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Himmel über dem Urwald war klar, weit und breit konnte er kein Raubtier ausmachen, nur die Vögel waren mutig zurückgekehrt und sangen. Affen, Katzen, Nager, Schlangen waren erstaunlich still, kein Brüllen, kein Fauchen, kein Rascheln oder Klappern im Unterholz oder über ihren Köpfen in den stark bewachsenen Ästen. Die Tiere verkrochen sich noch.

      Kurz um, es war die beste Gelegenheit, zurück nach Nohva zureisen.

      Nicht für ihn natürlich, aber für Jin.

      Der Rotschopf stand neben Baron und streichelte liebevoll dessen samtigen Hals. Jins Gesicht war gesäubert, die ahornroten Haarspitzen schimmerten noch nass, glitzernde Tropfen hingen daran, wie Tau, der an einem Frühlingsmorgen von spitzen Grashalmen perlte, seine langen Wimpern waren verklebt. Er hatte seinen Umhang abgelegt und in sein Reisegepäck gestopft, das neben dem Hengst am Baum im Moos lag.

      Als Xaith auf ihn zutrat, löste er sich von Baron und schob unsicher die Daumen hinten im Rücken in seinen Gürtel, er kam ihm entgegen. »Wer ist er?«, fragte er, bevor Xaith etwas sagen konnte, und nickte hinüber zu Siderius, der im Schneidersitz im Moos und Laub saß und das quiekende Kind am Bäuchlein kitzelte.

      Der Junge spürte die Blicke, die flüchtig auf ihm ruhten, und schaute auf.

      Xaith und Jin wandten sich wieder einander zu.

      »Ein Straßenjunge.« Warum lügen? »Er… er ist mein …Diener.«

      Jin wirkte besorgt. »Ist das so, ja? Und das Kind? Riaths gestohlener Bastard?«

      Xaith zuckte mit den Achseln, es wunderte ihn nicht, dass Gerüchte im Umlauf waren, was die ganze Angelegenheit natürlich noch gefährlicher machte.

      »Er ist … groß«, stellte Jin nachdenklich fest.

      »Ja«, antwortete Xaith trocken, als wäre daran nichts ungewöhnlich.

      Jins Blick gefiel Xaith überhaupt nicht. Zu wissend, zu eindringlich. Er wandte das Gesicht wieder ab und blickte stattdessen ziellos in die leuchtend grüne Wildnis, aus der hie und dort eine bunte Blüte hervorschaute. Auf den Bäumen wuchsen Orchideen, sie verströmten einen blassen Duft, den er mit seinem feinen Näschen dennoch deutlich wahrnehmen konnte. Sie vermischten sich mit feuchter Erde, Stein, Laub, Moos und Jins süßem, eigenem Körpergeruch, der nach Zuhause schmeckte.

      »Ich habe Gerüchte über dich gehört. Sie behaupten von dir, du seiest ein Nekromant.« Jin sprach, als erwartete er einen Protest. »Das glaube ich aber nicht.«

      »Ach nein?« Xaith betrachtete ihn vernichtend. »Und wenn du dich irrst, könnte es dein letzter Irrtum gewesen sein.«

      »Tu nicht so, als müsste ich dich fürchten.«

      Wie gern er ihm das Gegenteil bewiesen hätte, doch Xaith rührte sich nicht. Wieder lieferten sie sich ein Blickduell.

      Jin legte schließlich mit sanfterem Blick flehend den Kopf schief. »Komm nach Hause, Xaith.«

      »Damit sie mich anklagen können?«

      »Damit sie sehen, dass alles Lügen sind.«

      »Das stimmt aber nicht, es sind nicht alles Lügen, Jin.«

      »Aber nichts ist so, wie sie denken, das weiß ich, weil ich dich kenne!« Jin schüttelte bedauernd den Kopf. »Du musst nach Hause gehen, du wirst gebraucht, du…«

      »Du musst gehen«, schnitt Xaith ihm das Wort ab und sah ihn ernst an. »Das ist keine Bitte, Fenjin! Hier trennen sich unsere Wege. Keine Diskussion.«

      Jin öffnete den Mund, schüttelte irritiert den Kopf. »Xaith, du weißt nicht, wie es in Nohva aussieht, du…«

      »Ich weiß es und deshalb gehst du jetzt nach Hause und hältst mich nicht weiter auf«, erwiderte er unnachgiebig. »Du bist allein hierhergekommen, ich bin sicher, du findest von hier auch allein zurück.«

      Doch Jin rührte sich nicht vom Fleck, er sah mit einer Mischung aus Bedauern und Flehen zu Xaith auf, wieder schüttelte er den Kopf, langsam dieses Mal, als versuchte er vergebens, ihn zu verstehen. »Das ist Wahnsinn und das weißt du, Xaith. Du kannst die Toten nicht zurückholen.«

