Messias Elias. Matthias Grau

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Название Messias Elias
Автор произведения Matthias Grau
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752925630



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bekehren soll, was … ich meine … wie soll ich mich ihnen vorstellen? Als Gottes Assistent? Stellvertreter? Oder Sekretär?“

      Gott blieb abrupt stehen. „Wie nanntest du mich gestern Abend? In deinem Gebet? Vater? Also wenn du mich Vater nennst, nenne ich dich Sohn. Warum also stellst du dich nicht einfach als Sohn Gottes vor? Das würde bei dir besser passen, als bei diesem Jesus, mit dem ich ja nun gar nichts zu tun hatte!“ Er nahm das Tempo wieder auf und verließ den Park durch ein offenstehendes, verrostetes, altes Torgitter. Elias stand noch sinnierend herum: Elias, der Sohn Gottes. Das klang doch irgendwie nett!

      „Trödel nicht rum, mein Sohn, wir wollen weiter!“ ermahnte Vater Gott. Hurtig spurtete Elias hinterher und trug ein seliges Lächeln im Gesicht, als er ihn eingeholt hatte.

      Sie durchquerten die Twine Terrace mit niedrigen, schmucklosen Reihenhäusern. Dahinter ein weiterer Park, Mile End, luftiges Grün, mitten in der Großstadt. „Wo wollen wir denn hin?“ keuchte Elias. „Ins Stadtzentrum.“

      „Und wohin genau?“

      „Wart’s ab!“ antwortete Gott, während er quer über eine frisch gemähte Wiese latschte. Elias konnte kaum noch mithalten. „Vielleicht wäre es besser, mit dem Bus zu fahren. London ist groß, wir wären viel schneller.“

      „Wieso?“ fragte Gott. „Hast du’s eilig?“

      „Nein, aber …“ Elias blieb stehen, beugte sich nach vorn, die Hände auf den Oberschenkeln abgestützt. „… du, wie mir scheint!“ Er rang nach Luft. Der alte Mann lächelte, schlenderte die wenigen Schritte zurück, legte den Arm um Elias’ Schulter und zog ihn behutsam mit sich. Zusammen ging es besser und Elias kam wieder zu Kräften.

      Gott sprach: „Vermeide wenn möglich die Nutzung örtlicher Transportsysteme, sondern bewege dich immer zu Fuß, wenn du neu an einem Ort bist! So lernst du ihn besser kennen und entdeckst vieles, was dir sonst verborgen geblieben wäre!“

      „Aber ich wohne doch schon lange hier! Den Park kenne ich schon!“ Der alte Mann schmunzelte: „Ich auch! Aber er hat sich in den letzten paar tausend Jahren schon ein wenig verändert!“

      Im Park tummelten sich zu dieser frühen Stunde bereits erstaunlich viele Menschen. Einige Jogger, Mütter mit Kinderwagen, ältere Leute, auf den Bänken sitzend und erzählend oder die Tauben fütternd, trotz der kühlen Jahreszeit. Doch die Sonne schien und wärmte mit ihren Strahlen die Besucher.

      Die beiden verließen den Park und bogen auf die A11 ein, welche direkt in die City führte. Auch wenn weit vorn am Horizont einige bekannte Sehenswürdigkeiten auftauchten, so zog sich der Marsch dennoch unerfreulich lange hin. Elias spürte allmählich seine engen Schuhe und versuchte sich zu erinnern, wann er jemals eine so weite Strecke zu Fuß zurückgelegt hatte.

      Bei Aldgate East standen die ersten Hochhäuser. Kurz darauf passierten sie Gherkin, ein Bürogebäude, das aussah, wie ein langgezogenes Fabergé-Ei. Oder halt wie eine Gurke.

      Weitere Hochhäuser aus Glas und Metall säumten den Weg, dahinter tauchten die ersten klassischen Gebäude der Altstadt auf, wie sie in allen Metropolen der alten Welt zu finden sind. Am Mansion House Place mit seinen fünf aufeinandertreffenden Straßen verloren sie die Orientierung, und hätte der alte Mann verraten, wo genau er hinwollte, ganz sicher hätte Elias ihm auch helfen können, denn hier kannte er sich wieder aus. Aber das Zögern dauerte nur kurz, dann wies Gott zackig mit der Hand in die Queen Victoria Street. Anschließend die Cannon Street entlang, danach noch ein Stückchen bis zum großen Platz, bis sie endlich vor dem anvisierten Ziel standen: Saint Balls Cathedral.

