IM ANFANG WAR DER TOD. Eberhard Weidner

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Название IM ANFANG WAR DER TOD
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия Anja Spangenberg
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750214316



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wollte sich bereits ausloggen, als der Eingang einer weiteren Mail angezeigt wurde. Sie hoffte, dass wenigstens sie von Konstantin kam. Eine liebevolle Nachricht von ihm würde ihr jetzt guttun. Doch die Mail stammte nicht von ihm, sondern vom selben Absender, der ihr bereits den lateinischen Text geschickt hatte.

      Anja bewegte den Mauszeiger, um die Nachricht zu öffnen, zögerte dann aber. Wenn sie ehrlich war, wollte sie eigentlich gar nicht wissen, was der Unbekannte ihr noch geschickt hatte. Doch die Polizistin in ihr war an der Aufklärung dieser mysteriösen Geschichte interessiert und drückte die Maustaste.

      Erneut erwartete sie nur eine einzeilige Nachricht; doch dieses Mal war sie in deutscher Sprache verfasst worden und bestand aus sieben Wörtern:

      Ich weiß, was du getan hast, Anja!

      Anja erstarrte förmlich, als sie das las. Die Angst, die in ihrem Magen einen Knoten bildete, seit sie in der Kirche mit den Indizien konfrontiert worden war, und die sie zuletzt erfolgreich hatte ignorieren können, ließ sie jetzt am ganzen Körper schlottern. Ihr wurde speiübel, und der Schweiß brach ihr aus.

      Sie wischte sich mit der Hand über die feuchte Stirn, während sie den kurzen Text immer und immer wieder las, als könnte er dadurch auf wundersame Weise doch noch seine Bedeutung verändern und weniger bedrohlich und angsteinflößend werden. Aber so etwas funktionierte im wirklichen Leben nicht.

      Er weiß, was ich getan habe!

      Ihr war sofort klar, was der Absender damit meinte. Es konnte nur eines bedeuten: Es gab jemanden, der wusste, dass sie Pfarrer Hartmann getötet hatte. Das machte schon allein die erste Mail mit dem Bibelzitat mehr als deutlich, die vom selben Absender stammte.

      Erneut dachte sie fieberhaft darüber nach, wer ihr diese Nachricht geschickt haben könnte.

      Stammt sie etwa doch von Krieger?

      Immerhin war der Mordermittler felsenfest davon überzeugt, dass Anja die Mörderin des Geistlichen war. Wollte er ihr mit diesen E-Mails Angst einjagen? Sie vielleicht auch nur provozieren, damit sie einen Fehler beging und er sie endlich überführen konnte?

      Aber so subtil würde jemand wie Krieger niemals vorgehen. Konnte er gar nicht. Er war der Typ, der den Presslufthammer einsetzte, um auf Nummer sicher zu gehen, wenn auch ein Schraubenzieher genügen würde. Deshalb waren diese Nachrichten auch so untypisch für ihn, dass er als Verdächtiger eigentlich von vornherein ausschied.

      Aber wer ist es dann? Und was zum Teufel bezweckt er damit?

      Die Lähmung, die sie beim Anblick der Nachricht ergriffen hatte, fiel allmählich von ihr ab, als sie sich von ihrem ersten Schock erholte. Sie konnte auch endlich wieder klarer denken. Deshalb bemerkte sie erst jetzt, dass die zweite Mail einen Anhang besaß, der aus mehreren Fotos bestand. Sie öffnete die Bilder der Reihe nach. Auf den ersten drei Aufnahmen war sie beim Entsorgen der Tüten mit den Beweismitteln an drei verschiedenen Orten zu sehen. Die übrigen zeigten Nah- und Detailaufnahmen der Dinge, die sie hatte loswerden wollen. Der Absender hatte sie auf eine weiße Oberfläche gelegt und nacheinander fotografiert. Zuerst sah sie den Kapuzenpulli. Danach kam eine Nahaufnahme der Blutflecken am Ärmel. Anschließend die Laufschuhe und eine weitere Detailaufnahme, auf denen die sternförmigen Umrisse der Blutstropfen, die sie weggewischt hatte, noch deutlich zu erkennen waren. Und schließlich Fotos des Messerblocks und sämtlicher Messer mit Ausnahme der Tatwaffe.

      Anja hätte vorher nicht damit gerechnet, dass sich ihr Unwohlsein noch steigern ließe. Doch nachdem sie sich das letzte Foto angesehen hatte, wurde ihr so schlecht, dass sie ins Bad rennen und sich ein weiteres Mal übergeben musste.

      II

      Hinterher putzte sie sich die Zähne und wusch sich das verschwitzte, gerötete Gesicht.

      Während sie diese alltäglichen Tätigkeiten geradezu automatisch verrichtete, herrschte in ihrem Verstand ein Wirbelsturm an Überlegungen.

