Название | Dann stirb doch selber |
---|---|
Автор произведения | Dagmar Isabell Schmidbauer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783746794990 |
Nachdem ich meine Notizen dazu geheftet hatte, kam mir spontan die Idee, noch einmal Frau Morgenroth aufzusuchen. Sie und ihre kapriziöse Wohnung ließen mir keine Ruhe.
Beim Mittagessen hatte sich Obermüller vorsichtig nach ihrem Befinden erkundigt, und ich hatte ihm vorsichtig Auskunft gegeben. Der Speiseplan unserer Kantine war zweifellos im Winter geschrieben worden, darum aß ich nur einen Salat und ein belegtes Baguette. Obermüller haute rein. Zwischen zwei Bissen Schweinebraten mit Knödel erzählte er vom Fahndungserfolg. Er war gleich Null. Aber der Zeuge, der sich so gut mit Autos auskannte, hatte ihnen immerhin den Tipp gegeben, es bei den ansässigen Automobilclubs zu probieren. Ich vermied es zu sagen, dass sie selber daran hätten denken können.
Die Frau mit dem Kind war wie die meisten Zeugen. Wenn es darauf ankam, konnten sie sich nicht mehr so genau erinnern.
„Tja ein Fall wie viele. Wir werden irgendwann per Zufall den Wagen finden, den Halter feststellen, und wenn wir Glück haben, hat er kein Alibi!“ Obermüller schob sich das letzte Stück Apfelkuchen rein und fragte, ob er mir noch was mitbringen solle. Dankend lehnte ich ab. Ich sah noch eine andere Möglichkeit, der Sache auf den Grund zu gehen. Als Obermüller mit einem weiteren Apfelkuchen zurück kam, fragte ich ihn, ob er mir nicht einen Vorwand liefern könnte, um Frau Morgenroth noch einmal zu besuchen. Er warf einen Blick auf seine Uhr. „Mit ein bisschen Glück schickt die Spurensicherung heute noch die Auswertung vom Unfallfahrzeug.“ Er schob ein Stück Kuchen in den Mund und sprach dann undeutlich weiter: „Was willst du denn eigentlich damit erreichen?“
„Du meinst, sie haben im Auto Spuren gefunden, die uns weiterhelfen könnten?“
„Am Telefon sagten sie etwas von einer Haaranalyse, auf jeden Fall sind sie blond.“
„Du meinst, eine blonde Frau saß mit im Auto? Dann haben wir ja sogar eine Zeugin für den Unfallhergang!“
Aufgeregt beugte ich mich über den Tisch und wartete, bis er endlich geschluckt hatte.
Doch Obermüller schob noch ein weiteres Stück Kuchen in den Mund und zog ein nachdenkliches Gesicht. „Warum bist du so interessiert an dem Fall? Reichen dir deine Schwarzgeldkonten nicht mehr?“
17. Szene
Magdalena
Auf dem Heimweg lächelte mir plötzlich Bernhard, Harrys großer Bruder, entgegen. Nicht in echt, wie Anna sagen würde, sondern von einem Plakat. Im September standen in Bayern Wahlen an, und Bernhard kandidierte für das Amt des Landrates. Er wurde von den Wählerinnen und Wählern direkt gewählt, und insofern war es nur recht, dass er sich ein bisschen ins Zeug legte.
Für einen Landratsanwärter war er noch recht jung, aber das machte nichts, denn er war sein ganzes Leben darauf vorbereitet worden, sich in Amt und Würden richtig zu benehmen; so hatte es Harry zumindest erzählt.
„Schau ihn dir an, so mausgrau hat er schon seine Jugend verbracht!“ Wir lagen an jenem Tag nackt im Bett. Harry hatte ein Kissen hinter dem Kopf und ich lag auf seiner Brust. Wir waren noch ganz warm, hatten den Fernseher nur aus Zufall angemacht und dann gelacht, weil Bernhard so unvermutet auf der Bildfläche erschienen war.
„Der Erfolg gibt ihm recht“, antwortete ich klug und richtete mich ein wenig auf.
„Schon, aber um welchen Preis! Möchtest du vielleicht die langweilige Marielinde jeden Morgen neben dir im Bett liegen sehen?“
Ich dachte an Bernhards Gesicht und schüttelte den Kopf. „Weder sie, noch ihn“, erklärte ich und sah Harry kritisch an. „Da bist du mir schon tausendmal lieber!“ Ich kuschelte mich an seine Schulter und kämmte mit den Händen seine Haare nach hinten. „Bist du denn überhaupt nicht neidisch auf ihn?“ Harry war ganz schön eitel.
„Auf was? Auf sein Jurastudium oder auf seine Kinder?“ Er sah mich herausfordernd an.
