

      Er hatte keine Ahnung, welch armer Hund diesmal dran glauben musste, er wollte es nicht auch nicht wissen, denn physische Gewalt widerte ihn an und er mochte gar nicht darüber nachdenken, ob der zu Liquidierende nun schuldig war oder einfach