Dann stirb doch selber. Dagmar Isabell Schmidbauer

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Название Dann stirb doch selber
Автор произведения Dagmar Isabell Schmidbauer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783746794990



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Tod bereit hielt; er war ein Romantiker.

      Sylvia begann den Teig geschickt mit ihren Händen auf der Arbeitsfläche auszuziehen. Ich stand auf und sah ihr über die Schulter hinweg zu. Der Strudelteig wurde dünner und dünner, ließ sich in alle Richtungen ziehen, so wie ich, nur dass er sich nicht beklagte, nicht weinte und niemandem eine Szene machte. Und plötzlich fiel mir wieder ein, warum ich herübergekommen war.

      „Eigentlich wollte ich dir sagen, dass Harry euch auf den Arm genommen hat!“, erklärte ich hinter ihrem Rücken. „Ich verstehe ja euer Misstrauen, aber er hatte wirklich immer nur mich!“

      Sylvia zog weiter und weiter, schien mich gar nicht zu hören, und plötzlich klaffte in der Mitte ein großer Riss.

      „Was bist du doch naiv!“, nuschelte sie vor sich hin und versuchte das Loch zu stopfen.

      „Wie meinst du das?“

      „Ach vergiss es!“ Sie ließ von ihrem Teig ab und fischte aus dem Küchenschrank ein kleines Gläschen mit eben jenen Pillchen, die sie mir erst kürzlich so dringend ans Herz gelegt hatte. Mechanisch steckte sie zwei davon in den Mund und schluckte sie runter. Warum sie das tat, war mir völlig unklar, aber an Sylvia war manches unklar. Obwohl sie ihren burschikosen Typ noch kräftig mit einem kinnlangen Haarschnitt und einfacher Kleidung unterstrich, gab es immer wieder Anzeichen von rauschenden Nächten mit geheimnisvollen Liebhabern. Erst kürzlich hatte ein Blumenbote bei mir geklingelt und einen riesigen Strauß roter Rosen für Sylvia deponiert. Als ich ihn ihr später vorbeibrachte, konnte sie ihre Verlegenheit nur schwer verbergen, was eigentlich gar nicht zu ihr passte.

      „Kommt Harry jetzt nie mehr wieder?“, fragte Anna vom Tisch aus. Sie hatte uns die ganze Zeit beobachtet. Ich zog mir einen Stuhl heran und setzte mich neben sie. Anna hatte Harry sehr gern gehabt, und seit er ihr das Fahrrad geschenkt hatte, liebte sie ihn geradezu abgöttisch.

      Er wollte so gern ein eigenes Kind haben und bei ihm alles besser machen. Nun, das wollte ich auch, aber erst, wenn wir es uns auch wirklich leisten konnten und nicht mehr auf meinen Verdienst angewiesen waren. Anna schaute mich in echter Verzweiflung an.

      „Nein“, sagte ich, weil ich es nicht gut fand, wenn man kleine Kinder anlog, und außerdem hätte sie es früher oder später ja auch selbst herausgefunden. „Aber ich glaube, da, wo er jetzt ist, geht es ihm sehr gut.“

      „In echt, oder sagst du das nur?“

      Mir standen die Tränen in den Augen, nur mit viel Mühe konnte ich sie zurückhalten. Schließlich nickte ich heftig: „In echt, Anna!“

      12. Szene

      Klara

      „Jetzt sagen Sie nur, Sie haben bei dem schönen Wetter nichts anderes zu tun, Frau Eibel!“ Der alte Swoboda schob seine Brille auf der Nase zurecht und sah mich kritisch an. Man konnte ihm schlecht etwas vormachen. Swoboda war früher selber im Außendienst, bis ihn eine Kugel im Oberschenkel erwischte und er sich freiwillig in den Innendienst und schließlich in die Portiersloge zurückgezogen hatte. Geblieben war sein kriminalistisches Interesse.

      „Mir lässt der Verkehrsunfall keine Ruhe! Wie kann ein Sportwagen ein so großes Auto einfach so von der Straße drängen?“

      „Er war noch jung, was?“

      „Ja, das auch“, fügte ich hinzu und stieg die Treppe hinauf. Ich legte die Tasche auf den Schreibtisch und ließ den Computer anlaufen. Magdalena Morgenroth lebt in einem Märchenschloss, zu gut für diese Welt, dachte ich. Sie nahm doch tatsächlich einen Wollpulli mit ins Bett. Ich war überzeugt, das Mädchen musste noch viel lernen. Das Leben ist hart, und je schneller sie es kapierte, desto weniger tat es ihr weh. Obwohl wir Mütter Töchter bräuchten wie sie, das gäbe uns Grund zum Investieren.

      Bei Sylvia Nigl gab es keine besonderen Eintragungen. Sie arbeitete als Krankenschwester und hatte eine Tochter. Ich sah sie vor mir. Besonders interessant schien mir ihr Leben nicht zu sein. Oder irrte ich mich? Den Namen von Julia Fabriosa hatte ich noch nicht ganz eingegeben, da stürzte das Programm ab. Verdammt, seit wir das neue Datenprogramm benutzen, ging so viel schief. Ich versuchte es noch zwei Mal, dann gab ich auf. Immerhin war Sonntag.