      Gott stand, die Fäuste in die Hüften gestemmt, breitbeinig da, schaute zu den beiden Türmen empor und strahlte über das ganze Gesicht. Mit breitem Lächeln rief er: „Prachtvoll, nicht wahr?“ Dabei bewegte er die linke Hand mit einer graziösen Bewegung in Richtung des Eingangs, als wollte er Wassertropfen abschütteln. Stattdessen lösten sich ein paar Fünkchen, tanzten ein paar Sekunden umher und erloschen wieder. „Ein Gebäude, erbaut einzig und allein mir zu Ehren!“

      „Sag mal, was sind das eigentlich für Funken, die sich aus deinen Händen lösen, wenn du sie bewegst?“ wollte Elias wissen, nachdem er sich nun sicher war, sie wirklich gesehen zu haben. „Ist doch klar: Ich bin ein echt heißer Typ!“ rief Gott mit stolzgeschwellter Brust und schritt auf den Eingang zu. „Komm, mein Sohn, lass uns mal nachschauen, was die dort drin so treiben!“

      Es war Sonntag, Viertel nach Zehn, genau die richtige Zeit, denn die Messe begann, kaum dass sie den Raum betreten hatten. Gott wollte die vorderen Bänke ansteuern, aber die ersten Reihen waren bereits vollständig besetzt.

      „Na gut, nehmen wir kurz weiter hinten Platz, ich denke, ich werde ohnehin gleich nach vorne gebeten“, sagte Gott und zog Elias mit sich. Ein paar Besucher drehten sich mit langen Gesichtern um. Der alte Mann nickte ihnen jovial zu und rief mit beschwichtigender Geste: „Hallo, schön Sie zu sehen! Danke, dass Sie extra gekommen sind!“ Die Worte waren nicht laut vorgetragen, die tiefe Stimme erzeugte in dem riesigen Innenraum dennoch einen weithin hörbaren Nachhall.

      „Pssst! Seien Sie doch still!“ zischte eine ältere Dame. „Der Bischof möchte endlich anfangen!“

      Verdutzt wegen dieser herben Zurechtweisung, setzte Gott sich gehorsam auf die Bank. Elias saß bereits und blickte zur Kanzel. Sie war leer, also suchte er deren Umgebung ab und erspähte den Bischof unten vor dem Altar. Der schaute zurück zu den beiden Nachzüglern. Ein mildes, bittersüßes Lächeln hatte sich im Gesicht des Kirchenmannes festgefressen, und wenn Blicke töten könnten, so hätten Elias und der alte Mann die Kirche zumindest mit leichten Blessuren verlassen. Aber die Blicke konnten nicht töten, zumindest nicht die des Bischofs. Darum richtete er sie zurück auf das Blatt mit der vorbereiteten Predigt, ließ sie anschließend noch einmal über die Besucher streifen, hob seine Arme empfangend empor und rief: „Halleluja!“ Dann bekreuzigte er sich: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes – Amen!“

      „Siehst du, er meint uns beide – Vater und Sohn!“ Gott knuffte Elias mit dem Ellenbogen in die Seite. Elias knuffte vorsichtig zurück. „Ja, uns und den Heiligen Geist, das hast du wohl überhört.“ Gott runzelte die Stirn: „Welchen Heiligen Geist? Etwa den, der angeblich Maria geschwängert haben soll?“ Die resolute alte Dame zischte sie erneut an. „Werden Sie jetzt endlich still sein? Sie verderben die ganze Predigt!“

      Betreten sah Elias zu Boden und Gott kniff verärgert die Lippen zusammen. Als weitere Worte des Bischofs zu ihnen drangen, verfinsterte sich seine Miene noch etwas mehr.

      „Im Namen unseres Herrn Jesus Christus …“

      „Was? Jesus? Von Nazareth? Was hat der denn hier zu suchen?“

      „… den Herrn loben und preisen und sich an ihm freuen …“ Gott schloss die Augen. „Was redet der da?“

      „… Märtyrer, die uns zeigen, dass es jemanden gibt, für den es sich lohnt, zu leben und auch zu sterben …“

      „Lohnt, zu sterben? Seit wann lohnt es sich, zu sterben? Und für welchen Herrn?“ knurrte der alte Mann. „Er meint dich!“ beschwichtigte Elias. „Oder vielleicht auch Jesus“, korrigierte er sich, „ich weiß nicht genau.“

      „Aber weshalb sollte jemand für mich sterben wollen? Was bringt denn das?“ Gott sprach nun wieder deutlich lauter, sodass einige aus der Reihe davor die Köpfe zu ihnen hindrehten. Die alte Dame klatschte sich auf die Schenkel, riss die Arme mit vorwurfsvollem Gesicht nach oben, als wollte sie rufen: ,was soll denn das?‘

      Der Bischof hatte die Unruhe durchaus bemerkt, aber als oberster Hirte seiner Schäfchen durfte er sich von kleineren Unruhen nicht gleich aus dem Konzept bringen lassen. Er setzte wie geplant zu seinem liturgischen Gesang an: „… darum bitten wir durch Jesus Christus unsern Herrn und Gohohohooott …“

      Unter seinem Hintern spürte Elias, wie die Bank begann, leicht zu vibrieren. Auch roch es plötzlich nach verbranntem Holz. Verwundert blickte er nach unten, dann neben sich und bemerkte, wie Gott seine Finger in die Sitzfläche krallte, bis es qualmte. „Schon wieder