      Die Worte kamen so unerwartet, dass sie wie ein Pfeil in seine Brust einschlugen und ihn beinahe taumeln ließen. Unwillkürlich senkte Xaith den Blick, fühlte sich wie in die Magengrube geschlagen, sein Herz pumpte nicht mehr richtig das Blut durch seine Venen, es steckte ein Dolch darin. Seit acht verfluchten Jahren. Er wollte brüllen, die ganze Zeit, schlicht und ergreifend brüllen, bis ihm Brust und Schädel zerbarsten und der Druck in seinem Inneren, das Chaos, der Schmerz einfach verklangen.

      Jin trat auf ihn zu, packte ihn ungefragt an den Schultern und rüttelte ihn sanft, als wollte er einen Wahnsinnigen zur Vernunft bringen. Vielleicht war dem auch so, vielleicht war er wirklich wahnsinnig, aber wen kümmerte das jetzt noch?

      »Lass ab von diesem Plan!«, flehte Jin inständig. »Während du einem Hirngespinst nachrennst, wirst du zu Hause gebraucht! Du bist ein Prinz Nohvas, ein Sohn des Blutdrachen, wir brauchen dich! Wexmell braucht dich. Komm heim!«

      Xaith schnaubte über ihn, gab Jins Brust einen sachten Stoß und sah zu, wie er zurücktaumelte. »Du bist so melodramatisch. Niemand braucht mich, ich wäre nur ein weiteres Risiko für Wexmells Herrschaft, ein weiteres schwarzes Schaf der M`Shiers.«

      Es stand Unverständnis in Jins Blick, ebenso Verzweiflung. »Wir trauern alle, Xaith.«

      Das war zu viel, er wandte sich ab. Der Kloß in seinem Hals drohte ihn zu ersticken.

      »Jeder von uns begräbt irgendwann seine Eltern, so ist der Lauf der Dinge, du musst dich damit abfinden und deine Trauer bewältigen« - Jin eilte ihm auf dem Fuße nach - »und endlich aufhören, vor allem davonzulaufen! Lass dich von anderen trösten!«

      »Was weißt du schon von Trauer?«, sagte er erbost über die Schulter. Wo wollte er eigentlich hin? Er wusste es nicht, nur fort von diesem Mann.

      »Siehst du, du läufst schon wieder davon!«

      Was für ein nervtötender Klugscheißer er doch geworden war. »Lass es endlich gut sein.«

      »Nein!«

      »Lass mich in Ruhe!«

      »Das ist das Problem, alle lassen dich immer nur in Ruhe. Aber ich werde nicht zusehen, wie du wieder wegläufst! Du musst dich dem Schmerz stellen! Du bist damit nicht allein!«

      Xaith ging einfach weiter, jedes weitere Wort hätte den Rotschopf nur noch mehr angespornt, auf ihn einzureden.

      »Mein Vater ist auch tot, Xaith.«, verkündete Jin schließlich.

      Xaith stolperte beinahe über seine eigenen Füße, blieb wie angewurzelt stehen, drehte sich aber nicht um. In seinem Kopf herrschte plötzlich Leere.

      Jin ließ hörbar die Arme fallen, seine Stimme wurde milder. »Er starb bei einem Aufstand, als Hexenjäger die Festungsstadt stürmten. Sie… haben das Königliche Kontor überfallen, nachdem Wexmell die Hinrichtung einer Hexe vereitelt hat. Mein Vater hat versucht, sie aufzuhalten, aber er war kein Kämpfer. Sie haben ihn ermordet.«

      Es ist mir egal, sagte Xaith sich vor. Aber nein, das war es nicht, es wollte ihm egal sein, aber er spürte unwillkürlich Mitgefühl und Bedauern, auch wenn Jins Vaters nie auch nur ein Wort mit ihm gewechselt hatte, ihn sogar immer mit angstgeweiteten Augen angestarrt hatte, vor allem nach dem Vorfall mit seiner Mutter. Doch er war der Krone ein guter, treuer Mann gewesen, Xaiths Väter hatten ihn geschätzt.

      Außerdem… wusste er, was Jin durchmachte.

      Xaith ballten nervös die Hände zu Fäusten, ließ wieder locker, ballte sie wieder.

      »Es herrscht Krieg zwischen Magiern und Hexenjägern, Xaith. Und du bist ein Magier!«

      »Es ist trotzdem nicht mein Krieg«, konterte er, denn er wollte nichts damit zu tun haben. Es war eine Sache, für sich selbst zu kämpfen, wenn man es musste, eine andere, mit Kriegern in eine Schlacht