      Offensichtlich hatte sie heute früh jemand verfolgt und dabei beobachtet und fotografiert, als sie die Beweise, die sie mit dem Mord an Pfarrer Hartmann eindeutig in Verbindung brachten, loszuwerden versucht hatte. Und sie hatte davon nicht das Geringste mitbekommen, obwohl sie die ganze Zeit nach Verfolgern Ausschau gehalten hatte. Doch damit noch nicht genug! Der Unbekannte hatte sogar sämtliche belastenden Gegenstände an sich genommen und ebenfalls fotografiert.

      Aber wozu?

      Wozu wohl, du dumme Kuh? Da will dich anscheinend jemand erpressen. Denn wenn er dich ans Messer liefern wollte, hätte er das längst tun können, indem er die Beweise einfach der Polizei übergibt.

      Anja nickte, während sie sich mit beiden Händen am Waschbecken abstützte und den Blick ihres blassen Spiegelbildes erwiderte, als würde sie mit ihm ein stummes Zwiegespräch führen.

      Aber was will er oder sie von mir?

      Geld?

      Anja und ihr gespiegeltes Ebenbild, das sie aus geröteten Augen ansah, schüttelten synchron den Kopf. Ihnen war klar, dass es bei dieser Sache aller Voraussicht nach nicht um Geld ging.

      Aber worum dann?, fragte sich Anja.

      Das ist die große Preisfrage!

      III

      Sie kehrte in die Küche zurück, setzte sich wieder vor den Laptop und wartete noch ein paar Minuten. Doch es kam keine weitere Mail. Was immer der Unbekannte für sein Schweigen verlangte, sie würde sich gedulden müssen, bis er sich wieder bei ihr meldete. Entweder wollte er sie auf die Folter spannen, oder es war seiner Meinung nach ganz einfach noch nicht der richtige Moment gekommen, seine Forderung zu stellen.

      Schließlich zuckte Anja die Achseln und markierte die beiden Mails, um sie zu löschen. Dann zögerte sie allerdings, denn es widerstrebte ihr, sie zu vernichten. Eventuell enthielten sie Hinweise, die zu ihrem Absender führten. Andererseits durfte sie aber auch niemand finden, der ihren E-Mail-Account durchsuchte.

      Sie entschied sich schlussendlich für einen Kompromiss. Zuerst speicherte sie die beiden Nachrichten als HTML-Dateien. Anschließend öffnete sie mithilfe eines Passworts einen Datentresor, den sie auf der Festplatte ihres Laptops eingerichtet hatte. Darin waren all ihre privaten Dateien gespeichert. Sobald der Datentresor geschlossen wurde, wurden sämtliche darin enthaltenen Dateien verschlüsselt. Anja erzeugte ein Unterverzeichnis, dem sie einen möglichst unverfänglichen Namen gab. Dann verschob sie die beiden HTML-Dateien und die Fotos aus dem Anhang der zweiten Mail dorthin. Zuletzt schloss sie den Datentresor wieder und löschte die E-Mails in ihrem Account. Sie wusste nicht, ob ein Computerexperte die Nachrichten wiederherstellen konnte, aber immerhin waren sie nicht mehr sofort auffindbar, falls sich jemand – beispielsweise im Rahmen eines Durchsuchungsbeschlusses – Zugang zu ihrem E-Mail-Account verschaffte.

      Anja schaltete den Laptop aus und klappte ihn zu. In Zukunft würde sie wieder öfter ihre Mails checken müssen. Allerdings rechnete sie gar nicht damit, dass sich der unbekannte Absender so schnell melden würde. Er hatte ihr mit den ersten beiden Nachrichten verdeutlicht, was er wusste und dass er jetzt die Beweise besaß, die sie in Teufels Küche bringen konnten. Nun konnte er sich entspannt zurücklehnen und musste nur noch auf den richten Moment warten, um ihr seine Forderung mitzuteilen.

      Und Anja würde keine andere Wahl bleiben, als zu tun, was er von ihr verlangte. Egal, was es war!

      IV

      Während sie die Küche aufräumte, spekulierte sie noch immer darüber, wer ihr die Mails geschickt hatte. Am wahrscheinlichsten erschien ihr inzwischen, dass es sich um den Komplizen des Apokalypse-Killers handelte. Er musste sie bereits vor drei Monaten ständig beobachtet und ihre Lebensumstände ausgekundschaftet haben. Nur deshalb war es ihm gelungen, sie während ihrer damaligen Ermittlungen so erfolgreich zu manipulieren und in die Irre zu führen. Ohne es zu ahnen, und bis es beinahe zu spät gewesen war, war Anja damals seinem bizarren Drehbuch gefolgt. Nachdem sie seine letzte Nachricht am Grab ihres Vaters gefunden hatte, hatte sie zwar gehofft, er wäre wieder unerkannt untergetaucht, nachdem er sein Ziel nicht erreicht hatte. Doch vermutlich