Messias Elias. Matthias Grau

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Название Messias Elias
Автор произведения Matthias Grau
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752925630



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warf sie zornige Blicke zurück. „So was hab ich ja noch nie erlebt! Unverschämtheit!“

      Eine andere, wesentlich jüngere Frau mit blau gefärbten Zöpfen und auffallend farbenfroher Kleidung wandte sich Kaugummi kauend um: „Mir wäre es auch lieber, er würde das Gejammer lassen und stattdessen ein paar erbauliche Worte sagen, hinsichtlich der Probleme der Menschheit.“ Der neben ihr sitzende, vornehm gekleidete Herr bemerkte höflich: „Sie werden verzeihen, meine Dame, aber was würde das an den Problemen der Menschheit ändern?“

      Der Bischof versuchte, mit lauter, fester Stimme die aufkommende Unruhe in den letzten Reihen zu bändigen. Scheppernd drang sein Singsang aus den plärrenden Lautsprechern: „… der Herr sei mit euch und mit deinem Geiste aus dem heiligen Evangelium nach Johannes …“

      „Wozu wedelt der da mit dem rauchenden Topf herum? Er will doch nicht etwa dieses herrliche Gebäude in Brand stecken?“ Elias wies den alten Mann auf seine in die Bank gekrallten Finger hin: „Wenn du nicht aufhörst, so fürchte ich, wirst du wohl eher derjenige sein, der die Kirche anzündet.“ Inzwischen glühte das Holz bereits an den Rändern um die Hände herum. „Oh, Verzeihung! Das habe ich nicht gewollt!“ Gott lockerte den Griff und versuchte, die Glut zu löschen, indem er darauf herumpatschte, was aber nur zu einem verstärkten Funkenflug führte. Der höfliche Mann auf der Bank vor ihnen lehnte sich zurück und goss etwas Wasser aus seiner Flasche über die Glut. Blauzopfbuntgirly hatte den Vorgang auch bemerkt und rief gedehnt: „Cool! Wie haben Sie das denn gemacht? Man sieht ja Ihre Handabdrücke im Holz. Sieht aus wie die Abdrücke der Stars am Hollywood-Boulevard!“

      Auf der anderen Seite von Gott saß ein junger Student mit einem zerknitterten Anzug und einer Nickelbrille. Er neigte sich zu Gott hinüber, deutete in Richtung des Altars und erklärte: „Das ist Weihrauch! Damit kann die Kirche all ihre Missetaten beweihräuchern!“ Er grinste böse. Gott fragte entgeistert: „Welche Missetaten?“ Ungläubig musterte ihn der Student. „Sie waren wohl schon lange nicht mehr hier?“ Gott antwortete: „Etwa 8000 Jahre!“ Der Student grinste erneut: „Hey, Sie sind witzig! Ihr Humor gefällt mir! Ich meinte die Hexenverbrennungen, die Inquisition im Mittelalter, die Kreuzzüge, Behinderung von Fortschritt und Wissenschaft und die in letzter Zeit bekannt gewordenen Vorwürfe des hundertfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Ja, die Kirche war in viele Schweinereien verwickelt! Geldgeschäfte. Immobilienspekulationen. Die Liste ist endlos lang!“

      „… denn der Messias trägt viele Namen: Jesus, Christus, Sohn Gottes, Sohn Davids, Menschensohn …“ Der Bischof hatte seinen Gesang beendet und fuhr mit seiner Predigt fort. „… Lamm Gottes, der wahre König, in ihm sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis enthalten, weil er der Schöpfer ist, weil er der Erlöser ist, in ihm gründet alles. So demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. All eure Sorge werft auf ihn …“

      An dieser Stelle stöhnte Gott laut auf. „Was, auf mich? Wieso denn ausgerechnet auf mich?“ Durch den Widerhall wurden auch die Besucher einige Bänke weiter vorn aufmerksam und drehten sich um.

      „… denn er sorgt für euch. Seid nüchtern und wacht, denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe …“

      Gott schlug jammernd die Hände vors Gesicht: „Der Teufel? Das darf nicht wahr sein!“

      Der Bischof hielt tapfer durch: „… und … ähh … und sucht, wen er verschlinge. Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht, in alle Ewigkeit, amen.“

      „Ich muss hier raus!“ Ungestüm sprang Gott von der Bank auf, drängelte sich rücksichtslos an den neben ihm sitzenden Besuchern vorbei und lief eilig aus der Kirche. Elias folgte ihm, sehr verwundert, nahm sich jedoch mehr Zeit, die anderen Besucher höflich um Durchlass zu bitten.