„Ich weiß nicht, sag du es mir.“
„Magdalena!“, fuhr er streng fort, „Kinder möchte ich am liebsten ein halbes Dutzend, das weißt du, aber nicht seine. Ich brauche keinen Stammhalter oder ein Vorzeigeobjekt. Meine Kinder sollen glücklich sein, sollen spielen und sich dreckig machen können, ohne Angst vor dem nächsten Pressetermin!“
Ich stand immer noch unter dem Wahlplakat und dachte zurück. Es war ein schöner Nachmittag gewesen, und Harry hatte noch das eine oder andere von Bernhard und ihrer gemeinsamen Jugend erzählt. Von Streichen, die er ihm gespielt hatte, vom Lauschen an der Zimmertür, während seine Freunde bei ihm waren, und lauter solchen Sachen. Harry sagte, er sei zu dieser Zeit viel lieber mit seiner Kamera herumgelaufen und hätte alles fotografiert, was ihm vor die Linse kam. Immerhin war er fast zehn Jahre jünger als Bernhard.
Ein älterer Herr kam mir entgegen und schaute, was es da zu sehen gab. „Meine Stimme hat er“, sagte er und nuschelte im Weitergehen. „Ein prima Mann, wirklich ein prima Mann!“
Bernhard schien mit seiner Politik Erfolg zu haben. Er war sehr konservativ und versuchte den Menschen klar zu machen, wie wichtig ein starkes Land sei. Er bestand darauf, zuerst den eigenen Leuten Arbeit zu geben und erst dann über Zuwanderungsbedingungen zu diskutieren. Er verstand die Bewohner im Grenzgebiet und ihre Ängste um die Arbeitsplätze. Außerdem suchte er nach Möglichkeiten, der wachsenden Jugendkriminalität Einhalt zu gebieten. Harry teilte seine Meinung nicht, er war ein verspäteter Anhänger von Che Guevara, dem 1967 erschossenen Guerillaführer, und stand in seiner politischen Meinung weit links. Genau wie seine Mutter, die zwar voller Stolz von ihrem Ältesten sprach, aber genauso leidenschaftlich mit ihm stritt.
Am Bahnhof kaufte ich mir eine Tageszeitung und ein paar Zeitschriften zur Unterhaltung und ließ dann ihn und die Ausläufer des Stadtzentrums hinter mir. Begleitet von Bernhards aufgesetztem Lächeln lief ich die Straße entlang. Bald schaute ich nicht mehr nach oben. Er sah auf jedem Bild so aus, wie ich ihn bei meinem Antrittsbesuch im Hause Kaufmann kennen gelernt hatte: dunkler Anzug, Krawatte und akkurat gescheitelte, an den Seiten schon leicht ergraute Haare, dazu ein glatt rasiertes Kinn. Und auf manchen sah man sogar die distinguierte, in sanftes Aprikot gehüllte Ehefrau Marielinde.
Nachdem ich die Gleisanlage überquert hatte, ging ich zu Krösus und kaufte ein paar Köstlichkeiten für den Abend. Mit einer Tasche voll teurer Leckereien stand ich schließlich an einer roten Fußgängerampel und dachte plötzlich erneut an Bernhard. Welche Opfer musste er bringen, um da oben mitmischen zu können?
Die Politik war ein hartes Brot. Schon lange ging es den Staatsmännern nicht mehr darum, das Beste für ihr Volk zu wollen. Jeder log und betrog und dachte nur daran, möglichst lange regieren zu können. Wer auf den Listen stand, musste sich entblößen, und das Beste war, man hatte keine Vergangenheit. Gnadenlos fielen Mitglieder verschiedener Listen übereinander her, suchten beim anderen nach möglichen Verfehlungen und verpetzten alles nur Erdenkliche der Öffentlichkeit.
Die Ampel sprang auf Grün. Ich beeilte mich hinüberzukommen. Bei Bernhard konnte ich mir so was nicht vorstellen; aber bei seinem Gegner, der hatte Angst! Im Lokalsender hatte ich einmal eine seiner Reden verfolgt. Sie bestand hauptsächlich aus heißer Luft und hatte besonders Harry köstlich amüsiert. „Was soll das Ganze?“, hatte er gefragt und vorgeschlagen, den Herrn mal von wirklich delikaten Dingen in Kenntnis zu setzen. „Wenn ich auspacke, dann vergeht ihm das einstudierte Lachen!“ Dabei hatte Harry richtig gemein gegrinst, ungewöhnlich gemein, wie ich fand.
Ich hatte die Vornholzstraße erreicht. Auf der linken Seite war eine Wohnsiedlung und auf der rechten Gewerbegebiet. Viele Hallen standen seit langem leer oder wurden umgebaut. Ich nahm die ausgediente Lastwagenzufahrt und betrat den Hof der ehemaligen Druckerei. Vor einigen Jahren, als die Vorschriften über Emissionswerte und Lärmschutz