      Im Hemingway´s war wenig los. Ich hatte gehofft, Obermüller zu treffen. Obwohl ich verheiratete Männer in der Regel mied. Sie jammerten gern und waren dann doch satt von ihren Familien. Aber allein der Gedanke an ihn zeigte mir, dass es an der Zeit war, mir mal wieder einen richtigen Kerl ins Bett zu holen. Egal, was die alte Schachtel dazu meinte. Also setzte ich mich an den Tresen und bestellte ein Bier, und weil dann noch immer kein richtiger Mann in Sicht war, noch eines.

      Montag 19.8.

      13. Szene

      Magdalena

      Gleich nach dem Erwachen begann ich Harry zu vermissen. Meine Hand wanderte ruhelos über das Kissen neben meinem, und um nicht noch mehr zu leiden, stand ich auf, nahm meine Vitamintabletten und spülte sie mit einem Glas Orangensaft hinunter. Dann ging ich ins Schlafzimmer und wählte aus meiner dezent-schicken Bürokluft ein besonders trostlos graues Kostüm. Einerseits schien es mir völlig unmöglich, unter Menschen zu gehen, andererseits brauchte mich mein Chef dringend. Automatisch griff ich nach der dazugehörigen Unterwäsche. Sie war ebenfalls dunkelgrau und bestand aus feiner Spitze, der Tanga zeigte viel Haut, und der BH gab meinen Brüsten eine knackige Form. Dazu gehörten dunkelgraue Strümpfe mit einem Rosentattoo an der rechten Fessel. Harry gefielen solche Dinge, sie machten ihn ganz verrückt! Ich setzte mich auf die Bettkante, betrachtete die feine Wäsche in meiner Hand und dachte daran, was passiert war, als ich sie das letzte Mal trug.

      „Na, wen willst du denn heute um den Verstand bringen?“ Harry war quer über das Bett zu mir gekrabbelt und hatte mich von hinten umarmt. Vorsichtig schaute ich mich um. Ich hatte das Gefühl, seine Hände wanderten in diesem Moment ganz leicht über meinen Körper und hinterließen einen heißen Schauer auf meinem Rücken. Ein Versprechen, das er für gewöhnlich einlöste.

      ... Als ich an diesem Abend heim fuhr, war ich vollauf zufrieden. Mein Chef hatte mir seine Privatrechnungen zum Buchen gebracht; das hatte er noch nie getan, er zeigte mir damit, wie viel Vertrauen er in mich setzte. Stolz hatte ich mich an die Arbeit gemacht, auch wenn es mich zwei Stunden meines Feierabends kostete. Auf der Treppe erst spürte ich wieder meine Müdigkeit. Wie wunderbar wäre es jetzt, die Schuhe von den Füßen zu kicken und in einer Wanne voll duftenden Schaumes zu versinken, malte ich mir aus und steckte den Schlüssel ins Schloss. Dann erschrak ich! Ich hatte noch keine Zeit gehabt, ihn umzudrehen, da öffnete sich die Tür bereits von innen. Aus dem Dunkel heraus ergriff mich eine Hand und zog mich hinein. Vor Schreck ließ ich meine Tasche fallen. Eine zweite Hand legte sich mir auf den Mund und brachte mich mit einem drohenden „Schsch!!!“ zum Schweigen. Gehorsam folgte ich. Der Mann war groß und kräftig und wusste genau, was er wollte. Mit geübten Fingern band er mir ein Tuch um die Augen, zog mir Jacke und Rock aus und führte mich ins Wohnzimmer. Ich fühlte mich schutzlos und gleichzeitig erregt. Es war eine wunderbare Mischung. Auf einmal blieb er stehen und drückte mich hinunter auf die Knie. Reglos wartete ich ab. Ich hörte das Rascheln von Stoff und das Öffnen eines Reißverschlusses, dann spürte ich eine zarte Berührung auf meinen Beinen und gleich darauf das heftige Schnalzen meiner Strumpfbänder. Meine Anspannung wuchs, bis ich an den Schultern gepackt und grob auf die Sitzfläche eines Stuhles gedrückt wurde. Vor Schreck und Lust schrie ich auf, spürte den Übergriff und ...

      Tief Luft holend versuchte ich mich wieder zu beruhigen. Mit weit geöffneten Augen saß ich noch immer auf dem Bett, die zarte Wäsche in der Hand, und versuchte verzweifelt, meine Erinnerung abzuschütteln. Ach Harry, dachte ich, wie soll ich nur ohne dich weiterleben?

      Energisch legte ich die Sachen in die Schublade zurück und wählte etwas Schlichteres. Alles andere wäre jetzt unpassend gewesen.

      Autofahren erschien mir an diesem Morgen als zu große Bedrohung; darum beschloss ich, den Bus zu nehmen. Bei einem letzten Blick in den Spiegel sah ich: Mein Anblick war grässlich. Die Augen zierten dunkle