      Er fand Gott, mental etwas derangiert, am Fuße der Treppe vor dem Eingang. „Jesus Christus? Unser Herr? Heiliger Geist? Ja, sind denn alle verrückt geworden? Hast du das auch gehört? Der Teufel? Was redet der Mann da nur für einen Unsinn? Dieses sinnlose Geseier! Wieso trägt er diese merkwürdigen Frauenkleider und die lächerliche Mütze?“

      Mit einem Mal schlug sein Entsetzen in Wut um. Er stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Eine leichte Erschütterung rollte über den Platz und die Mauern der Kirche hinauf, wo sie sich in einem tiefen, lauten Glockenschlag entlud. Die Menschen auf dem Platz, zum überwiegenden Teil wohl Touristen, zuckten erschrocken zusammen, denn der Glockenklang kam nicht oben vom Kirchturm, der ganze Himmel schien ihn abzustrahlen, er war überall, und er klang furchterregend, klar und tief, wie eine Totenglocke.

      Mit ernster Miene nahm Gott Elias in die Pflicht, als er zurück zum Eingang zeigte. „Deine Zeit ist gekommen! Meine Aufgabe für dich beginnt hier und jetzt! Geh wieder hinein und fordere den Mann auf, sofort mit dem Unsinn aufzuhören!“

      Die Totenglocke hatte Elias verschreckt. Folgsam fragte er: „Was soll ich ihm sagen? Ich meine, wie soll ich das begründen?“

      „Mit den Dreißig Geboten! Du erinnerst dich doch?“ Mit schrägem Kopf ermahnte der alten Mann Elias. „Lerne die Gebote auswendig! Für heute will ich dir noch mal auf die Sprünge helfen: Du sollst neben mir keine anderen Götter haben! Du sollst Kinder beschützen und dich ihnen nicht in sexueller Absicht nähern! Jetzt geh!“

      Gehorsam stieg Elias die Stufen hinauf und verschwand im Inneren der Kirche. Es vergingen etwa zwei, drei Minuten, bis die Türen sich öffneten und Elias von zwei Ministranten hinauseskortiert wurde.

      Missmutig schlurfte er die Treppe hinunter. „Ich habe noch nie besonders überzeugend auf andere gewirkt. Das war schon immer so. Deswegen war ich wohl auch nicht so erfolgreich in meinem Job.“

      Gott musterte ihn aufmerksam. „Mhm. Ich sehe schon, ich werde dich vielleicht ein wenig unterstützen müssen.“ Er fuhr sich durch den Bart. Im selben Moment zitterte, nein – vibrierte die Hand deutlich sichtbar. Gott schaute sie erstaunt an. „Nanu? Hier? Um diese Zeit? Er steckte sich den Daumen ins Ohr, spreizte den kleinen Finger ab und rief: „Hallo? Gott hier! Ja? Oh! Aha! Ich verstehe! Ouha! Verstehe! Na klar! Verstehe! Ich verstehe! Mach ich, Chefchen!“ Freches Grinsen. „Bin sofort da!“ Er nahm den Daumen wieder aus dem Ohr.

      „Ähm … hör mal, Elias, ich muss kurz weg! Beteigeuze ist kurz vor dem Abschmieren. Da muss ich mich drum kümmern und neuen Brennstoff nachlegen.“

      „Beteigeuze? Ist das nicht ein Sternbild?“ versuchte Elias sich zu erinnern. „Das ist ein Stern. Eine Sonne. Aber eine richtige! Tausendmal so groß wie eure hier und zehntausendmal so hell!“ Elias staunte: „Zehntau…“

      „Sie darf auf keinen Fall ausgehen! Hinterher muss ich noch zu GN-z11, das ist die am weitesten von euch entfernte Galaxie. Sie hat ihre Endphase erreicht und muss kontrolliert zusammengeführt werden, damit sie anschließend mit einem präzisen Urknall neu gestartet werden kann. Verstehst du?“

      Elias Gesichtsausdruck ließ erahnen, dass die Angelegenheiten, von denen Gott da gerade berichtete, eine Nummer zu groß für ihn waren. „Äh … alles! Wird das lange dauern? Ich meine, kommst du noch mal zurück?“

      „Keine Sorge, ich bin ja nicht weg! Ich bin überall! Nur konzentriert sich ein Großteil meiner Aufmerksamkeit vorübergehend auf ein paar andere Aufgaben. Du wirst schon sehen!“ Er zwinkerte Elias noch einmal zu, drehte sich um, rannte zwei, drei Schritte, federte sich mit dem letzten Schritt kräftig ab und sprang ins Nichts. Er löste sich einfach auf, blendete sich aus … oder …

      Es ging so schnell und unspektakulär, dass Elias nicht einmal hätte beschreiben können, wie es genau passierte. Ratlos stand er da und schaute der … ,Entscheinung‘ hinterher.

      Was nun? Es war fast Mittag. Wäre er noch in Lohn und Brot, würde er früh zum Essen gehen. Aber er hatte ja leider nichts zum Bezahlen.

      Augenblick mal! Der alte Mann hatte ihm doch etwas Geld zugesteckt! Der Erlös von den alten Möbeln. Na, prima!

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